Als die Menschen 1989 in Leipzig auf die Straße gingen, wollten sie nicht nur "visafrei bis Hawai" reisen, sie forderten das Ende der Zensur und eine wirklich freie Presse. Medienfreiheit, so viel war klar, ist unabdingbar für die Demokratie. 30 Jahre nach der friedlichen Revolution und 60 Jahre nach seiner Erfindung wurde der Gutenbergpreis der Stadt Leipzig nun erstmals nicht an eine Person, sondern für eine Idee verliehen: Mit der Auszeichnung der Initiative Fonts for Freedom will die alte Buchstadt auf die politische Dimension der Typografie hinweisen – und zeigt sich so einmal ganz unnostalgisch auf Ballhöhe. In Zeiten weltumspannender digitaler Informationsverbreitung, in denen sich auch die Reichweite von Zensur grundlegend ändert, verteidigt Fonts for Freedom mit neuen Werkzeugen traditionelle demokratische Werte.
Schriften als Symbole der Pressefreiheit
Mit Fonts for Freedom haben die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen, die Hamburger Agentur Serviceplan und das Berliner Designstudio bBox Type die Schriften von neun verbotenen oder geschlossenen Tageszeitungen zur kostenfreien Nachnutzung rekonstruiert – um sie so mit jeder Verwendung zu Symbolen der Pressefreiheit werden zu lassen. Konkret handelt es sich dabei um Schriften von Zeitungen aus der Türkei, aus Tansania, Vietnam, Kambodscha, Aserbaidschan, Ungarn und Russland. Auf der Website fonts-for-freedom.com kann jeder diese Schriften kostenlos herunterladen – und direkt eigene Botschaften für die Pressefreiheit veröffentlichen und teilen. Dazu werden auf der Plattform auch die Hintergrundgeschichten zu den verschwundenen Zeitungen dokumentiert; Plakate und eine extra zur Preisverleihung gedruckte Zeitung führen die Botschaft in den analogen Raum. "Fonts for Freedom zeigt, was durch Verbote unsichtbar gemacht werden sollte", sagte MDR-Intendantin Karola Wille bei ihrer Laudatio. "Eine Idee, die so simpel wie genial ist.“ Selbst die Einladung zur Preisverleihung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum wurde in den Schriften von sechs geschlossenen Zeitungen gestaltet – darunter etwa die erst 2018 dichtgemachte Magyar Nemzet aus dem EU-Mitgliedsland Ungarn. Das 1938 gegründete Blatt war die letzte nicht von der Orban-Regierung kontrollierte überregionale Tageszeitung Ungarns; im April letzten Jahres musste sie aus "finanziellen Gründen" schließen.
"Die Pressefreiheit muss täglich verteidigt werden"
In Leipzig dabei war sowohl das für die Kampagne verantwortliche Kernteam von Serviceplan wie auch Anja Meiners und Ralph du Carrois von bBox. Stellvertretend für Reporter ohne Grenzen nahmen Kommunikationschefin Sylvie Ahrens-Urbanek und Vorstandsmitglied Matthias Spielkamp den mit 10.000 Euro dotierten Preis entgegen. Spielkamp, der als Mitgründer und Herausgeber des Online-Magazins iRights.info auch Sachverständiger in diversen Bundestagsanhörungen, unter anderem zu Urheberrecht und Netz-Journalismus, war, nutze seine Dankesrede zunächst für moderate Kritik am novellierten Urheberrechtsgesetz – in seinen Augen "sicher nicht die letzte Antwort, um einen Ausgleich zwischen Informationsfreiheit und Investitionsschutz zu schaffen". Angenehm, dass Spielkamp in der Feierstunde, in der auch eine verjazzte Version von "Die Gedanken sind frei" nicht fehlen durfte, auf wohlfeile Schuldzuweisungen an Zwerg-Autokratien am hinteren Weltende verzichtete. Zwar war der Dankredner bemüht, nicht den Eindruck zu erwecken, "als müssten demnächst Schriften sächsischer Zeitungen in die Kampagne aufgenommen werden". Dennoch ist Sachsen für ihn durchaus ein Bundesland, das sich mit der Pressefreiheit nicht immer leichttut: "In keinem anderen Bundesland", so Spielkamp, "sind so viele Journalisten Ziel tätlicher und verbaler Angriffe". Beunruhigendes Fazit: "Die Pressefreiheit muss täglich verteidigt werden – überall."