Dürfte der Börsenverein überhaupt im Namen der Verlage kollektive Vergütungsvereinbarungen aushandeln?
Ich bin keine Juristin, aber meines Wissens ist der Börsenverein nicht autorisiert, für Verlage oder Buchhändler Tarifverträge abzuschließen. Das weiß die Gegenseite seit jeher, denn Verdi selbst schließt die Tarifverträge für die Verlagsbeschäftigten ja auch nicht mit dem Börsenverein ab. Übrigens halte ich die Zahl von 140 000 dort organisierten Kreativen für reine Prosa.
Ist es sinnvoll, wenn sich Verlage zusammenschließen, um gemeinsame Vergütungsregeln (wie 2005 für die Belletristik) zu vereinbaren?
Die Verlage haben sich sinnvollen Regelungen nie verschlossen und finden dann dafür auch eine Form. Die bis heute verbindliche Vergütungsregel Belletristik, an der ich selbst aktiv beteiligt war, kam auch deswegen zustande, weil mit Herrn Hucko vom Bundesjustizministerium ein souveräner Moderator beteiligt war. Damals war das Bundesjustizministerium keine voreingenommene "Partei". Das hat sich offenbar wieder geändert.
Weshalb liegt es im gemeinsamen Interesse von Verlagen und Autoren, bei Vertragsverhandlungen einen möglichst großen Gestaltungsspielraum nutzen zu können – auf der Grundlage des gemeinsam mit dem VS verabschiedeten Normvertrags?
Auch der neue Normvertrag beweist, dass die Verlage sich jederzeit aktiv an konstruktiven Regelungen beteiligen. Hierbei muss der Gestaltungsrahmen großzügig sein, nicht nur wegen der grundsätzlich garantierten Vertragsfreiheit. Die Absicherungen „nach unten“ sind durch die Gerichte doch längst festgelegt.
Von Gewerkschaftsseite wird immer wieder der Vorwurf geäußert, Autoren und „Verwerter“ (also Verlage) verhandelten nicht "auf Augenhöhe" – so begründet auch Bundesjustizminister Heiko Maas die Notwendigkeit des Gesetzentwurfs. Gibt es tatsächlich eine spürbare Asymmetrie zwischen beiden Seiten?
Für die mir bekannten AutorInnen stimmt das allenfalls andersherum. Um alle Rechte, die irgendwie werthaltig eingeschätzt werden, herrscht unter den deutschen Publikumsverlagen eine erbarmungslose Konkurrenz. Allerdings werden die AutorInnen auch nicht durch die Gewerkschaften vertreten, sondern durch Literaturagenten. Vom Buchmarkt hat Verdi offenbar auch keine Kenntnis.
Stimmt es, dass Autoren, Übersetzern und Illustratoren immer noch eine angemessene Vergütung vorenthalten wird?
Das ist schlicht die Unwahrheit. Auch ein kleiner Verlag wie meiner zahlt Honorare an der Schmerzgrenze, zusätzlich kommen mehr als 5% Künstlersozialabgabe oben drauf. Würde ich das nicht tun, könnte ich am Wettbewerb um Rechte gar nicht mehr teilnehmen.
Sind die Honorarabrechnungen intransparent, wie dies die Initiative kritisiert?
Alle mir bekannten Abrechnungen schlüsseln detailliert Verkäufe, Lizenzen, sonstige Nutzungen und die jeweils darauf anfallende, vertraglich vereinbarte Honorarsumme auf. Wer des Lesens kundig ist, kann mit einer Verlagsabrechnung keinerlei Probleme haben.
Die Fragen stellte Michael Roesler-Graichen.
Zum Hintergrund
In der "Initiative Urheberrecht" zusammengeschlossene Verbände und Gewerkschaften, die 140.000 Autoren und Künstler repräsentieren, haben am 9. Februar die Erklärung "Gemeinsam für ein faires Urhebervertragsrecht!" veröffentlicht (http://urheber.info/erklaerung).
Darin fordern sie unter anderem – in Anlehnung an den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zum Urhebervertragsrecht – dass "Vergütungsvereinbarungen zwischen Verwertern und Urheberorganisationen … die Grundlage für Individualvereinbarungen zwischen UrheberInnen und KünstlerInnen und Verwertern, d.h. die Vergütungsregeln legen die Mindestbedingungen fest".
Dem Börsenverein wird vorgehalten, er habe sich "für die Buchverlager fairen Verhandlungen mit den Autoren und Illustratoren entzogen". Nur einzelne Verlage seien bereit gewesen, Vergütungsregeln für Autoren und Übersetzern aufzustellen.
