Preisgeld, das die einen erhalten und die anderen nicht, führt in der Buchbranche öfters zu heiklem publizistischem Betrieb. Die laute Klage der wenigen übertönt die stille Freude der vielen. Das dabei öffentlich abgegebene Bild ist zum Fremdschämen peinlich. Zur Schadensbegrenzung gehört es dann, den Klagenden mindere Motive zu bescheinigen. Woraufhin deren Ärger noch ärger wird. Geld macht insgesamt einfach nicht glücklich.
Statistik scheint den entsprechenden Neid-Verdacht denn auch nahezulegen. Kritik am Preis kommt ausnahmslos von Verlagen, die ihn vorerst nicht bekommen haben. Zu den Verteidigern hingegen gehören durchaus Bewerberverlage, die beim ersten Mal kein Glück hatten. Ob dieser Zusammenhang ein zufälliger ist oder ein anderer, lässt sich aufgrund der kleinen Fallzahl nicht beurteilen. Wahrscheinlich besser so.
Aber zu den traurigen Details: Dass bei einer Preispremiere, der stabile Routinen noch fehlen, eine E-Mail versehentlich mit offenem Verteiler rausgeht; dass ein Verlag oberhalb der Umsatzgrenze kurzzeitig auf die Nominierungsliste gerät; dass irgendwo eine falsche Postleitzahl kursiert – geschenkt, liebe Leute! So etwas passiert, wo Menschen arbeiten. Wer das zum Inhalt Offener Briefe machen möchte, soll es tun. Mein Rubrikenvorschlag wäre: Pillepalle.
Schwer hingegen wiegt der verschiedentlich, erstmals am 23. September vom Smart & Nett Verlag erhobene Vorwurf, fünf der sieben Jurymitglieder stünden "in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu einem der Gewinner und profitieren von der Förderung". Damit insinuiert Smart & Nett weder smart noch nett, dass die Jury mehrheitlich im Interesse einer Selbstbegünstigung zu Werke gegangen ist. Wer so argumentiert, gibt – wahlweise – seine enorme Verdächtigungsbereitschaft zu erkennen oder seine Ahnungslosigkeit in Bezug auf praktische Juryarbeit und die dabei geltenden (geschriebenen wie ungeschriebenen) Regeln.
Zu den geschriebenen Regeln gehörte diesfalls eine übliche Befangenheitsklausel, der zufolge Jurymitglieder an der Beratung und Entscheidung in Einzelfällen immer dann nicht teilnehmen, "soweit sie selbst, Angehörige oder natürliche oder juristische Drittpersonen, zu denen eine spezielle Bindung oder Abhängigkeit besteht, vom Gegenstand der Entscheidung unmittelbar oder mittelbar betroffen sind". (Hätte man recherchieren können, hätte aber den verschwörungstheoretischen Impetus der Einwände geschwächt.)
Zu den ungeschriebenen Gesetzen der Arbeit in Preisgerichten gehört es, dass Jurymitglieder sich schon aus unmittelbarem Eigennutz hüten würden, als Parteigänger von Preiskandidaten zu argumentieren. Wer das als Juror einmal versucht, hat seine Karriere als urteilsfähiger und deshalb gefragter Experte wohl hinter sich. Man unterschätze nicht die kollegiale Hygiene (pathetisch: Berufsethos), die in solchen Gremien waltet.
Andersherum gedacht: Natürlich ließe sich eine Verlagspreisjury vorstellen, von der man sicher sein könnte, dass kein Mitglied in irgendeiner Verbindung zu einem sich bewerbenden Betrieb steht. Das wäre dann perfekt organisierte Wirklichkeitsferne und käme dem "Lostopf" (so lautet ein weiterer Vorwurf an das angeblich intransparente Vergabeverfahren) tatsächlich nahe. Die den Preis vergebende Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat sich erfreulicherweise klüger entschieden: für fachliche Expertise bei gleichzeitigen Schutzmechanismen im Fall möglicher Interessenkonflikte.
