Gar nicht so einfach, Sie live zu treffen – Sie scheinen immer unterwegs zu sein … Wo ist Ihr aktueller Lebensmittelpunkt?
Ich bin zu Hause in London, Mailand und Köln. Ich war schon immer viel unterwegs – noch während meiner Schulzeit war ich in Australien, nach dem Abitur in Panama, anschließend habe ich in London studiert. Dann war ich mit meiner Familie sechs Jahre lang überwiegend in Mailand, und vor einem Jahr sind wir wieder nach London gezogen. Das italienische Flair fehlt mir zwar, aber ich kann dort gut arbeiten, weil viele unserer Geschäftspartner dort leben.
In welchen Sprachen unterhalten Sie sich denn zu Hause?
Obwohl mein Partner Italiener ist, sprechen wir miteinander Englisch, weil wir uns in London kennengelernt haben. Mit unserer Tochter Aurelia spreche ich Deutsch, zu dritt sprechen wir Italienisch – klingt kompliziert, ist es aber nicht. In der Schule habe ich Spanisch und Französisch gelernt, in Mailand habe ich dann das Spanisch gegen Italienisch eingetauscht. Für die Verlagsarbeit sind die Sprachen auf jeden Fall von Vorteil.
In der Mailänder Altstadt haben Sie 2015 den ersten italienischen Taschen Store konzipiert – was unterscheidet ihn von den früheren Stores?
Vorher hatten unsere Läden eher eine Lounge-Atmosphäre, aber ich wollte den Store in Mailand weniger pompös, dafür heller, offener und farbenfroher gestalten. Der Künstler Jonas Wood lieferte die Motive für den venezianischen Terrazzoboden und einige Gio-Ponti-Stücke wie der Kronleuchter geben dem Laden die mediterrane Leichtigkeit. Die von Marc Newson entworfenen Möbel haben wir in Italien herstellen lassen. Kunsthandwerk hat dort einen ganz anderen Stellenwert und ist von unglaublich hoher Qualität. Auch ein wichtiger Teil unserer Buchproduktion kommt aus Norditalien. Gerade haben wir dort eine Buchbinderei gekauft, die nicht nur für den Vatikan arbeitet, sondern auch den größten Koran der Welt gebunden hat.
Das heißt, der Verlag geht in die Produktion?
Ja, wir haben uns zu diesem Schritt entschieden, weil wir großen Wert auf die Haptik unserer Bücher legen. Gute Qualität ist schwer zu kriegen, und die Kapazitäten sind oft ausgelastet. Die Beteiligung an der Binderei bedeutet Produktionssicherung. Mittelfristig möchten wir in der Nähe von Mailand ein größeres Produktions- und Distributionszentrum für den Verlag ausbauen, von Druckereien bis zu Möbelherstellern.
Also das Prinzip "Alles aus einer Hand"?
Es verändert das konzeptionelle Denken – wir sehen etwa bei der Buchbinderei jetzt erst, welche vielfältigen Möglichkeiten wir haben. Und mit einer Schreinerei kann ich mir die Buchstütze oder das Präsentationsmöbel für ein neues Buch schon gleich mitdenken und -gestalten lassen. Wir arbeiten immer mit denselben Geschäftspartnern zusammen, seit Jahrzehnten: kleine flexible Familienbetriebe, die wir unterstützen. Durch unsere Beteiligung sichern wir auch deren Existenz.
Sie sind seit zwei Jahren CEO von Taschen: Wie sieht die Arbeitsteilung mit Ihrem Vater aus?
Wir stimmen uns täglich ab, wobei wir die Zeitzonen berücksichtigen müssen, er lebt ja in Los Angeles. Wir haben ähnliche Grundvorstellungen, sind aber unterschiedlich, ich würde sagen: komplementär. Meine Aufgaben sind zunächst einmal organisatorischer Natur: Wie führen wir unsere 240 Mitarbeiter weltweit? Da müssen wir teils effizienter und schneller werden. Es kommt vor, dass wir eine absolut gute Idee haben, aber wir bleiben bei der Umsetzung an zu vielen Stellen hängen.
