Konferenz "Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit"

"Ohne Urheberrecht wäre das Internet ein Testbild"

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Die Urheberrechtskonferenz im Frankfurter Literaturhaus am vergangenen Mittwoch war so etwas wie ein Brennspiegel der aktuellen Diskussion um das geistige Eigentum. Idealismus, wenn nicht gar – wie kritische Zuhörer bemerkten – Ideologie stand einer Haltung gegenüber, die zu einem pragmatischen Umgang mit dem Urheberrecht tendiert. Das Lager der "entfesselten Konsumenten", wie Schriftsteller Burkhard Spinnen die Netzpiraten charakterisierte, war auf dem Frankfurter Podium allerdings nicht vertreten. Ein Resümee von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Die Piraten hätten ohnedies den gemeinsamen Nenner der Tagung gefährdet, den Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang so formulierte: "Wenn die Nutzer vervielfältigungswürdige Inhalte wünschen, dann müssen sie den Produzenten der Inhalte schützen. Ohne Urheberrecht wäre das Internet ein Testbild."

In den Vorträgen von Roland Reuß (Heidelberg) und Volker Rieble (München) standen die persönlichkeitsrechtlichen Aspekte des Urheberrechts im Vordergrund. Roland Reuß, Initiator des Heidelberger Appells und gemeinsam mit Vittorio E. Klostermann Organisator der Tagung, beharrte auf dem Recht des Urhebers, über die Art, das Medium und den Ort der Publikation selbst zu verfügen.

Das war nicht nur an die Adresse der Open-Access-Befürworter in Forschungsallianz und Bibliotheken gerichtet, sondern auch an Aggregatoren wie Google, die Inhalte sammeln (neudeutsch: »harvesten«) und in unerwünschten Kontexten präsentieren. Durch die Anzeige von Buchinhalten etwa auf einer werbefinanzierten Plattform werde »nicht nur das Eigentum, sondern auch die Essenz geistigen Arbeitens berührt«, so Reuß.

Reuß' rhetorisch geschliffene Suada gegen das Open-Access-Lager und seinen Gehilfen Google gipfelte in der Behauptung, die Retrodigitalisierung durch Google führe zu einer »Amputation des Werks«. Die hohe Fehlerquote bei der Texterkennung hätte für den Autor die Folge, »für eine Textgestalt haftbar gemacht zu werden, die er nie autorisiert hat«.

Volker Rieble führte in seinem Beitrag die Argumentationslinie von Reuß fort und setzte sich mit dem Dirigismus der Forschungsallianz auseinander. Der etwa von der DFG ausgeübte Publikationszwang verstoße gegen das Grundrecht auf Publikationsfreiheit. Den Nachweis, das es sich wirklich so verhält, blieben Reuß und Rieble allerdings schuldig. DFG-Vertreterin Anne Lipp versuchte jedenfalls glaubhaft zu machen, dass die Zweitveröffentlichung im Open Access lediglich erwartet werde, keinesfalls aber die Freiheit der Publikation selbst beschnitten werde. 

Wie man aus verlegerischer Sicht mit Digitalisierung und Googles Buchsuche umgeht, erläuterte Hans-Dieter Beck (C. H. Beck Verlag) in seinem Vortrag. Für das geisteswissenschaftliche Programm sei die Buchsuche durchaus hilfreich, weil sie Backlist-Titel auffindbar mache und deren Verkauf stimuliere. Im RWS-Bereich setze man auf das eigene digitale Geschäftsmodell beck-online. Der Beck Verlag managt im Übrigen das Google Book Settlement selbst. Als führender juristischer Fachverlag ist das Unternehmen dafür gut aufgestellt.

Über die juristischen Details und Auswirkungen des Google Book Settlements informierten Burkhard Hess (Heidelberg) und Alexander Peukert (Frankfurt). Hess machte deutlich, dass der Vergleich zwischen Autoren, Verlegern und Google in den USA weltweite Folgen hat: »Das Google Book Settlement bedeutet eine globale private Rechtsetzung im Urheberrecht«, der sich niemand entziehen könne. Von dem Vergleich gehe eine Sogwirkung aus, die dazu führe, dass sich andere Staaten der Vereinbarung anschließen.

Die Politik könne nur intervenieren, wenn sie nach US-Recht als Amicus curiae am Verfahren teilnimmt. Claudia Reimann erklärte für das Bundesjustizministerium, dass die Bundesregierung Anwälte in New York mit der Prüfung beauftragt habe, ob ein Amicus curiae-Auftritt sinnvoll sei. Hess wies noch einmal darauf hin, dass das Google Book Settlement auch wegen kartellrechtlicher Verstöße modifiziert werden könnte.

Alexander Peukert sagte in seinem Vortrag unter anderem, das die Geschäftsmodelle der Verlage durch die Massendigitalisierung unter Druck gerieten, »weil die Zugangssteuerung zum Markt nicht mehr funktioniert«. Sein Vorschlag, ein Leistungsschutzrecht für Verlage einzuführen, stieß bei den Teinehmern nicht auf Gegenliebe. Christian Sprang wandte ein, der Börsenverein habe sich immer gegen ein Leistungsschutzrecht der Verlage ausgesprochen, weil es die Situation der Verlage verschlechtere. Das Leistungsschutzrecht sei ohnehin schwächer als das Urheberrecht.

Für Pointen bei der abschließenden Podiumsdiskussion am Nachmittag sorgte der Schriftsteller Burkhard Spinnen. Er sieht nicht nur bei den Digital Natives einen unaufhaltsamen Bewusstseinswandel im Umgang mit Inhalten im Netz: »Das ist eine breite Bewegung, die quer durch die Gesellschaft geht. – Ich bin selbst Teil der Bewegung«. Spinnen ist sich auch der Ambivalenz der Kritik gegen die Urheberrechtsverletzung bewusst – gerade im Falle Google: »Google bedroht meine Texte, aber ich habe Google selbst von Anfang an genutzt.«

Verbale Nackenschläge musste die Vertreterin von Google, Buchsuche-Managerin Anabella Weisl, einstecken. Sie trug es mit Fassung. Und wiederholte, was Google-Manager an dieser Stelle immer zu betonen pflegen: »Es ist nicht Ziel der Buchsuche, Bücher zu substituieren, sondern auffindbar zu machen.« Die Interessen von Google und den Unterzeichnern des Heidelberger Appells lägen nicht so weit auseinander, wie es scheint. Weisl korrigierte auch noch eine Behauptung, die verschiedentlich gemeldet worden sei: Google wolle kein E-Book-Händler werden, sondern lediglich – auch in Deutschland – den Zugang zur Volltextanzeige von Büchern aus dem Partnerprogramm verkaufen.

Wie auch immer: dass Google allein durch die Art der Präsentation neue Inhalte schaffe, machte ein Bild klar, das Burkhard Spinnen evozierte. In Google Earth sei der Garten seiner Mutter in dem Augenblick festgehalten worden, in dem sie 47 Buchsbaumtöpfe zum Wässern zusammengerückt habe.

Digitalisierung schafft also unter Umständen eine neue, virtuelle Wirklichkeit – und der Nutzer, der blind vertraut, kann die (falsche) Kopie nicht mehr vom (unzugänglichen) Original unterscheiden.