Ein zweiter wesentlicher Kritikpunkt ist ergiebiger. In seiner trivialen Variante geht der Vorwurf so: Die Kurt-Wolff-Stiftung (KWS), auf deren Initiative der Preis überhaupt erst zustande kam und die an der Konzeption der Teilnahmebedingungen mitgewirkt hat, sei das Zentrum einer "Klüngelwirtschaft" (Marc Berger von den fränkischen Schwarzdruckern), welche die Mitglieder der Stiftung begünstige, indem sie Nichtmitglieder ausgrenze. Beweis: Wer die Kriterien zur Aufnahme eines Verlags in der Stiftung mit den Teilnahmekriterien für den Deutschen Verlagspreis nebeneinanderlegt, sieht große Schnittmengen.
Die Behörde der Kulturbeauftragten versichert: Weder am Bewerbungsverfahren noch an der Jurysitzung oder anderen mit der Preisvergabe in Zusammenhang stehenden Vorgängen sei die KWS beteiligt gewesen. Auch sei für die Jury eine KWS-Mitgliedschaft (desgleichen eine Mitgliedschaft im Börsenverein) nicht relevant gewesen, sie sei im Bewerbungsverfahren auch nicht abgefragt worden. Das wird man vernünftigerweise nicht anzweifeln wollen.
Lohnenswert erscheint jedoch eine Debatte, die tiefer nachfragt: Ausdrückliches Ziel des Deutschen Verlagspreises ist die Diversität der Buchproduktion. Zudem soll die Wirtschaftlichkeit kleiner unabhängiger Verlagsunternehmen gestärkt werden. Das heißt implizit aber auch, die Förderung zielt auf Verlage, die erkennbar in wirtschaftlicher Absicht am Markt tätig sind. Eine gewisse Umsatzgröße, Kontinuität und Umfang der Produktion sowie ein Professionalisierungsgrad, der diese Zielgruppe jedenfalls von privater Gelegenheitspublizistik aus purer Liebhaberei unterscheidet (Indikatoren: ISBN, Auslieferungsstruktur, inhaltliches Profil), werden also gebraucht.
Die Frage ist nur: Welche konkreten Grenzziehungen sind im Sinne des Diversitätszieles funktional? Und wie viel Bürokratie im Bewerbungsverfahren ist erforderlich, um die richtigen Kandidaten gut erkennbar werden zu lassen?
Hier melden selbst Verlagsleute, die den neuen Preis gegen seine eilfertigen Kritiker verteidigen, Gesprächsbedarf an. Stellvertretend sei Satyr-Verleger Volker Surmann zitiert, der auf Facebook eine vehemente Kritikerkritik postete, darin allerdings auch anmerkt: "Ich wünsche mir einen Deutschen Verlagspreis, der weniger bürokratisch ist und breiter aufgestellt ist." Surmann regt an, das Bewerbungsverfahren zu "entschlacken". Er plädiert dafür, künftig "etwas weniger Richtung etablierten Literaturbetrieb" zu schauen "und offener gegenüber anderen publizistischen Feldern" zu werden.
So ist wohl auch Jana Reich vom Hamburger Independent-Verlag Marta Press zu verstehen, wenn sie, ihre Kritik an der ersten Preisvergabe resümierend, auf der eigenen Verlagswebseite schreibt: "Man hätte die Fördersumme von einer Million Euro auch anders verteilen können. Als Zeichen für die Anerkennung und Unterstützung der Vielfalt, nicht nur für 'Leuchttürme'." Die Liste der ersten Preisträger macht aus der Sicht von Jana Reich deutlich, "dass die wirklich kleinen Verlage noch keine eigenen hörbaren Netzwerkstrukturen haben". Netzwerkstrukturen ganz im Sinne eines Satzes der autistischen Schriftstellerin Donna Williams, den die Marta Press ihrer Website voranstellt: "Ich bin eine Kultur, die einen Ort sucht, an dem sie sich ereignen kann."
Einwände dieser Art und Begründungstiefe aufzunehmen und in Ruhe zu besprechen – ohne das unerfreuliche Gemisch aus Enthüllungsfuror, Verschwörungstheorie und Verdächtigungswut – wäre alle Mühen wert. Denn schließlich versteht sich auch der neue Deutsche Verlagspreis, wie fast jede Kulturförderung, als eine Maßnahme zur Stärkung von Diversität, Unabhängigkeit und Qualität. Er ist insoweit ein normatives Projekt. Vielleicht lassen sich mit etwas Kreativität die Zugangsbedingungen das nächste Mal noch stärker flexibilisieren. Und die Geldinfusionen in noch feinere Kapillaren des Verlagswesens pumpen.
