Stattdessen wird der gesamte Komplex, der neben dem Presseverleger-Leistungsschutzrecht und einer Plattformregulierung auch eine Regelung für eine Verlegerbeteiligung an Ausschüttungen enthielt, erneut auf die Agenda des EU-Parlaments gesetzt. Berichterstatter Axel Voss (CDU / EVP) konnte die von zahlreichen Kreativverbänden und Künstlern getragene Kompromisslösung nicht durchsetzen und verfügt nun nicht über ein Mandat für weitere Verhandlungen.
Voss hatte in seinem Schlussplädoyer vor der Abstimmung noch einmal an die Abgeordneten appelliert, mit ihrer Zustimmung die "Ausbeutung europäischer Künstler im Internet" zu beenden. Es könne nicht angehen, dass Internet-Plattformen wie Facebook, Google und Amazon die Kreativszene auf Kosten der Künstler ausbeuten. Würde man dem "Internetkapitalismus" nicht Einhalt gebieten, drohe eine "kreative Insolvenz".
Für die deutsche Buchbranche besonders schmerzlich ist, dass mit dem am Parlament gescheiterten Entwurf auch die geplante Regelung für eine mögliche Beteiligung von Verlagen an Nutzungsausschüttungen von Verwertungsgesellschaften (Artikel 12) auf die lange Bank geschoben oder womöglich ganz in Frage gestellt wird.
Die Gegner des Entwurfs, die sich unter anderem um die Abgeordnete Julia Reda (Piraten) geschart hatten, wandten sich in erster Linie gegen Artikel 13, in dem eine Plattform-Regulierung vorgesehen war. Große Internet-Plattformen wie YouTube (Google) sollten darin verpflichtet werden, Inhalte beim Hochladen auf ihre Urheberrechts-Konformität zu prüfen. Darin sahen die Gegner den "Einstieg in die Zensur", der die Freiheit des Internets gefährden könnte. Gegenwind gegen die geplante Regelung kam vor allem von den großen amerikanischen Internetkonzernen, die Voss zufolge mit Hilfe zahlreicher NGOs Kampagnen ins Haus getragen hätten. Sogar Kinder von Abgeordneten seien angerufen worden, um den Entscheidungsprozess zu Gunsten der Internetgiganten zu beeinflussen.
Der Entwurf selbst wurde von einem breiten Bündnis prominenter Musiker und aller wichtigen Verlags-, Presse- und Kreativverbände unterstützt – unter anderem durch den Appell #vote4jurireport (Ja zur Modernisierung des EU-Urheberrechts). Zuletzt hatte unter anderen Paul McCartney in einem Brief an das EU-Parlament die Abgeordneten an ihre Verantwortung erinnert: "Wir brauchen ein Internet, das für alle fair und nachhaltig ist", zitierte ihn die FAZ. Musik und Kultur seinen "unser Herz und unsere Seele. Aber sie sind nicht einfach so da. Sie erfordern die harte Arbeit so vieler Menschen" (zitiert nach FAZ).
Schizophrener Freiheitsbegriff
In einem argumentativ starken und sehr nachdenkenswerten Artikel in der FAZ hat die stellvertretende Vorsitzende des EU-Kulturausschusses und Grünen-Politikerin Helga Trüpel die Widersprüchlichkeit des Freiheitsbegriffs in der Debatte herausgearbeitet. Der neoliberale Freiheitsbegriff der "digitalen Monopole" (Google etc.) stehe einem "verantwortlichen Freiheitsbegriff der Künstlerinnen und Künstler" sowie der Kreativverbände entgegen. Der Freiheitsbegriff des "links-progressiven Lagers" sei in sich widersprüchlich: Einerseits wolle man díe durch den Neoliberalismus entfesselte Marktmacht regulieren, andererseits herrsche "im gleichen politischen Lager eine netzpolitische Debatte, die einem Freiheitsfundamentalismus folgt und so unter dem Primat des freien Internets auch die Internetgiganten vor stärkerer Regulierung schützt."
Die Regelungen des Entwurfs
Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments, intern JURI genannt, hatte am 20. Juni unter anderem eine Kompromissfassung des Artikels 12 der geplanten Urheberrechts-Richtlinie für den digitalen Binnenmarkt angenommen, in der die Beteiligung von Verlagen an Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften (in Deutschland insbesondere der VG Wort) wieder ermöglicht werden soll. Die Beschlussempfehlungen des Ausschusses betreffen auch andere verlagsrelevante Themen wie das Text & Data Mining (Art. 3), die Veranschaulichung im Unterricht (Art. 4) und Vergriffene Werke (Art. 7–9). Außerdem votierte der JURI für ein Presseverleger-Leistungsschutzrecht (Art. 11) und eine Plattform-Regulierung (Art. 13, in einigen Medien unzutreffend unter dem Stichwort "Upload-Filter" abgehandelt).
Die Argumentation gegen Linktax und Contentfilter ist ausführlich geführt worden und es gibt keinerlei sachlich validen Argumente dafür, wenn man es aus Sicht der Nutzer und Bürger sieht (und die sollen von den Abgeordneten vertreten werden, nicht die Interessen von Firmen und Lobbyvereinen). Sogar Fachleute wie Tim Berners-Lee, immerhin der Erfinder des WWW, hat seinen Standpunkt eindeutig und sachkundig dargelegt - und das war nur einer von vielen.
Mir ist schon klar, dass der Börsenverein als Lobbyverein hier trommeln muss, aber er könnte es weniger arrogant und dreist tun.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei Julia Reda für ihre großartige Aufklärungsarbeit. Und die zitierte Helga Trüpel von den Grünen ist in ihrer Partei mit ihrer Meinung ziemlich alleine.