Bei der Edition der Heidegger-Gesamtausgabe hat es kürzlich einen Generationswechsel gegeben. Der inzwischen 93-jährige Hermann Heidegger, Martin Heideggers zweitältester Sohn, hat die Herausgabe der Werke an seinen Sohn Arnulf übergeben. Wird sich jetzt etwas am Umgang mit dem Werk ändern?
Klostermann: Es wird insofern keine Änderung eintreten, als Arnulf Heidegger die Edition im Sinne seines Vaters fortsetzen wird. Ob hier und da ein anderer Akzent gesetzt werden wird, bleibt abzuwarten.
Der Enkel wird also den Editionsplan, den Martin Heidegger zu Lebzeiten bestimmt hat, weiter ausführen ...
Urban: Ja, es heißt ja deshalb auch „Ausgabe letzter Hand“.
Hat Heidegger denn selbst festgelegt, dass die „Schwarzen Hefte“ erst sehr viel später veröffentlicht werden – eher gegen Ende der über 100-bändigen Edition?
Klostermann: Er hatte den Editionsplan ungefähr bis Band 70 ausgearbeitet und die Weiterführung der Edition seinem Sohn Hermann übertragen.
Urban: Klar war allerdings, dass die „Schwarzen Hefte“ erst ganz am Schluss der Gesamtausgabe erscheinen sollten. Sie waren die ganze Zeit über sekretiert, und außerhalb der Familie kannte sie niemand.
Klostermann: Nicht einmal der Privatsekretär Heideggers aus seinen letzten Jahren, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, durfte sie lesen. Martin Heidegger hat dies gegenüber seinem Sohn Hermann ausdrücklich bestätigt.
Hat Heidegger die Veröffentlichung bewusst aufgeschoben, weil er um die Brisanz des Inhalts wusste – und weil er nicht die Rezeption seines übrigen Werks stören wollte? Oder hat er die „Schwarzen Hefte“ als Höhepunkt seines philosophischen Denkens verstanden?
Klostermann: Als Höhepunkt hat sie sein Sohn Hermann interpretiert, aber darüber gehen die Meinungen der Beteiligten auseinander. Peter Trawny, der Herausgeber der Bände 94 bis 96 der Gesamtausgabe, die den ersten „Schwarzen Heften“ gewidmet sind, hielt es im übrigen (wie auch der Verlag) für notwendig, sich in einer gesonderten Publikation zur Antisemitismus-Problematik in den „Schwarzen Heften“ zu äußern. Das Nachwort in der Edition hätte dazu nicht den Raum geboten. Es lag uns auch viel daran, dass das Thema nicht von außen auf den Verlag zukommt, sondern im eigenen Haus bearbeitet wird. Übrigens war die erste Auflage von Trawnys Buch innerhalb von vier Wochen nach Erscheinen ausverkauft. Und die Einzelverkäufe der Bände 94 bis 96, in denen die ersten „Schwarzen Hefte“ abgedruckt sind, sind wegen des enormen Presse- und Medienechos ungewöhnlich groß.
Liegt nun für immer ein Schatten über dem Werk Martin Heideggers? Wie gehen Sie als Verleger damit um?
Klostermann: Die jetzige Zuspitzung der Diskussion auf die antisemitischen Äußerungen ist sicher verständlich. Jürgen Kaube meinte sogar, man müsse sich nicht wundern, wenn man sich nur noch mit der Biographie Heideggers, aber nicht mit mehr mit dem Werk beschäftigten wolle. Nachdem sich jedoch die erste Aufregung über den so lange verheimlichten Antisemitismus gelegt hatte, erschienen in mehreren Zeitungen substanzielle Artikel, die zeigen, dass die Auseinandersetzung weitergeht. Das entschuldigt aber nicht das menschliche Versagen Heideggers: kein Wort des Bedauerns zu finden angesichts brennender Synagogen und wohl wissend, dass viele Kollegen emigrieren mussten.
Urban: Nachdem die Stellen aufgetaucht sind, war für uns klar, dass man damit an die Öffentlichkeit gehen muss und nicht bis zum Ende der Gesamtausgabe warten darf. Deshalb haben wir alles daran gesetzt, die ersten drei Bände der „Schwarzen Hefte“ so schnell wie möglich zugänglich zu machen. Das gilt auch für das noch nicht publizierte Heft des Jahres 1945/46, das jetzt vom Marbacher Literaturarchiv aus dem Bestand des Literaturwissenschaftlers Silvio Vietta erworben wurde. Die Kopien liegen unserem Herausgeber bereits vor.
Heideggers Werk übt eine weltweite Wirkung aus. In wie viele Sprachen ist es bisher übersetzt worden?
Urban: In mehr als 20 – von A wie Arabisch bis U wie Ungarisch. Die meisten Bände werden ins Englische, Spanische, Italienische und Japanische übersetzt. Japan hat als einziges Land einen Vertrag über die gesamte Werkausgabe abgeschlossen, und zwar schon in den 70er Jahren.
Verdienen Sie inzwischen mehr mit den Lizenzen als mit dem Inlandsverkauf der Bücher?
Urban: Die Lizenzgebühren sind schon beträchtlich. Das dürfte sich in etwa die Waage halten.
Natürlich verkaufen Sie auch deutschsprachige Ausgaben ins Ausland ...
Klostermann: Wir haben allein 200 Abonnenten in Japan.
Wann wird die Heidegger-Gesamtausgabe abgeschlossen sein?
Urban: Sie ist auf 102 Bände angelegt, es fehlen noch einige editorisch schwierige Bände und fünf Bände mit „Schwarzen Heften“.
Das Programm von Klostermann ist inzwischen viel breiter gefächert, so dass Sie nicht auf Gedeih und Verderb auf Heidegger angewiesen sind ...
Klostermann: Das ist uns auch ganz wichtig, dass wir – auf dem Gebiet der Philosophie - nicht mehr nur der Verlag der Heidegger-Schüler sind, wie noch bis in die 60er Jahre hinein. Seit den 70er Jahren haben wir uns immer mehr davon gelöst, sind heute einer der wichtigsten Verlage für philosophische Forschungsliteratur.
Urban: Wir haben die Produktion auch auf anderen Verlagsgebieten ausgeweitet. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere bibliothekswissenschaftliche Reihe, mit deren Entwicklung ich sehr zufrieden bin, und die wir in letzter Zeit auch für zeitgeschichtliche Themen geöffnet haben.
Klostermann: Natürlich sind wir auch auf unsere anderen Verlagsgebiete stolz, beispielsweise die Thomas- Mann-Studien, die inzwischen 46 Bände umfassen, und auf die „Rote Reihe“, unsere wissenschaftliche Taschenbuchreihe.
Sind Sie auch mit der Umsatzentwicklung zufrieden?
Klostermann: Ja, es bewegt sich alles in einem bescheidenen, aber auskömmlichen Rahmen – auf jeden Fall aber im „schwarzen“ Bereich.
Interview: Michael Roesler-Graichen
Neuerscheinungen zu Martin Heidegger werden im aktuellen Börsenblatt Spezial Fachbuch (18/2014) auf Seite 26 vorgestellt.