Ein Verlag verweist darauf, dass Jurymitglieder einigen preisgekrönten Verlagen irgendwie nahe stehen, das stimmt zwar, aber die Jury hat per Unterschrift versichert, neutral zu bleiben, also hat sie "ihren" Verlagen "neutral" Preisgeld zugeschustert.
Vom Ministerium zugegebene Datenschutzverstöße sind m. E. auch nicht "Kinderkrankheiten" und "pillepalle".
312 Verlage haben interne Infos zum eigenen Verlagsprofil und ihren Innovationen preisgegeben an Jurymitglieder, die der Konkurrenz nahestehen.
Es kann doch nicht so schwer sein, eine neutralere Jury zu benennen.
Aber diese ist nun auch noch für drei Jahre gewählt!
Und die Verbindungen zur Kurt-Wolff-Stiftung (KWS) hätte man vermeiden MÜSSEN: der Leiter der Durchführung des Verlagspreises im Ministerium Oliver Schenk ist zugleich verantwortlich für die Jurysitzungen UND er sitzt im Kuratorium der KWS! Die KWS tritt als Kooperationspartner des Verlagspreises auf und der gesamte KWS-Vorstand wird mit Preisgeldern ausgezeichnet!
Welcher Verlag in der KWS ist, weiss fast jeder, der sich nur etwas mit der bundesweiten Literatur- und Verlagswelt auskennt. Das muss dann bei der Bewerbung auch nicht extra abgefragt werden.
Das hat nix mit "Verschwörungstheorien" zu tun, sondern ist sachliche und berechtigte Kritik.
#schlechteargumentesindhalttrotzdemschlecht
Ein engagierter, kleiner, literarischer Verlag, dem die Kurt-Wolf-Stiftung egal ist ؘ– zumindest erstaunlich.
Funktionierende, differenzierte Qualitätskriterien nicht zu nutzen, nur weil sie eine andere, hoch verdiente und anerkannte Institution in ähnlicher Weise schon nutzt, hat was Kindisches.
Dass erstaunlich viele Sach- Fach- und Kinderbuchverlage unter den Preisträgern sind, lässt sich offensichtlich trefflich ignorieren.
Es gibt eine zuverlässige Methode, politisch und ökonomisch wirksame Kulturförderung den Garaus zu machen: diese „Debatte“. Dass Ignoranz, Unwillen, Neid und Unfreundlichkeit jetzt auch in unserer Branche Fuß fassen, macht mich schlicht traurig. Es gibt so viel zu verlieren, damit sollten wir verantwortungsvoll umgehen.
Machen solche Verdächtigungen künftigen Jurymitgliedern eigentlich noch Lust, erneut an der Vergabe eines Deutschen Verlagspreises mitzuwirken? Und motivieren derartige Unterstellungen die Beauftragte der Bundesregierung, ihn überhaupt noch einmal auszuschreiben?
Juryentscheidungen muss man hinnehmen, so wenig sie einem passen, so ist das nun einmal. Zudem bezweifle ich, dass es in unserer Branche irgendwelche potentiellen JurorInnen gibt, die nicht mit irgendeinem Verlag geschäftliche Beziehungen pflegen. Alles andere wäre auch absurd.
Auch ich könnte z.B. klagen, dass der eine Autor oder die andere Autorin nie für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde - aber es gab zu diesem Zeitpunkt offensichtlich andere, die für die Jury in ihrer Gesamtheit (und darum geht es ja auch immer) überzeugender waren. Zwei Jahre später wäre das Urteil möglicherweise anders ausgefallen. Glück gehört immer auch dazu.