Außerdem taucht zum wiederholten Male die Behauptung auf, der Börsenverein hätte sich der Aufstellung von Vergütungsregeln (böswillig) entzogen. Der Börsenverein (Bundesverband) schließt schon seit seiner Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg keine Tarifverträge oder gemeinsamen Vergütungsregeln ab. Darin liegt keine Absage an den Sinn tarifvertraglicher Regelungen oder von urheberrechtlichen gemeinsamen Vergütungsregeln. Die Mitgliedsunternehmen des Börsenvereins sind vielmehr der Meinung, dass die Gefahr von Kollateralschäden beim Abschluss kollektiver Vergütungsregeln durch einen marktbeherrschenden Berufsverband zu groß ist und sie das deshalb lieber direkt - bzw. bewusst in sachlich sinnvollen Konstellationen (z.B. als Gruppe von Publikumsverlagen) - gestalten wollen.
Schade, dass die Qualität der Erklärung der Initiative Urheberrecht dadurch leidet, dass sie an diesen beiden Punkten daneben liegt. Richtig hat sie nämlich erkannt, dass Autoren und Verlage zusammen halten müssen und dass essentielle Änderungen an dem vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Referentenentwurf zum Urhebervertragsrecht notwendig sind.
Verlage sind keine Urheber. Sie können Urheberrechte kaufen, was an sich schon grotesk genug ist. Es muss endlich klar werden, dass niemand die Verlage noch braucht. Sie sind ein Mittbewerber neben den freien Autoren um die Leserschaft und dürfen nicht erwarten, aus der Arbeit der freien Autoren subventioniert zu werden. Wenn sie ohne diese Subvention nicht überleben können, müssen sie halt schließen. Gerade die Verleger wollten doch immer die Marktwirtschaft. Nun müssen sie auch damit leben.
Und was für ein Scherz, von wegen AutorInnen würden von Agenten vertreten? Muss man ihr allen Ernstes den Unterschied zwischen einer Berufsinteressen vertretenden Selbstorganisation wie dem Schriftstellerverband und einem auf Provisionsbasis arbeitenden Dienstleister wie einem Agenten verklickern? Das kann nicht sein – sie heuchelt Unkenntnis. Dahinter verbirgt sich die Absicht, die Vertretungsmacht der Berufsorganisationen von Urhebern anzuzweifeln. Ein schöner Rückschritt in vorgewerkschaftliche Zeiten wäre das!
Und was die Frage der Augenhöhe angeht – hier können weder Kunstmann noch der eilfertig nachkommentierende Christian Sprang (Justiziar des Börsenvereins) behaupten, sie wüssten nicht, was das Verfassungsgericht entschieden hat: Das Verhandlungsgleichgewicht zwischen Urhebern und Verwertern ist so drastisch gestört, dass der Gesetzgeber in Eingriffe in die Vertragsfreiheit berechtigt ist (z.B. indem er Vergütungsregeln anmahnt). Damit hat das höchste Gericht eine Verfassungsbeschwerde des Börsenvereins abgeschmettert – hiervon will der natürlich jetzt nichts mehr wissen, und Frau Kunstmann ebenso wenig wie er.
Und noch dies – Verlegerin Kunszmann offenbart ein heikles Verhältnis zur Literatur, wenn sie sagt, die Zahl von 140.000 Urheberinnen und Urhebern, die von den in der Initiative Urheberrecht zusammengeschlossenen Verbänden vertreten werden, sei „reine Prosa“ - also auf jeden Fall zu bezweifeln. Die genaue Zahl liegt sogar noch um einige Tausend höher. In der Intiative vertreten sind nicht nur der Schrifststellerverband mit seinen auch schon mehreren Tausend Mitgliedern, sondern mitgliedsstarke Verbände von z.B. Journalisten und Orcherstermusikern.
Zum Börsenverein: Er darf in der Tat keine tarifähnlichen Abschlüsse für seine Mitglieder tätigen, z.B. in Form von einvernehmlich mit Urheberverbänden aufgestellten Vergütungsvereinbarungen. Was ihn aber nicht daran hindert, aus eigener Machtvollkommenheit – also ohne jede Abstimmung mit betroffenen Verbänden – Vergütungsempfehlungen zu geben. Das ist ihm lieb und bequem so: Sich nicht einigen müssen, sondern ganz nach Gutdünken verfahren.
Darum wird auch das Angebot der Gesetzesnovelle, die für Verwerter heiklen Punkte auf dem Wege von Gemeinsamen Vergütungsregeln zu klären, so erbittert bekämpft: Man will sich nicht einigen müssen, sondern weiter lieber nach frühkapitalistischer Manier regieren. So zeigen beide Texte - das wie vom Börsenverein bestellte Interview mit der in wichtigen Punkten (gespielt?) ahnungslosen Antje Kunstmann wie auch Sprangs Nachkarteln -, dass eine Hilfe des Gesetzgebers dringend vonnöten ist. Sonst wird es weiterhin keinen Branchenfrieden geben.
