Noch ein Kaffee-zum-Gehen durchs Fenster des »Five Elephant«, dann ab in den Berliner Spätnachmittag. Zwischen Görlitzer Park und Paul-Lincke-Ufer geht es an diesem sonnigen Lockdown-Tag kurz vor Weihnachten recht trubelig zu. Menschen mit und ohne Maske, Hunde und eine hohe Hipsterdichte an den Tischtennisplatten am Landwehrkanal. Johannes Groschupf, ein durchtrainiert wirkender Zwei-Meter-Hüne, dem man durchaus eine gute Rückhand zutraut, ist vor 15 Jahren in diesen Kreuzberger Kiez gezogen. Damals war gerade sein erster Roman erschienen.
»Ganz weit draußen« (Eichborn), sein literarisches Coming-out, verdankt sich einer Katastrophe: 1994 übersteht Groschupf, der damals als Reisejournalist gut im Geschäft war, schwer verletzt einen Hubschrauberabsturz in der Sahara. 80 Prozent seiner Hautoberfläche sind verbrannt; mehr als ein Jahr verbringt er im Krankenhaus, eine Odyssee aus Operationen und Schmerzmitteln. Tagebuchschreiben wird zum Rettungsseil. »Damals hatte ich das Gefühl, mein Leben wäre mir noch einmal geschenkt worden«, erinnert sich Groschupf. »Ich sagte mir: Jetzt kannst du eigentlich alles machen, was du dich bisher nicht getraut hast.« Das Tanzen in Berliner Clubs gehört dazu – und das literarische Schreiben. Dass Groschupf, beginnend mit »Lost Places« (2013), in der Folge eine ganze Reihe spannender Jugendromane veröffentlicht, hängt mit seinen beiden Kindern zusammen, die zur Zeit des Unfalls noch sehr klein sind – ihm später aber helfen, in einen normalen Alltag zurückzufinden. »Ich hatte ein sehr starkes Motiv, zu überleben und wieder nach Berlin zu kommen, weil ich ihnen ein Vater sein wollte.« Ihre Teenagerzeit, für Eltern oft ein Härtetest, erlebt Groschupf besonders intensiv. Als sein Sohn beginnt, mit den Kumpels stillgelegte Fabriken und verlassene Krankenhäuser zu durchstreifen, kommt der neugierig gewordene Vater, statt Stubenarrest zu verhängen, einfach mit.
Auch als Thriller-Autor für Erwachsene ist Johannes Groschupf ein Spätberufener. In den frühen 2010er Jahren arbeitet er im Brotjob als Content-Moderator, zunächst in der Redaktion des »Tagesspiegels«, später für die »Welt«. Damals ist die AfD noch als professorale Anti-Euro-Partei unterwegs, doch mit der Flüchtlingskrise wird ihr Einfluss größer, der Ton der User-Kommentare ruppiger: dumpfes Murren und Groll in Dauerschleife. Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit blafft Groschupf da schon mal Fahrradfahrer an – das tägliche Gift, der digitale Volkszorn, sickern auch in seine Seele. Aus schierem Selbstschutz, um die Arbeit erträglicher zu machen, sammelt er die übelsten Hass-Kommentare und wird gleichsam zum Feldforscher.