"Wir sind der Meinung, dass die Leipziger Buchmesse abgesagt werden sollte, da wir die Gefahr einer beschleunigten Verbreitung des Corona-Virus durch eine solche Veranstaltung sehen", sagte Jochen Mende, Geschäftsführer der Verlagsauslieferung Prolit am gestrigen Montag. In einigen Kommentaren auf boersenblatt.net und in den sozialen Netzwerken wurde der Buchmesse "verantwortungsloses Taktieren" vorgeworfen. Besonders kleinere Verlage wünschten sich Planungssicherheit, um noch einige der bis zum ursprünglichen Messestart am 12. März anfallenden Kosten sparen zu können. "Aus meiner Sicht hat die Leipziger Messe GmbH verantwortlich gehandelt. ... Vernünftigerweise verfolgt man die Nachrichtenlage und folgt im Zweifel öffentlichen Anweisungen", meint Kilian Kissling, Argon Verlag.
Die Leipziger Buchmesse mit Manga-Comic-Con und dem Lesefest Leipzig liest sollte in diesem Jahr vom 12. bis 15. März stattfinden. Im vergangenen Jahr kamen etwa 285.000 Besucher in die Messehallen und zu den Veranstaltungen des Lesefestivals Leipzig liest. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer begrüßte die Entscheidung und twitterte umgehend: "Gesundheit und Sicherheit gehen in diesem Fall ganz klar vor. Unser Ziel ist es, die sächsische Bevölkerung zu schützen und eine Ausbreitung des #Coronavirus so weit wie möglich einzudämmen & zu bekämpfen. Dafür gilt es, konsequent, präventiv und verantwortungsbewusst zu handeln."
Das Gesundheitsamt Leipzig sei der Aufforderung des Bundesgesundheits- und des Bundeswirtschaftsministeriums gefolgt, wonach eine Rückverfolgbarkeit von Kontaktpersonen bei Großveranstaltungen gewährleistet sein muss, begründet die Leipziger Messe die Absage. Die Behörden hätten dringend empfohlen, dass jeder Messeteilnehmer schriftlich belegen muss, nicht aus definierten Risikogebieten zu stammen oder Kontakt zu Personen aus Risikogebieten gehabt zu haben. Das sei angesichts von rund 2.500 Ausstellern und rund 280.000 erwarteter Besucher nicht sicherzustellen. Mit der Absage der Leipziger Buchmesse entfällt auch die 26. Leipziger Antiquariatsmesse in Halle 3, für die sich rund 50 Aussteller aus Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich und Polen angemeldet hatten.
Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse: "Wir bedauern zutiefst, dass wir diesen Schritt gehen und die beiden Messen absagen müssen. Solch eine schwere Entscheidung mussten wir in den letzten sieben Jahrzehnten der Leipziger Buchmesse noch nie treffen. Sie ist bitter für uns und für die gesamte Buchbranche. Ich danke allen Ausstellern, Partnern und Besuchern, die uns die Treue halten." Die nächste Leipziger Buchmesse findet vom 18. bis 21. März 2021 statt.
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, hält die Entscheidung der Verantwortlichen in Leipzig für richtig. "Die Gesundheit der Messebesucher*innen, Aussteller*innen und Mitarbeiter*innen sowie die gesamtgesellschaftliche Gesundheitssituation haben Vorrang." Die Absage sei "ein schwerer Schlag für die Buchbranche". Die Strahlkraft, die von der Leipziger Buchmesse in die Gesellschaft ausginge, und das Interesse und die Begeisterung für Bücher, die sie vermittelt, seien enorm.
In Asien und Europa wurden insgesamt bereits etwa 450 Messen und Ausstellungen abgesagt, wie die Reisemesse ITB oder die Handwerksmesse. Auch die Kinderbuchmesse in Bologna und der Salon du Livre Paris wurden vorerst gecancelt, die London Book Fair soll nach bisherigem Stand wie geplant in der kommenden Woche stattfinden. Auch die lit.Cologne hält an ihrem Termin 10. bis 21. März fest. 111.000 Besucher kamen im vergangenen Jahr zu den knapp 200 Veranstaltungen. In der Schweiz und in Frankreich wurden wegen des Corona-Virus Großveranstaltungen generell untersagt.
Der Krisenstab der Bundesregierung zum Coronavirus hat laut AUMA Verband der Deutschen Messewirtschaft am 28. Februar beschlossen, dass Großveranstaltungen wie Messen grundsätzlich weiterhin stattfinden können. Allerdings sollten sie vor Durchführung einer Risikobewertung anhand eines Kriterienkatalogs des Robert-Koch-Instituts unterzogen werden.
Messe abgesagt - wer zahlt?
