INTERVIEW DER WOCHE: Zeitfracht kauft Buchpartner

"Der Name kann auch eine Last sein"

23. Januar 2021
Torsten Casimir und Christina Schulte

Der Logistiker Zeitfracht kauft im Buchhandel und bei Verlagen zu, bedient branchenfremde Kunden, streicht KNV aus dem Firmennamen, experimentiert mit KI: ein Interview mit den Geschäftsführern Wolfram Simon-Schröter und Thomas Raff. 

Streitereien über Rabatte ziehen sich mittlerweile durch die ganze Branche: Vergangene Woche wurde bekannt, dass Libri Diogenes ausgelistet hat, weil man sich bei den Konditionen nicht einig geworden war – Anfang dieser Woche war der Streit offenbar beigelegt. Gibt es solche Fälle auch bei Zeitfracht?
Raff: Letztlich geht es darum, dass jeder Marktteilnehmer eine auskömmliche Marge erwirtschaftet, mit der er seine Leistungen erbringen kann. Das gilt für uns als Zwischenhändler genauso wie für Verlage und Buchhandlungen. Manchmal wird unterschätzt, welche Leistungen der Großhandel insgesamt erbringt. Wenn wir ein Thema mit der Marge haben, sprechen wir mit den Lieferanten darüber und stellen dar, wie unsere auskömmliche Marge aussehen muss, damit wir unser Leistungsportfolio aufrechterhalten können. Ansonsten glauben wir, dass sich jeder Lieferant an das Preisbindungsgesetz hält und an die darin festgelegten Details und Paragrafen. 

Glauben Sie das ernsthaft?
Raff: Es gibt es eine gesetzliche Regelung, und das Wichtigste ist, dass sie entsprechend gelebt wird. Dafür stehen wir ein. Allerdings muss die Preisbindung auch so ausgestaltet sein, dass sie konsequent durchsetzbar ist.
Simon-Schröter: Eine Margendiskus­sion kommt nur und ausschließlich dann auf, wenn die Kosten konträr zu den Erlösen laufen. Die Aufgabe eines Logistikers ist es, möglichst effizient seine Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Wenn wir unsere Erlössituation konstant halten können, heißt das für unsere Kund*innen, dass wir ihnen entsprechend kalkulierbare Wiederverkaufspreise anbieten können. Wenn ich also unsere Kosten vernünftig im Griff behalte, kann ich auch entsprechende Rabatte weitergeben und konstant halten. Wenn ich das aber nicht mache, sondern weiterhin zum Beispiel mit halbleeren Lkw durch die Gegend fahre, nicht in Technik und Systeme inves­tiere, wird diese Diskussion verschärft. Wir brauchen dann viel mehr Marge, um all das zu bezahlen, und müssen an der Rabattschraube in Richtung stationärer Handel drehen. Genauso verhält es sich mit den Verlagen. Wenn sie kosteneffizient produzieren, können sie uns einen gewissen Rabattsatz überlassen und müssen keine Erhöhungen durchsetzen, sodass das System stabil bleibt.


Effizient und kostensparend wäre es, wenn die Barsortimente sich beim Bücherwagendienst zusammentun würden. Wie steht es damit?
Simon-Schröter: Bei der Belieferung des Handels gibt es noch Luft nach oben. Wir dürfen auch den Nachhaltigkeitsgedanken nicht aus den Augen verlieren, der momentan hinter den drängenden Problemen in der Pandemie zurückgetreten ist. Wie sieht eigentlich unser CO2-Fußabdruck aus, mit dem wir die Produkte künftig bei den Kund*innen abliefern wollen? Diese Frage müssen wir in der Post-­Corona-Zeit beantworten und dafür jetzt schon die Weichen stellen. Es wäre sicherlich sinnvoll, Gespräche für einen gemeinsamen Bücherwagendienst wieder aufzunehmen.

In den vergangenen Monaten haben sich die Barsortimente nach der Decke gestreckt, um die Lieferkette aufrechtzuerhalten. Trotzdem gibt es immer wieder unzufriedene Kund*innen, die verspätete, unvollständige oder beschädigte Lieferungen beklagen. Was sagen Sie denen? 
Simon-Schröter: Zu den üblichen saisonalen Herausforderungen kamen für alle Barsortimente die Corona-­bedingten Einschränkungen und der damit verbundene erhöhte Aufwand und auch Zeitverzögerungen. Wir verstehen es, wenn sich unsere Kund*innen ärgern, dass eine Lieferung länger dauert oder eine Kiste fehlt. Uns ärgert jede Kiste, die nicht pünktlich ankommt. Gerade im Lockdown herrscht eine besondere Situation, die uns gemeinsam vor große Herausforderungen stellt. Aber oft wird zu viel über die 20 fehlerhaften und zu wenig über die 1,2 Millionen reibungslosen Lieferungen gesprochen.

