Wir sind für unsere Begriffe extrem experimentierfreudig und spielen viele Spielchen kleiner Verlage sehr interessiert mit: Jede Saison ackern wir hier ca. 4 Meter aller (wirkliche aller) uns erreichenden Vorschauen komplett durch, um neben dem üblichen Kram Perlen entdecken zu können. Wir geben uns also verdammt viel Mühe, haben ein ganz eigenes Profil mit einem ganz eigenen Kopf, an dem sich auch viele größere Verlage mit ihren potentiellen Toptiteln sehr häufig die Zähne ausbeißen, weil wir auch dort oft einfach nicht wollen.
Nun ist klar, dass auch jeder Kleinverleger fest davon überzeugt ist, dass gerade "sein" Programm sehr beachtenswert ist und unbedingt den Weg in den Sortimentsbuchhandel finden muss. Vor Ort verkaufen müssen diese Titel aber wir und ich mag keine Haue mehr dafür bekommen, dass ich viele angebotene Titel aus verschiedenen Gründen heraus bei uns schlicht für unverkäuflich halte.
Inhalt und Verpackung sind zwei Seiten einer Medaille
Bei einigen Kleinverlagen mag es noch nicht gesackt sein, dass Inhalt und Verpackung zwei Seiten einer Medaille sind. Für Kunden spielt in der Auslage (so ausgelegt wird) das Bild aber eine ganz große und besondere Rolle für deren Erstzugriff – wir stehen ja nicht permanent daneben. Bei einer Covergestaltung, die an drittklassige Selfpublisher erinnert, darf man sich als Kleinverleger nicht wirklich wundern, dass der Sortimenter trotz aller Begeisterung für den Inhalt recht zögerlich reagiert.
Christiane Krause vom Vertreterbüro Indiebook kann eventuell ein Lied davon singen und weiß genau, welcher Titel in dieser Kategorie mein Liebling der letzten Jahre war. Kaarina Kyrölainen sagt es in ihrem Kommentar hier auf boersenblatt.net ganz richtig – Hanser hat eben ein anderes Budget und eine andere Ausstrahlung. Was sollen wir bitte hier als ambitionierte Buchhandlung noch tun – was können wir hier noch tun? Wenn es für Euch und uns funktioniert, dann ist es gut – wenn nicht, dann ist es eben so.
In diesem Land wird einfach zu viel kreuzdämlicher Kram gefördert
Der Unsichtbar-Verlag blieb bei uns zum Beispiel unsichtbar, weil sein Portfolio zwar zur Kenntnis genommen wurde, aber hier nicht passte und das Preisgefüge (ein Kollege aus dem Sortiment merkte dies an anderer Stelle schon an) für uns ungenügend ist. Das im Beitrag an die Kulturpolitik gerichtete "Fickt Euch" halte ich für einen ganz blöden und schlechten Stil. Das ganze Fördergehampel ist sowieso kreuzdämlich, das wissen wir alle und für meine Begriffe wird in diesem Land einfach zu viel kreuzdämlicher Kram gefördert.
Eine gute Sache sollte also im besten Falle irgendwie aus sich selbst heraus funktionieren können – oder eben nicht. Dies bei den Verlagen wie bei uns Sortimentern auch. Und zusätzlich ins Merkheft: Wenn wir aufgrund der Vertreterempfehlung einen Titel eines Kleinverlags mutig einkaufen, nach erfolgreichem Verkauf mutig nachbestellen und dann feststellen, dass die Erstkonditionen beim Verlag und der Auslieferung NICHT hinterlegt wurden, dann verliere auch ich gelegentlich die Lust an Experimenten!
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mir ist durchaus bewusst, dass Kleinverlage leider nicht auf solche Apparate wie die der größeren Verlagshäuser zurückgreifen können, dies erwartet auch kein Sortimenter. Über den Umfang des in großen Verlagen im Bereich PR und Marketing so oft in den Sand gesetzten und verheizten Geldes brauchen wir auch nicht zu diskutieren – es ist zum Weinen. Ebenfalls klar ist die Tatsache, dass ein deutsches Feuilleton (oder das, was davon übrig ist) literarisch häufig nur noch bis maximal Hanser denken kann. Auch dies ist traurig genug, aber all die soeben genannten Faktoren unterliegen nicht dem Einfluss eines Sortimentsbuchhändlers.
Es bleibt die Frage, an welchen Schrauben wir Buchhändler drehen können. Dazu zählen selbstverständlich Entdeckerlust und Experimentierfreude, was dann dazu führt, dass unsere 75qm-Buchhandlung in den letzten Jahren zum Beispiel Titel des Maro oder Lilienfeld Verlages jeweils mit mehr als 100 Exemplaren unters Volk bringen konnte. Das funktioniert aber nur, wenn Inhalt und Verpackung tatsächlich zu 100% stimmen und nicht nur uns, sondern auch das Publikum begeistern können. Etablierte größere Häuser haben es da in der Tat leichter, weil Sie für unsere Kundschaft eine Marke darstellen, mit der der Leser eine gewisse Erwartung verbindet. Exakt an dieser Stelle deshalb nochmals der Hinweis, dass die Messlatte für Kleinverlage ungleich höher liegt – dies sehen wir, können es aber auch nicht ohne weiteres ändern.
Erfreuen tun wir uns nach wie vor an der verlegerischen Vielfalt und den von mir erwähnten Perlen, die es zu entdecken gilt. Auf die Palme bringen mich hingegen Kleinverleger, die teils mit völlig abgedrehten Themen aus der letzten Nische, teils auch mit echt interessanten Titeln dummerweise mit völlig indiskutabler Covergestaltung aufwarten, um nach dem Nichteinkauf das Lamentieren anzufangen und nach Subvention rufen. Sie glauben gar nicht, wie viel Müll sich in den durchgeforsteten 4 Metern Vorschau verbergen kann – in dieser Beziehung sind sich kleine und große Verlage übrigens sehr ähnlich.
Jens Bartsch – Buchhandlung Goltsteinstraße in Köln