Wer kommt für die Standkosten auf? "Wird eine Veranstaltung abgesagt, muss der Vertrag unter Berücksichtigung der Teilnahmebedingungen rückabgewickelt werden mit der Folge, dass in der Regel auch bereits gezahlte Beteiligungsbeiträge erstattet werden", heißt es dazu aus der Rechtsabteilung der AUMA. Bei vom Aussteller beauftragten Speditionen, Messebauern und anderen Dienstleister kommt es darauf an, ob die Leistungen bereits erbracht wurden. "Bei Ausfall der Messe wird die vorgesehene Mietzahlung gegenstandslos. Bereits entrichtete Beiträge werden zurückerstattet. Der Aussteller hat jedoch bereits ausgeführte Arbeiten und Dienstleistungen in voller Höhe zu zahlen", so die Formulierung in den allgemeinen Teilnahmebedingungen der Leipziger Messe. Die Messetickets können zurückgegeben werden, der Kaufpreis wird erstattet. Mehr zum Thema finden Sie hier!
#Leider nicht Leipzig
Und jetzt? Business as usual nach der Absage des großen Frühjahrs-Branchentreffs? Für die Kommunikation von Aktionen rund um die Absage der Leipziger Buchmesse hat der Carlsen Verlag den Hashtag #Leider nicht Leipzig kreiert. Auf der Website www.carlsen.de/leidernichtleipzig veranstaltet er zu jedem Messetag ein Gewinnspiel. Verlost werden original signierte Bücher der für Leipzig angekündigten Carlsen- und Lappan-Autor*innen und -Zeichner*innen.
"Lassen Sie uns die Leipziger Buchmesse zu den Leser*innen nach Hause tragen!", meint der Autor Karl-Ludwig von Wendt. Auf Bookbytes, dem Digitalblog des Börsenblatts, schlägt er vor, Lesungen per Live-Streams anzubieten, inklusive Live-Chat. Auch eine Verlagssonderausgabe mit dem Titel "Leipziger Buchmesse zuhause" kann sich der Autor und Unternehmer vorstellen.
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aber meine Gedanken gelten Oliver Zille und seinem Team:
Soviel ENGAGEMENT für das Buch und die Branche, für die Leser und die Messe, für die Kultur und die Stadt - umsonst.
Rainer Groothuis
Rainer Groothuis
Ich hoffe und erbitte, dass wir weiterhin auf Ihr ungeschmälertes Engagemeint für das Buch / die Branche rechnen können und freue mich auf eine dann wieder großartige Buchmesse Leipzig 2021.
Mir tut die Absage sehr leid, weil ich weiß, mit wie viel Herzblut und Enthusiasmus in Leipzig das ganze Jahr über gearbeitet wird. Das gilt vor allem für das Team von Oliver Zille bei der Buchmesse, aber das gilt auch für die vielen Menschen, die sich in Sachen "Leipzig liest" engagieren und dafür sorgen, dass die Stadt ihre Buchmesse nicht nur "hat", sondern "lebt".
Mit der Absage ist die Sache natürlich noch nicht ausgestanden. Der Post weiter oben von @GiselaPekrul zeigt ja schon, dass jetzt Fragen nach einem Ausgleich für die entstandenen Kosten kommen werden. Auch für deren Beantwortung werden die Leipziger gute Nerven brauchen - die wünsche ich ihnen.
In der Konsequenz hieße diese Entscheidung, komplett auf das öffentliche Leben zu verzichten. Die freie Entscheidung zur Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an der Messe wäre mir lieber gewesen.
Was wir hier erleben - auch in den Kommentaren auf boersenblatt.net - ist eine Kompetenzanmaßung, die, fände sie im öffentlichen Raum statt, alle Kriterien für schlimmen Populismus erfüllen würde. Er wird von den Befürwortern der Messeabsage das ganze Drohpotential des populistischen Instrumentenkastens herausgeholt, um Druck aufzubauen. Dass sie damit obsiegt haben, lässt für unser Gemeinwesen und dessen Umgang mit dem Virus nichst Gutes ahnen. Meinungsstärke vor sachlicher Erörterung, Panik vor Besonnenheit. Wirtschaftlicher Schaden zur moralischen Erbauung. Jeder von den Befürwortern sollte sich selbst befragen, ob er öffentliche Räume meidet, den Personennahverkehr, Bundesbahn, Flugzeuge, Fußballstadien, die Kinder nicht mehr in die Schule schickt oder in die Kita. Hier zu handeln, das wäre die eigene Kompetenz.
Von der erzwungenen Messeabsage bis nach Thüringen ist es nicht weit. Man spielt heute überall dasselbe Spiel. Mich graust's.