Seit gut vier Wochen ist die Branche im zweiten Lockdown. Wie lautet Ihre Zwischenbilanz?
Raff: Wir sehen im Moment beim Barsortiment und in der Verlagsauslieferung eine gewisse Verschiebung: Es wird weniger direkt disponiert. Das ist nachvollziehbar, weil Unsicherheit herrscht, wann die Läden wieder öffnen. Aus Liquiditätsgründen ist es für viele Buchhandlungen im Moment einfacher, beim Großhändler zu ordern. Gleichzeitig gibt es auch im Januar eine Kanalverschiebung vom stationären Buchhandel hin zum E-Commerce. Im Vergleich zum Januar 2020 haben wir bisher einen vier Mal so hohen E-Commerce-Anteil. Der erste Lockdown hat dazu geführt, dass viele unabhängige Buchhandlungen die Chance genutzt haben, um den E-Commerce herauszustellen, ihre Shops bekannt zu machen und die Kundenbindung zu vertiefen. Das zahlt sich jetzt aus. Beim E-Commerce und bei Click & Collect sind die Buchhandlungen auch dank der Leistungen aller Barsortimente in der Lage, ganz andere Leistungen zu erbringen als die meisten anderen Einzelhandelsbranchen.

Das Corona-Jahr 2020 endet für viele Unternehmen mit deutlichen Umsatz- und Ergebniseinbußen. Auch für Zeitfracht?
Simon-Schröter: Wenn man sich die Rahmenbedingungen anschaut, sind wir aus Gesellschaftersicht zufrieden mit dem Ergebnis. Es ist sicherlich belastet durch Sonderfaktoren wie die Corona-Prävention, aber wir haben auch im mittleren siebenstelligen Bereich in Technik investiert. Das wird sich erst in den nächsten Jahren amortisieren. Unter dem Strich bleibt ein zufriedenstellendes Ergebnis, es ist positiv und liegt voll im Plan.

Ihre Verlagsauslieferung hat mit der Deutschen Bibelgesellschaft und Springer Nature wichtige Kunden verloren. Wie kompensieren Sie das?
Raff: Die Kundensituation in der Verlagsauslieferung ist stabil, wir hatten im vergangenen Oktober den stärksten Monat, seit es die Verlags­auslieferung gibt. Das zeigt, dass wir gute Verlagskunden mit tollen Titeln haben. Manchmal gibt es jedoch auch Verhandlungen, bei denen wir sagen: »Man muss nicht jede Erwartungs­haltung erfüllen.« Da sind wir vielleicht anders unterwegs als andere Aus­lieferungen. Wir wollen eine gute Leistung und einen guten Preis am Markt bieten. Aber nicht um jeden Preis. 

Wie ist es um die Auslastung im Erfurter Logistikzentrum bestellt?
Raff: Mit dem Onlinemodehändler Tausendkind haben wir einen sehr großen Kunden gewinnen können. Es war bei der Übernahme der alten KNV ein klares Ziel, zu zeigen, dass dieses Logistikzentrum nicht nur Buch, sondern auch andere Produkte kann. Für die Mitarbeiter*innen ist wichtig, dass wir unser Versprechen gehalten haben.
Simon-Schröter: Tausendkind war ein großer Schritt, was die Reduzierung der freien Kapazitäten angeht. Wir führen Gespräche mit potenziellen Kunden, müssen aber nun schon sehr genau schauen, wem wir jetzt noch unsere Dienstleistungen dort anbieten können.
Raff: Für den ein oder anderen Verlag hätten wir natürlich noch Platz ... 
Simon-Schröter: ... den wir als atmende Reserve auch beibehalten.

