Die Sonntagsfrage

Wie ist es Droemer Knaur gelungen, vier Reden Alexei Nawalnys an Land zu ziehen, Frau Ketterle?

8. August 2021
Redaktion Börsenblatt

Alexei Nawalny ist die zentrale Gestalt des Widerstands gegen das autoritäre Regime Wladimir Putins. Droemer Knaur hat nun vier Reden des Oppositionspolitikers veröffentlicht, die mehr über ihn und die Bedrohung der Freiheitsrechte in Russland sagen als der übliche Nachrichtensprech. Margit Ketterle, Verlagsleiterin Sachbuch bei Droemer Knaur, schildert, wie es zu der Publikation kam.

Porträtfoto Margit Ketterle

Margit Ketterle

Wir reden im Lektorat immer wieder über die russische Opposition, zwei Kolleginnen haben Russisch studiert. Jedem am Zeitgeschehen auch nur rudimentär interessierten Menschen muss das Schicksal Alexei Nawalnys doch zu Herzen gehen. In der "Woche der Meinungsfreiheit" haben wir dann eine Diskussion mit unseren Autoren Irina Scherbakowa von Memorial, einer in Russland zu terroristischen Auslandsagenten erklärten Organisation zur Aufklärung der GULAG-Verbrechen,  und Udo Lielischkies, dem ehemaligen ARD-Korrespondenten in Moskau veranstaltet, bei der Nawalny natürlich auch Thema war. Das Schlusswort vor Gericht in Moskau bei seiner Verhaftung nach der Rückkehr aus Deutschland über "Wladimir, den Unterhosenvergifter" hatte er da gerade gehalten. 

Als dann einer aus unserem Team die titelgebende Rede mit "Schweigt nicht!" im Netz fand, war die Idee schnell geboren, Alexei Nawalny statt in Nachrichtenschnipseln mal ausführlich im Originalton zu Wort kommen zu lassen. Mit Alexandra Berlina haben wir eine außerordentlich kompetente Übersetzerin und Kommentatorin engagieren können, die Nawalnys vier Reden vor Gericht von den digitalen Aufzeichnungen auf Russisch transkribiert und übersetzt hat.

Gerhart Baum, das personifizierte liberale Gewissen in unserem Land, hat keine Sekunde gezögert, ein flammendes Vorwort zu schreiben: "Nawalny steht in einer Reihe mit vielen mutigen Menschen überall auf der Welt, die ein sehr großes persönliches Risiko auf sich nehmen, um für die Wahrung der Menschenrechte einzustehen", so Baum.

Was mich an den Texten am meisten beeindruckt, ist Nawalnys Rhetorik, sein Witz, nein, man muss unter den Umständen sagen: Sarkasmus, und sein ungebrochener Widerstandsgeist.

Margit Ketterle, Droemer Knaur

Was mich an den Texten am meisten beeindruckt, ist Nawalnys Rhetorik, sein Witz, nein, man muss unter den Umständen sagen: Sarkasmus, und sein ungebrochener Widerstandsgeist. Er ist ein politischer Kopf, ein "political animal" würde man in den USA sagen, wo er bei einem Studienaufenthalt gelernt hat, wie auch in sozialen Medien politischer Aktivismus geht. Was mich  stört in der deutschen Diskussion um ihn ist der permanente Rekurs auf seine früheren nationalistischen Äußerungen – das spielt den ewigen Russlandverstehern hierzulande genauso in die Hände wie den resignierten Linken, die ihn in einem Atemzug mit Putin als Populisten denunzieren. 

Nein, wir dürfen diese Dissidenten, sei es in Russland, sei es in der Ukraine, in Belarus, nicht "vergessen", sie brauchen unsere Öffentlichkeit. Wir dürfen nicht schweigen. Dafür soll das Buch Anstiftung sein. Im Vergleich mit ihnen kostet es uns so wenig, uns für die Meinungsfreiheit und die Menschenrechte einzusetzen.