Steuerrecht: Interview mit Olaf Thomas vom Suhrkamp Verlag

„Das internationale Geschäft wird massiv beeinträchtigt“

1. Februar 2024
von Börsenblatt

Mindestens zwölf Monate müssen ausländische Autor:innen derzeit auf ihr Honorar aus deutschen Übersetzungsrechten warten – weil sich beim Bundeszentralamt für Steuern die notwendigen Freistellungsanträge stauen. Was bedeutet das für die Branche? Und um welche Summen geht es hier überhaupt? Antworten von Olaf Thomas, Co-Leitung Rechnungswesen beim Suhrkamp Verlag.

Porträtfoto Olaf Thomas

Olaf Thomas

Hintergrund: Ausländische Verlage, Agenturen und Autor:innen, die Übersetzungsrechte nach Deutschland verkaufen und ihr Honorar dafür nicht doppelt versteuern wollen, müssen beim Bundeszentralamt für Steuern einen Freistellungsantrag von der Quellensteuer stellen. Nach einer Verschärfung durch erweiterte Prüfverfahren 2021 und dem Aufbau eines digitalen Portals 2023 sind die Bearbeitungszeiten für diese Anträge immer länger geworden. Mehr zum Thema erfahren Sie hier.

Wie viel Geld für ausländische Autor:innen ist derzeit bei Suhrkamp „blockiert“, weil die Freistellungsanträge nicht bearbeitet worden sind?

Olaf Thomas: Derzeit können die Verlage der Suhrkamp Verlagsgruppe eine Honorarsumme von ca. 450.000 Euro aufgrund fehlender, aber beantragter Freistellungsbescheide nicht an die Autor:innen im Ausland auszahlen.

Eigentlich geht es ja „nur“ um 15 Prozent Quellensteuer. Oder kann bis zur Freistellung das gesamte Honorar nicht fließen?

Solange kein Freistellungsbescheid ergangen ist, müssen von jeder Zahlung 15 Prozent Quellensteuer abgezogen werden. Wenn Sie einen Nettobetrag überweisen wollten, müssten Sie von diesem Nettobetrag wieder 15 Prozent Steuer abziehen. Das liegt daran, dass das Einkommensteuergesetz (EStG) die Entstehung der Steuer an den Zeitpunkt des Zuflusses der Vergütung an die Honorarempfänger knüpft (Paragraf 50a Abs. 5 S. 1 EStG).

Von jeder beliebigen Zahlung muss also, solange kein Freistellungsbescheid vorliegt, die Steuer abgezogen werden. Wenn die Steuer vermieden werden soll, darf folglich gar kein Honorar fließen, solange es keinen Freistellungsbescheid gibt.

Solange kein Freistellungsbescheid ergangen ist, müssen von jeder Zahlung 15 Prozent Quellensteuer abgezogen werden. Wenn Sie einen Nettobetrag überweisen wollten, müssten Sie von diesem Nettobetrag wieder 15 Prozent Steuer abziehen.

Olaf Thomas, Co-Leitung Rechnungswesen beim Suhrkamp Verlag

Wie lange müssen Sie im Schnitt warten, bis über die Freistellungsaufträge entschieden ist? Und muss der Antrag bei jedem Buch neu gestellt werden – oder gilt er dann auch für alle weiteren Einkünfte des Autors, der Autorin?

Derzeit beträgt die Bearbeitungszeit eines Freistellungsantrags ca. 12 Monate. Allerdings haben wir noch 91 Freistellungsanträge laufen, die seit mehr als 12 Monaten unbeantwortet beim Bundeszentralamt für Steuern liegen und von denen wir noch nicht sagen können, wie lange die Bearbeitungszeit noch andauern wird. Sicher ist nur, dass es mehr als 12 Monate sein werden.

Die ergangenen Freistellungsanträge beziehen sich auf die beteiligten Geschäftspartner:innen, also auf den Verlag auf der einen Seite als Honorarzahler und die Autor:innen auf der anderen Seite als Honorarempfänger:innen. Ist ein Freistellungsbescheid ergangen, so gilt er rückwirkend ab Eingang des Antrags beim Bundeszentralamt drei Jahre, so dass Sie innerhalb dieses Zeitraums sämtliche Zahlungen zwischen diesen Beteiligten ohne Abzug der Quellensteuer ausführen können.

Aus dem Gültigkeitsbeginn des Freistellungsbescheids mit dem Datum der Antragstellung erwächst das weitere Problem, dass der Bescheid, wenn Sie ihn zum Beispiel nach 18 Monaten erhalten, dann nur noch weitere 1,5 Jahre gültig ist. Im Grunde muss sofort ein neuer Antrag gestellt werden, um keine Zeiträume entstehen zu lassen, in denen es keine Freistellung gibt.

Hat sich der Aufwand für Verlage in den vergangenen Jahren bei der Antragstellung insgesamt verändert?

Seit dem 1. Januar 2023 gibt es ein neues, verpflichtend durchzuführendes elektronisches Antragsverfahren, das grundsätzlich natürlich eine Anpassung an die aktuellen technischen Standards darstellt. Eine Arbeitserleichterung ist damit für die Antragstellenden selbst, also die Autorinnen und Autoren, aber auch für uns als Verlag, in Zukunft wohl eher nicht verbunden.