Wo sind eigentlich die Stimmen im Börsenverein, die weniger selbstherrlich denken? Besteht der Verein nur aus dem Justiziar? Es gäbe Themen, wo alle Branchenbeteiligten dringend an einem Strang ziehen müssten – ich nenne nur die Bedrohung durch Amazon oder die gerichtliche Infragestellung der Regeln der Verwertungsgesellschaften. Wieviel leichter wäre es, das zu tun, wenn auch in Vergütungsfragen ein parnterschaftlicher Umgang herrschen würde.
Frau Kunstmann verwechselt das, was sie Autoren zahlen kann oder will mit dem, was für Autoren angemessen ist.
Wenn sie Autoren nicht angemessen honorieren kann, sollte sie deren Arbeit auch nicht in Anspruch nehmen.
Unverschämtheit, sowas. Wer heutzutage behauptet, Autoren würden auch nur ansatzweise angemessen bezahlt, muss wirklich sehr, sehr zynisch sein.
vielen Dank für Ihren Kommentar. In diesem behaupten Sie u.a., der Börsenverein würde "aus eigener Machtvollkommenheit – also ohne jede Abstimmung mit betroffenen Verbänden – Vergütungsempfehlungen [...] geben. Das ist ihm lieb und bequem so: Sich nicht einigen müssen, sondern ganz nach Gutdünken verfahren."
Mir ist nicht klar, worauf Sie sich bei dieser Aussage beziehen. Das im Börsenverein zuständige Gremium für Vergütungsempfehlungen an die Verlagsbranche wäre der Verleger-Ausschuss. Ich kann mich aus meiner inzwischen über 15jährigen Amtszeit als Justiziar nicht erinnern, dass der Verleger-Ausschuss jemals Vergütungsfragen originär behandelt oder gar Vergütungsempfehlungen veröffentlicht hätte. Dass das so ist hat übrigens denselben Grund wie die fehlende Tarifzuständigkeit des Verbands:
Schon innerhalb dieses Gremiums ist die Verschiedenartigkeit der verschiedenen Teilbereiche der Branche so groß, dass eine einheitliche Empfehlung nicht zustande kommen würde.
Deshalb wollen die Mitgliedsverlage des Verbands ausschließen, dass spezifische Vergütungsusancen, die in Teilbereichen des Buchmarktes anzutreffen sind, auch auf Bereiche angewendet werden, für die ganz andere Marktbedingungen und Vergütungen gelten. In der Buchbranche unterscheiden sich die Märkte und Geschäftsmodelle z.B. von Publikumsverlagen, Sachbuch- und Ratgeberverlagen, Kinderbuchverlagen, Wissenschaftsverlagen, Musikverlagen, Kunstbuch- oder Hörbuchverlagen nämlich teilweise sehr deutlich voneinander. Vielfach haben sich sogar innerhalb von Teilbereichen, die auf den ersten Blick direkt vergleichbar wirken, Honorierungsüblichkeiten unterschiedlich ausdifferenziert. So erhalten Autoren rechtswissenschaftlicher Zeitschriften in der Regel bei Erscheinen ihrer Beiträge ein Honorar, während dies bei Artikeln zu medizinischen oder naturwissenschaftlichen Journalen nicht üblich ist. Diese Differenzierung ist im Hinblick auf die ganz unterschiedlichen (Teil-)Märkte und Verlagsleistungen auch sachgerecht. Das Beispiel verdeutlicht, warum marktbeherrschende Berufsverbände – zumal wenn sie, wie der Börsenverein, alle Sparten einer Medienbranche vertreten – von ihren Mitgliedsunternehmen vernünftigerweise nicht zum Abschluss kollektiver Vergütungsregelungen mit Autorenverbänden wie dem VS legitimiert werden können. Und es sollte Ihnen Anlass geben noch einmal zu überprüfen, ob Sie wirklich generelle Vergütungsempfehlungen kennen, die der Verleger-Ausschuss des Börsenvereins veröffentlicht hat.
Herzliche Grüße
Christian Sprang
ob ich "wirklich generelle Vergütungsempfehlungen kenne[n], die der Verleger-Ausschuss des Börsenvereins veröffentlicht hat"? - natürlich nicht. Aber ich kenne die Praxis des Börsenvereins. Nur ein Beispiel: Mir wird von einem namhaften Verlag eine E-Buch-Produktion angeboten, bei magerer Vergütung. Das seien "die Empfehlungen des Börsenvereins", sagt mir die Verlegerin, die das nicht erfunden haben dürfte, und sie wundert sich, "dass der Verbandsvorsitzende die Empfehlungen des Börsenvereins nicht kennt." Mich wundert das nicht. Denn gewiss sind das keine offiziellen Empfehlungen des Verlegerausschusses. Das Beispiel illustriert augenfällig, welches Verfahren dem Börsenverein offensichtlich lieb und bequem ist.