Wenn Sie die Arbeitsbeziehung zu Ihrem Vater als komplementär bezeichnen: Worin unterscheiden Sie sich beide?
Wir kommunizieren unterschiedlich. Ich bin gesprächiger, offener, treffe gern Leute und nehme ihm dadurch einen großen Teil der Kommunikation innerhalb des Verlags sowie nach außen ab. Ich urteile nicht so schnell, mein Vater schon, sicherlich auch aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung und Menschenkenntnis. Er hat ganz klare Vorstellungen, ist aber nicht beratungsresistent. Er gibt Input, ich setze um, aber dabei lässt er mir Freiräume. Und gibt Feedback.
Aber den Takt gibt Benedikt Taschen weiter vor?
Seine Figur und sein Spirit prägen den Verlag, sicher. Er ist ja auch erst 58 und arbeitet unverändert jede Buchseite gründlich durch. Aber mein Vater freut sich auch, wenn er Stress loswerden und Arbeit abgeben kann. Und dabei unterstütze ich ihn gern.
Braucht es in diesen Zeiten eine andere Arbeitskultur?
Ich denke schon. Nämlich mehr auszuprobieren und weniger Angst vor Fehlern zu haben. Fehler gehören dazu. Für ein solches Klima können wir die Arbeitsbedingungen verbessern. Damit wir letztlich weniger administrativ und mehr kreativ arbeiten. Die Führenden müssen auch wirklich gut führen können, das müssen die Richtigen sein, das kann nicht jeder. Wobei unsere Mitarbeiter sehr eigenständig arbeiten, sie identifizieren sich sehr mit Taschen.
Woher kommen die Ideen für Bücher?
Von den Menschen, mit denen wir arbeiten. Wenn wir Künstler wie Christo oder Ai Weiwei begleiten, entstehen Projekte. Dann kommen Ideen von außen, oder es gibt Jubiläen wie bei Rembrandt.
Welche neuen Themengebiete würden Sie reizen?
Ich würde gern mehr literarische Essays in Verbindung mit erstklassigem Bildmaterial wie bei James Baldwins »The Fire Next Time« veröffentlichen, oder auch Bücher zu Sachthemen wie Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit. Mich reizt das Menschliche, mich interessiert der Mensch als soziales Wesen. Außerdem finde ich das Thema Kochen spannend, und Kinder, aber beides bräuchte einen Kunstanspruch. Da müssen wir noch die richtige Taschenspezifische Form finden, durch die wir Bilder sprechen lassen können; jedes gute Buch braucht eine vernünftige Struktur, das darf sich nicht nur organisch entwickeln. Das Buch als verbindendes Element zwischen Kindern und ihren Eltern ist mir wichtig. Mein Vater hat uns immer vorgelesen und uns in seine Bücherwelt einbezogen. Das prägt.
Sie managen auch noch den internationalen Vertrieb – wie packen Sie das alles?
Irgendwie geht das schon alles (lacht) … aber im Oktober wird jemand die Position der internationalen Vertriebsleitung, Handel und Online übernehmen, da bin ich sehr froh. Die Rolle der Geschäftsführerin ist ja eigentlich eine andere, und die will ich jetzt stärker ausfüllen und noch mehr inhaltlich arbeiten.
Taschen hat ja eine riesige Bandbreite von Büchern, von zehn Euro bis hoch zu fünfstelligen Summen – womit werden die meisten Umsätze gemacht?
Wir möchten Kunst für alle, wir haben unsere Bibliotheca Universalis sowie die Kleine Reihe, in der jetzt eine Einführung zu Gerhard Richter erscheint, und das machen wir ganz bewusst niedrigpreisig zu zehn Euro. Dann haben wir am anderen Ende der Skala limitierte Editionen wie das Ferrari-Buch, dessen erste 250 Exemplare mit einer an einen Zwölfzylindermotor erinnernde Skulptur von Marc Newson für 45.000 Euro zu haben waren. Die waren superschnell ausverkauft. Das ist für die Zielgruppe der Sammler, und da gehen 85 Prozent über den Direktverkauf. Aber unsere preisgünstigen Bücher machen den größten Umsatzanteil aus, und hier verkaufen wir das meiste über den stationären Handel.