Im Gegenteil: Für ausländische Antragstellende verkompliziert sich die Antragstellung enorm, da sie das System zwingt, sich ein elektronisches Zertifikat beim Bundeszentralamt für Steuern zu besorgen, sich in BOP (dem elektronischen Antragsportal) anzumelden und diese Anmeldung laufend aktuell zu halten.

Das allein stellt, insbesondere für nicht deutschsprachige Antragsteller, schon eine fast unüberwindliche Hürde dar, da die Website für die Anmeldung ausschließlich in deutscher Sprache verfügbar ist. Eine englische Version wird derzeit nicht angeboten. Das gilt auch für die spätere Antragstellung selbst. Neben sehr guten deutschen Sprachkenntnissen wird hier eine tiefere Kenntnis des deutschen Steuerrechts vorausgesetzt!

Da dieses Verfahren für die Antragsteller als unzumutbar bezeichnet werden muss, wir den Antragstellern jedoch weiterhin die Steuerfreistellung ermöglichen wollen, zwingt uns das Verfahren in eine Position, die uns jetzt viel stärker involviert als früher. Wir handeln nun mit einer eingeschränkten Vollmacht als Steuerbevollmächtigte für unsere ausländischen Autorinnen und Autoren, während wir bis Ende 2022 die Anträge lediglich weitergeleitet haben und somit als Partei in diesem Prozess offiziell gar nicht in Erscheinung getreten sind.

Selbst wenn der digitale Workflow einmal reibungslos funktionieren sollte, bleibt das Problem, dass sich Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt mit einer deutschsprachigen Website herumschlagen müssen.

Olaf Thomas

Das Bundeszentralamt für Steuern hat auf Börsenblatt-Anfrage signalisiert, dass sich die Situation im Lauf des Jahres 2024 bessern wird und die Anträge zügiger bearbeitet werden. Teilen Sie diese Hoffnung?

Ja, Hoffnung besteht natürlich. Aber selbst wenn der digitale Workflow einmal reibungslos funktionieren sollte, bleibt das bereits oben beschriebene Problem, dass sich Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt mit einer deutschsprachigen Website herumschlagen müssen, nur um ein in einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) eigentlich normiertes Recht in Deutschland durchzusetzen - wobei die deutschen Verlage ihnen unbedingt helfen müssen, um sie als Vertragspartner:innen nicht zu verlieren.

Wie könnten die Steuerbehörden Verlagen und Autor:innen das (Honorar-)Leben einfacher machen? Oder anders gefragt: Ist die Sache mit dem Freistellungsantrag für die Quellensteuer in anderen Ländern besser gelöst?

Deutschland ist das einzige Land, in dem es das Freistellungsantragsverfahren gibt, um ein völkerrechtlich normiertes Recht aus einem Doppelbesteuerungsabkommen durchzusetzen. In allen anderen Ländern, in die wir Rechte lizensiert haben, erhalten wir anhand einer einfachen und unkompliziert zu erhaltenden Ansässigkeitsbescheinigung (die uns amtlich bestätigt, dass wir in Deutschland ansässig sind und damit in einem Vertragsstaat des DBA) unsere Honorare ohne Abzug von ausländischer Quellensteuer ausgezahlt und können sie schnell und vertragsgemäß an unsere Autorinnen und Autoren weiterleiten.

Der deutsche Steuergesetzgeber hat durch die Einführung des Paragraf 50d Einkommensteuergesetz ein echtes „Treaty override“ geschaffen und sich damit über die völkerrechtlichen Regelungen des DBA einfach hinweggesetzt - getrieben von der Angst, es könnten „weiße Einkünfte“ entstehen, die weder in dem einen noch in dem anderen Land besteuert werden.

Die Verlage sind dabei eigentlich ein Nebenschauplatz. Denn getroffen werden sollten mit dieser Schutzvorschrift vor allem die international aufgestellten Konzerne, die über Lizenzgebühren ihre Gewinne in andere Länder verlagern.

Olaf Thomas

Dabei dürfte es allerdings nicht vorrangig um die Verlagswelt gehen….

Die Verlage sind dabei eigentlich ein Nebenschauplatz. Denn getroffen werden sollten mit dieser Schutzvorschrift vor allem die international aufgestellten Konzerne, die über Lizenzgebühren ihre Gewinne in Länder verlagern, die gegenüber Deutschland eine geringere Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuer aufweisen. Da es sich auch bei der Vergütung von Urheberrechten um Lizenzgebühren handelt, ist die Verlagsbranche betroffen und leidet sehr unter dieser „Schutzvorschrift“.

Im Grunde stellt die Regelung, dass ein Doppelbesteuerungsabkommen erst angewandt werden kann, wenn ein behördlicher Bescheid vorliegt, eine massive Beeinträchtigung der internationalen wirtschaftlichen Tätigkeit der deutschen Verlage dar, die im Wettbewerb um ausländische Autor:innen stehen, die aus guten Gründen wenig Verständnis für die deutsche Bürokratie aufbringen.

Sehen Sie einen Ausweg aus dem Dilemma?

Eine Lösung könnte darin bestehen, dass in Paragraf 50a des Einkommensteuergesetzes ein Ausnahmetatbestand für literarische Urheberrechte geschaffen wird. Aber um das zu erreichen, bedürfte es wohl massiver Lobbyarbeit bei den gesetzgebenden Gremien.