Nur vorerst, also. Soll das heißen, dass diesen Preis JEDER Verlag irgendwann mal bekommen soll/wird? Was für ein "Preis" soll denn das sein, bei dem die Bewerbung, das "Unabhängig" und ein Umsatz unter 3 Millionen Euro das entscheidende Element sind? Gehts also nur darum, Geld in die Verlagsbranche zu schaufeln? Dann hätte man ja auch das österreichische Fördersystem übernehmen können. Da muss man nur Nachweisen, dass man Bücher produziert, um bis zu 50.000 Euro zu bekommen. Auf Qualität und Orginalität wird da gar nicht erst geprüft - wie bei diesem Preis hier wohl auch nicht.
@Thomas Casimir: Danke, dass ich als Kleinverleger mit einem Programm, dass nicht auf den Mainstream zielt, sondern sich der Pflege der lokalen Literaturszene verpflichtet fühlt (die oft besser ist, als der hochtrabende Literaturbetriebler denkt), offensichtlich für Ihn nicht zu den Verlagen zähle, die mit witschaftlicher Absicht, Kontinuität und Umfang der Produktion sowie Professionalisierung arbeite und ich ja nur "private Gelegenheitspublizistik aus purer Liebhaberei" betreibe (und das sogar schon seit über 10 Jahren). Was für eine herablassende Unverschämtheit erlauben Sie sich da eigentlich? Glauben Sie, wir Kleinen hätten keine ISBN-Nummern an unseren Büchern, sind nicht beim Groß- und Einzelhandel vertreten oder haben kein inhaltliches Profil? Nur weil unsere Autoren nicht am Leipziger Literaturinstitut studiert haben?
So lange die Branche der Meinung ist, dass es Verlage gibt, die weniger Wert sind als andere, nur weil sie keinen Mainstream produzieren (ich denke da auch an die Kollegen die Comics oder Phantastik machen) und nicht dem klassischen "Berufsethos" des Literaturbetriebs folgen, wird hier nichts besser werden und Amazon wird uns alle zurecht eines Tages fressen. Der Literaturbetrieb bildet schon lange nicht mehr die Wirklichkeit der Autoren und Buchproduzenten ab. Man denke nur an die Ignoranz gegenüber den Selfpublishern.
Für meinen Teil stecke ich weiterhin lieber jeden Euro in meine Bücher, als in Teilnahmegebühren für einen ausgeschacherten Verlagspreis mit intransparenter Jury, Mitgliedsbeiträge für einen Verein, der mich offenbar nicht ernst nimmt, und eine Verbandszeitung, deren Chefredakteur nur Verachtung für mich hat.
Genau das ist der Punkt. Ich frage mich gerade, warum ich Mitgliedsbeiträge für einen Verein und aufwende, der mich offenbar verachtet.
Die Frage hätte ich gern tatsächlich von der Redaktion des Börsenblattes beantwortet.
Der Deutsche Verlagspreis richtet sich an unabhängige Verlage unterhalb einer festgelegten Umsatzgrenze, die mit großem inhaltlichen Engagement und in wirtschaftlicher Absicht gute Bücher machen. Davon gibt es sehr viel mehr als die 66, die jährlich ausgezeichnet werden. Wenn Sie, Herr Hellinger und Herr Alster, mit Ihren Büchern dazugehören: Glückwunsch und Respekt!
Wie Sie in meinem Text haben (bzw. hätten) lesen können, bin ich dafür, dass die Preisausrichter das Procedere der Bewerbung etwas verschlanken und ihre Auswahlkriterien weiter flexibilisieren (was übrigens bereits diesmal in Einzelfällen beim Kriterium "Umfang der Produktion" meines Wissens geschehen ist), damit noch mehr Kleine unter den Kleinen ins Blickfeld geraten. Ich bin dafür, weil dieser weite Blick am besten das Ziel fördert, um das es geht: Diversität und Qualität der kleinen Unabhängigen sichtbar zu halten und zu würdigen. Schon heute ist Mainstream kein Argument für die Preisvergabe, sondern ein Gegenargument; und schon heute wäre der Fokus eines Verlags auf eine lokale Literaturszene kein Grund, nicht ausgezeichnet zu werden.
Dass ich der Meinung sei, auf Ihre verlegerische Arbeit träfen die in der Preisausschreibung geforderten Qualitätsmerkmale nicht zu, habe ich nirgends geschrieben, nirgends nahegelegt und nirgends gemeint. Das haben Sie, mit Verlaub, erfunden.