Taschen verwertet Novitäten oft gründlich mehrfach – ist nur so der große Aufwand zu finanzieren?
Im Rembrandt-Jahr bieten wir jetzt zum Beispiel den gesamten Rembrandt, wir lassen die Originale neu fotografieren und drucken die Gemälde auf schwarzem Untergrund, weil so die Braun- und Gelbtöne erst zum Leuchten kommen. Das heißt, wir machen einmal das ultimative Buch, in mehreren Sprachen. Wir starten mit dem XL-Format zu 150 Euro, man sieht jedes Detail. Und dann deklinieren wir das später in immer kleinere Formaten runter. So ist für jeden Geldbeutel was dabei, und so rechnet es sich.
Welche Aufgaben haben Sie als CEO noch auf dem Zettel?
Von der Effizienz und der wegfallenden Angst vor Fehlern haben wir schon gesprochen; ein Punkt ist noch, wie wir besser nach außen kommunizieren können. Und all unsere Datenbanken sind selbst programmiert – da müssen wir ran, das müssen wir professionalisieren und die Standards der Branche stärker nutzen. Ich könnte jetzt noch einiges mehr auflisten, aber das sind ein paar der wichtigen Themen, mit denen ich mich befasse.
Einer Ihrer Autoren erhält am 20. Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Sebastião Salgado, den Sie schon länger kennen ...
Ich freue mich so über diese Auszeichnung für ihn! Es ist aber auch eine tolle Wahl, dass in einer bilddominierten Welt ein Fotograf den Preis bekommt, der so viele kritische Dinge angesprochen hat. Salgado und seine Frau habe ich kennengelernt, als es 2013 die "Genesis"-Ausstellung gab. Ich hatte damals überlegt: Was passt als Merchandising zur Ausstellung? Eine Tasche, ein T-Shirt?
... als Erweiterung des Portfolios?
Wir haben als Verlag ja viel Potenzial. Unser Markenname ist das Fundament, wir haben weltweit gute Verbindungen zu Künstlern. Aber mir wurde klar, dass wir damit besser extern anfangen und dann Produkte in den Verlag einbinden; wir sind ja auf Bücher konzentriert. Generell können wir aber auch jenseits gedruckter Seiten denken. Wir wollen zum Beispiel mit Ai Weiwei Seidenschals produzieren, die dann in Museumsshops angeboten werden können.
Mit "Gold" ist jetzt bei Taschen Salgados Fotoband über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in einer brasilianischen Mine erschienen: Der wievielte Salgado-Band ist das im Verlag?
Der sechste. Wir sehen uns als sein Verlag, wir würden jede seiner Reportagen veröffentlichen. Sebastião war verletzt, konnte nicht arbeiten und hatte überlegt, die 1986 entstandenen Aufnahmen zu "Gold" als Buch herauszugeben. Sebastião und seine Frau Lélia sind ein so inspirierendes Paar. 1998 haben sie das Instituto Terra gegründet, das schon über zwei Millionen Bäume zur Wiederaufforstung gepflanzt hat. Ihnen geht es um Klimaschutz, die Verringerung des CO2-Ausstoßes, den Regenwald – auch für mich ganz wichtige Anliegen.
Wie sieht es beim klimaneutralen Produzieren bei Taschen aus?
Wir reduzieren Plastik, wir überlegen, wo man wirklich Folie braucht. Und es gilt, unnötige Transportwege zu vermeiden. Viele Möglichkeiten für den Klimaschutz gibt es aber beim Produzieren, beim Drucken – Aufgaben, denen wir uns schrittweise nähern. Da suchen wir entsprechende Partner. Man muss es wollen. Und wir wollen.