In der vergangenen Woche haben Sie das Kürzel KNV aus Ihrem Firmen­namen gestrichen. War KNV als Marke nichts mehr wert?
Simon-Schröter: Was für Zeitfracht und die Inhaberfamilie sehr wertvoll ist, sind unsere Mitarbeiter*innen. Wir haben im Laufe des Jahres den Eindruck gewonnen, dass die Mit­arbeiter*innen eher Zeitfracht-Mitarbeiter*innen sind und sich auch als solche fühlen. Es geht bei der Namensänderung nicht darum, etwas aus der Vergangenheit zu tilgen, sondern darum, die Zukunft zu gestalten. So eine tief verankerte Marke hat auch den Nachteil, dass es gewisse Hemmungen gibt, Dinge neu oder anders zu machen. Wenn Sie als junge Generation im Unternehmen sind, kann solch ein Name auch eine Last sein. Schließlich soll man uns nicht aufgrund eines Namens beurteilen, den irgendjemand vor vielen Jahren einmal festgelegt hat, sondern aufgrund unserer Leistung. Die Mitarbeiter*in­nen haben in den vergangenen Monaten viele neue Ideen gehabt und effiziente interne Prozesse geschaffen – wäre das nicht passiert, hätten wir den November und Dezember nicht so verhältnismäßig glatt hinbekommen. 
Raff: Außerdem ist jetzt auch ganz klar, wie wir heißen. Nicht KNÖ, KNV, KNV-VA oder wie auch immer (lacht), sondern Zeitfracht.

Einen neuen Namen gibt es auch für Ihre Buchhandelskooperation. Sie heißt jetzt nicht mehr »Mensch«, sondern »Buch & Co: Bücher und mehr«. Warum?
Raff: Wir wollen damit zeigen, dass wir unseren über 400 Partnern mehr als Bücher bieten. Wir versorgen sie mit Webshops, betreiben Category-­Management, geben ihnen ausgewählte Titel an die Hand, entwickeln Marketingaktionen und wollen, dass sie ihren Kund*innen zeigen, was es alles in einer Buchhandlung geben kann. Das können auch nicht-physische Produkte sein wie Computer- oder Konsolenspiele.

Vor einigen Monaten meldete Bastei Lübbe, dass Zeitfracht sich mit gut drei Prozent am Unternehmen beteiligt habe und die Anteile aus strategischen Gründen auf bis zu 25 Prozent aufstocken wolle. Wie ist der Stand bei diesem Investment?
Simon-Schröter: Wir haben aktuell kein strategisches Interesse an Bastei Lübbe. Jetzt hat erst einmal, dem Vernehmen nach, die Beteiligungsgesellschaft von Dirk Rossmann drei Prozent plus X an dem Unternehmen erworben. Es sind frei handelbare Aktien, und jeder kann kaufen, wie und wann er möchte (lacht).

Zugegriffen haben Sie dagegen bei BuchPartner mit einer 80-prozentigen Übernahme, die noch vom Kartellamt genehmigt werden muss. Was macht den Rackjobber für Sie attraktiv?
Simon-Schröter: Mit diesem Zukauf können wir die Nebenmärkte als weiteren Kundenkreis für Zeitfracht hinzugewinnen. Wir sehen dort eine gewisse Stabilität, die gerade in diesen herausfordernden Zeiten von großer Bedeutung ist. Wichtig sind vor allem die Synergien, die sich in der Medien­logistik ergeben. Die Akquisition in einer sich konsolidierenden Branche ist auch für den unabhängigen Buchhandel von Bedeutung. Zeitfracht steht wie die anderen Barsortimente vor der Herausforderung, seine Lkw zu füllen und die Touren nicht mit halbleeren Fahr­zeugen zu fahren. Durch den Zukauf können wir eine um 25 bis 28 Prozent höhere Auslastung der Lkw erreichen. Das wiederum sorgt auf der Kosten­seite für Entlastung und kommt den Kunden im Buchhandel zugute. Zudem glaube ich, dass es für die Sichtbarkeit von Büchern wichtig ist, dass sie in Nebenmärkten präsentiert und damit im Bewusstsein der Käufer verankert werden.

Wir haben aktuell kein strategisches Interesse an Bastei Lübbe.

Wolfram Simon-Schröter

Eingestiegen sind Sie auch bei ­VEMAG. Warum setzen Sie auf den Kontrollerwerb der Anteile und die Absicht, in den kommenden vier Jahren auf 100 Prozent aufzustocken?
Raff: VEMAG ist ein gutes und gesundes Unternehmen mit einem interessanten Portfolio. Wir sehen, dass man in der Logistik noch Prozesse optimieren und Kosteneinsparungspotenzial realisieren kann. Ähnlich wie BuchPartner hat VEMAG eine hohe Kompetenz in anderen Bereichen und wir können die Logistikseite ergänzen und damit Synergieeffekte erzielen. Es ist ein gut funktionierendes Management an Bord, das auch bleiben wird.

Haben Sie weitere Akquisitionen auf dem Zettel?
Simon-Schröter: Momentan haben wir nichts in der Pipeline, ich kann Ihnen aber nicht garantieren, dass das morgen früh um 8 Uhr immer noch so ist. Gerade herrscht eine sehr dynamische Situation. Unter dem Wettbewerbsdruck kann es passieren, dass Unternehmen sich uns anschließen wollen. Das muss aber passen, vor allem muss es persönlich passen zwischen den bestehenden Teams. Das ist für uns eine sehr wichtige Komponente.

