INTERVIEW DER WOCHE

Rettungsperspektiven

28. November 2020
von Christina Busse

Der Bund will das neue Sanierungs- und Insolvenzrecht bis 2021 umsetzen. Zugleich gibt es wegen Covid-19 für überschuldete Unternehmen eine Schonfrist. Beides eröffnet in der Praxis neue Chancen. Rechtsanwalt und Unternehmenssanierer Andreas Möhlenkamp über die aktuelle Rechtslage.

Herr Möhlenkamp, die Furcht vor einer Pleite sitzt derzeit überdurchschnittlich vielen Unter­nehmen im Nacken. Welche Wege und Mittel stehen aktuell zur Verfügung, wenn eine wirtschaftliche Schieflage entstanden ist?
Die strikte Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung hätte dieses Jahr zu einer Insol­venz­welle geführt, wenn nicht im Hauruckverfahren eine Ausnahme­regelung eingeführt worden wäre. Dank ihr ist die regulär geltende dreiwöchige Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die infolge der Pandemie überschuldet sind, bis Ende des Jahres ausgesetzt. Auf diesem Weg erhalten Betriebe Zeit für Sanierungsbemühungen und Verhandlungen mit ihren Gläubigern, während sie gleichzeitig von staatlichen Hilfsprogrammen profitieren können. Der Insolvenzgrund der Zahlungsun­fähigkeit wurde allerdings bereits am 1. Oktober wieder scharf geschaltet.

Unabhängig von der Covid-19-Pandemie tritt voraussichtlich zum 1. Januar 2021 ein neues Sanierungsrecht für Unternehmen in Kraft. Welche ­Hintergründe hat diese Novelle?
Das neue Sanierungsrecht beruht auf einer europäischen Richtlinie, die schon 2019 erlassen wurde und die Bundes­regierung zur Umsetzung verpflichtet. Damit überschuldete oder drohend zahlungsunfähige Unternehmen darauf zurückgreifen können, wenn auch die Überschuldung am 1. Januar 2021 wieder zum Insolvenzantrag zwingt, bemüht sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), die Vorgaben möglichst schnell umzusetzen. Wichtige Änderung: Zukünftig kann eine Sanierung in Angriff genommen werden, ohne dass der Begriff Insolvenz, der gemeinhin als Makel gilt, ins Spiel kommt. 

In welchem Fall kommt es zur ­Anwendung? Welche Vorbedingungen müssen erfüllt sein?
Voraussetzung ist, dass das Geschäftsmodell vom Grundsatz her in Ordnung ist, aber besondere Umstände, wie zum Beispiel der Lockdown, den Betrieb in eine kurzfristige Krise stürzen. In solch einem Fall hat es Sinn, sich bestehende Verträge und laufende Kosten vorzunehmen und mit Vertragspartnern in Verhandlung zu gehen. Wenn die Verhandlungen nicht erfolgreich sind, könnten Unternehmen sich etwa von einer zu teuren, lang laufenden Ladenmiete lösen. Wenn der Vermieter nicht mitmacht, reicht vielleicht auch eine kleinere Fläche in der Nähe. Oft wird auch die Finanzierung umgestellt. Es muss sichtbar werden, dass man sein Geschäft in einer vorübergehend problematischen Situation fortführen kann und dabei vorhersehbar ist, dass das Unternehmen nach Abstimmung mit den Gläubigern zukünftig wieder nachhaltig auf gesunden Füßen stehen wird.

Ganz wichtig: rechtzeitig anfangen!

Andreas Möhlenkamp

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