Kolumne von Martina Bergmann

Romane lesen und verkaufen

2. Januar 2019
Redaktion Börsenblatt
Hochwichtige Bücher bleiben gern mal liegen, Martina Bergmann liest am liebsten Romane. Warum? Sie lesen sich schneller, sorgen für Umsatz in der Buchhandlung und sind emotionaler als die schlauen Bücher, meint die Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen.

Freitag nach Weihnachten versammelte das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" die Bücher des Jahres von 51 Personen, die kulturell bedeutsam sind. Man ist ja an so einem Freitag nach Weihnachten noch etwas leer im Kopf und hat natürlich nichts von dem hoch wichtigen Bücherberg gelesen, der sich im Hinterzimmer auftürmt. Also haben ich mit den kulturell wichtigen Personen angefangen. Für die Statistik: 19 der 51 haben selbst Bücher geschrieben, die ich 2018 in meiner Buchhandlung bewegt habe. Elf lagernd, acht auf Bestellung. Die Empfehlungen: Inhaltlich viel Besorgnis (Rechtsradikale, Flucht und Vertreibung, Daten, Konsumkritik), stilistisch nur vom Besten. Es sind, in einem Satz, die ganzen Bücher, die ich mir häufig kaufe, aber selten lese. Ich lese meistens Romane.

Ich lese Romane, weil ich Romane mag. Und außerdem muss ich ja wissen, wozu ich den Kunden rate. Sie wollen wissen, ob es schöne Sprache ist, mehr Handlung oder mehr Beschreibung, ob es gerade noch erträglich oder doch zu grausam ist. Kunden fragen, ob ein Roman sie erheitert, ermuntert, tröstet, berührt. Ob sie aus einem Roman etwas lernen. Romane sind emotionaler als die schlauen Bücher, die man anhäuft wie ein geistiges Kapital. Man braucht im Leben beide. Aber ich glaube nach diesem Jahr, als Buchhändler braucht man die Romane etwas mehr als das andere. Der eine, banale Grund: Romane lesen sich schneller als Sachbücher; es sei denn, diese handeln vom Wintergrillen. Also, man braucht Romane, weil man Umsatz braucht. Lyrikbände und Kunstkataloge sehen schön aus und sind wichtig fürs Prestige. Aber der Umsatz kommt von den Romanen.

"Jeder Roman ist eine Welt für sich"

Der zweite Grund: Romane schaffen Welten. Sie erzählen Geschichten, lassen Figuren etwas erleben, vor einer Kulisse gern, die anders ist als das, was man täglich sieht. Die Kulisse ist zeitlich oder räumlich weit weg, die Figuren unterscheiden sich sozial vielleicht sehr stark ihren Lesern. Oder auch nicht. Vielleicht ist es genau das Gegenteil, und jemand liest einen Roman, um darin zu entdecken, dass es jemandem ergeht wie ihm. Das kann ihn seiner selbst versichern und bestärken. Oder auch nicht. Es kann sein, ein Roman bietet gute Unterhaltung, fesselt und amüsiert, lenkt ab, macht Spaß. Ein und derselbe Roman kann für unterschiedliche Leser verschieden funktionieren, kann den einen gefallen und die anderen verärgern. Ich finde das herrlich. Etwas akademischer würde man sagen, eines der Hauptkriterien von Literarizität ist Mehrdeutigkeit. Als Buchhändlerin: Jeder Roman ist eine Welt für sich.

Ich wünsche Ihnen, dass sie 2019 viele Romane lesen und verkaufen. Damit Sie Umsatz machen, sich unterhalten und immer neue Perspektiven auf die Welt da draußen haben. Und wenn Sie über Ihren Lektüren versäumen, worüber sich Internet und Feuilleton gerade aufregen: Macht nichts. Auch in 360 Tagen werden berufene Personen Ihnen alles zusammenfassen, was Sie zufällig oder absichtsvoll überlesen.


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