Ganz ähnlich Ihre Doppel-Ausschluss-Argumentation bezüglich gemeinsamer Vergütungsregeln: Solche mit einzelnen oder wenigen Verlagen könnten, so Ihre Position, keine Branchengültigkeit beanspruchen, solche mit vielen Verlagen seien unmöglich, da jeder Verlag "seine eigene DNS" habe. Auch hier wieder: sich nur nicht einigen müssen. Und wenn dann ein Gesetzesvorschlag kommt, der wie der vorliegende zur Einigung drängen will, wird man bockig. Da ist sie wieder, die Patrons-Haltung.
Der VdÜ hat gleich 2002 Vorschläge gemacht und Verhandlungsbereitschaft gezeigt, der Bö.Verein hat sich als erstes gleich mal halb aufgelöst bzw. für nicht zuständig erklärt. Man rieb sich die Augen. Aber die Geschichte zeigt: es hat bis jetzt funktioniert.
Was die (oben in Abrede gestellten) Vergütungsempfehlungen durch den Bö.Verein anlangt, so kann ich mich deutlich erinnern, gleich nach dem BGH-Urteil hier im Börsenblatt oder auf der BV-Website gewitzte Tips über den kreativen Umgang mit dem neuen Urteil gelesen zu haben: da gab's etwa die Idee, doch z.B. den Umfang der Rechteeinräumung einzuschränken, dann lasse sich die gerade festgesetzte Beteiligung nämlich flugs wieder absenken. Falls es nicht von allen Servern gelöscht wurde, lässt sich das sicherlich noch finden.
Anstatt weiter darauf zu hoffen, dass man sich zumindest bei einer Generation von Übersetzerundinen das Geld noch wird sparen können, sollten Verleger und Verlegerinnen aufhören, gleich von „der Gegenseite“ zu sprechen, sondern mit uns verhandeln – unter anderem auch, wie Hinrich Schmidt-Henkel weiter oben mit Recht aufzeigt, über wesentlich drängendere Themen, die Ihre (und damit natürlich auch unsere) Branche bedrohen.
Herzlich
der Richter
Okay geschenkt, es wird nichts empfohlen, es werden nur die "vertraglichen
Gestaltungsmöglichkeiten" aufgezählt, als da wären die schon erwähnte Reduktion des Rechtekatalogs und/oder der Dauer der Rechteeinräumung", aber auch Sparefroh-Vorschläge wie der, doch gleich beim Honorar zu sparen, sowie buchhalterische Tricks beim Abrechnen der zugrundeliegenden Zahlen für die Beteiligung.
Wie sagte Liberace: Crying all the way to the bank?
so langsam kommen wir der Sache auf die Schliche, glaube ich! Ihr Fall mit der E-Buch-Produktion macht nämlich durchaus Sinn. Die fragliche Verlegerin hat vermutlich von der Rechtsabteilung des Börsenvereins einen Hinweis auf die Rahmenvereinbarung von VG Wort und Börsenverein zu § 137l UrhG bekommen, die auch in Merkblättern des Börsenvereins abgedruckt ist (z.B. hier: http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/976/Merkblatt_unbekannte_Nutzungsarten.pdf) und Mindestabgeltungen elektronischer Werkfassungen von Printwerken regelt, die zwischen 1966 und 2008 erschienen sind. Die fragliche Vereinbarung ist innerhalb der VG Wort u.a. mit Vertretern von Schriftsteller-, Übersetzer(!!!)- und Hochschulverband ausgehandelt worden und es versteht sich natürlich, dass der Börsenverein seinen Mitgliedsverlagen die Orientierung daran empfiehlt.
Jedenfalls nicht richtig ist und bleibt aber die Aussage, der Börsenverein würde "aus eigener Machtvollkommenheit – also ohne jede Abstimmung mit betroffenen Verbänden – Vergütungsempfehlungen [...] geben. Das ist ihm lieb und bequem so: Sich nicht einigen müssen, sondern ganz nach Gutdünken verfahren."
Ich würde mich ehrlich gesagt freuen, wenn Sie in diesem Punkt hier auch coram publico den Rückwärtsgang einlegen würden. Meine Erfahrung ist nämlich, dass in Politik und Medien solche Aussagen immer hängenbleiben, auch wenn an ihnen nie etwas dran gewesen ist (vermutlich deshalb, weil man Verlegern und ihren Verbänden per se alles Schlechte zutraut...).
Herzliche Grüße
Christian Sprang