Vor knapp 1,5 Jahren haben Sie KNV erworben. Wie zufrieden sind Sie mit der Übernahme?
Simon-Schröter: Wir sind voll auf Kurs.

Geht es auch ein bisschen ­ausführlicher, bitte …?
Simon-Schröter: Wir sind mit der Entwicklung innerhalb des Unternehmens und mit den Mitarbeiter*innen sehr zufrieden – und wir sind glücklich, dass wir uns zu dem Schritt entschieden haben. Die Pandemie wollten wir, wie alle anderen auch, natürlich nicht haben. Mit der Geschäftsentwicklung sind wir dennoch zufrieden, selbst unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Wir hatten einen 36-Monats-Plan. Den erfüllen wir momentan voll, trotz Pandemie.

Mit Bookstore.de haben Sie eine Endkundenplattform ins Leben gerufen, die bei Ihren Buchhandelskund*innen für Kritik gesorgt hat. Warum machen Sie dem Buchhandel Konkurrenz?
Simon-Schröter: Bookstore.de ist ­unsere Laborküche für das Thema E-Commerce-Systeme. Wir erproben dort bestimmte Tools, die wir unseren Kund*innen danach in ihren Shops anbieten, etwa Zahlungs- und Abwicklungsmodelle. Wir testen dort Category-Management sowie Data-Warehouse-Lösungen. Gewinnerzielungs­absichten verfolgen wir mit Bookstore.de nicht. Die Umsätze auf der Plattform sind eher homöopathisch. Es ist für uns wichtig, auf diesem Spielfeld zu agieren. Wir testen beispielsweise auch Influencer-Marketing und sammeln Erfahrungen, wie entsprechende Reichweiten generiert werden können. Unser Ziel ist es, weitere Vertriebskanäle für unsere Kund*innen zu öffnen und zu explorieren.
 

Die Preisbindung muss auch so ausgestaltet sein, dass sie konsequent durchsetzbar ist.

Thomas Raff

Experimentiert wird bei einem gemeinsamen Projekt mit dem Fraunhofer Institut auch mit künstlicher Intelligenz. Ist Ihre KI eine gute Schülerin?
Raff: Wir versuchen mit der KI, unsere Einkaufsstrategie und die Bevorratung von Titeln noch besser zu steuern. Und das nicht basierend auf Vergangenheitswerten, sondern etwa auf Basis von Suchanfragen im Netz oder auf Basis dessen, was in den sozialen Medien angesagt ist. Wenn kurzfristig eine Nachfrage entsteht, können Sie das durch Vergangenheitswerte kaum errechnen. Allerdings ist das gar nicht so einfach, es gab viele Höhen und Tiefen bei diesem Projekt. Jetzt aber ist das Fraunhofer Institut der Meinung, dass wir den Durchbruch geschafft haben. Ich schätze, dass wir dann auch in die Umsetzung gehen können, wobei einzelne Ergebnisse bereits in die Disposition eingeflossen sind.

2020 gab es nur eine virtuelle Frankfurter Buchmesse, auch Leipzig fiel physisch aus. Was bedeutet ein Jahr ohne Präsenzmesse für Sie als Logistiker? 
Raff: Wir haben interessante Erfahrungen gesammelt im Oktober, als wir mit digitalen Veranstaltungen und Events bei der Messe dabei waren. Diese Angebote waren sehr gut besucht, und ich glaube auch, dass eine physische Messe ohne digitale Angebote in Zukunft nicht mehr zeitgemäß sein wird, sondern dass es eine Mischform geben muss. Wir meinen aber, dass das physische Kundengespräch einen großen Wert hat. Wenn es Ende Mai eine Präsenzmesse in Leipzig geben wird, dann werden wir dabei sein.

ZEITFRACHT

Das Berliner Unternehmen ist im Besitz der Familie Schröter und im Bereich Logistik, Marine, Luftfahrt, Gebäudetechnik und Consulting tätig. Vor anderthalb Jahren hat Zeitfracht die insolvente KNV-Gruppe übernommen. Die Buchlogistik hat ihren Sitz in Erfurt. Geschäftsführer von Zeitfracht sind Dominik Wiehage (CEO), Wolfram Simon-Schröter (Chief Financial Officer, CFO) sowie Thomas Raff (Chief Commercial Officer, CCO). Das Unternehmen hat rund 2 700 Mitarbeiter.