Dem Urheberrecht im Kontext von Wissenschaft und Forschung, um mit dem Schlechten zu beginnen, drohen weitere politische Räumkommandos. Die Ampel-Koalitionäre singen das Hohelied des Open Access, was an sich ja nicht verkehrt wäre, sängen sie es nicht so einseitig: "Open Access wollen wir als gemeinsamen Standard etablieren. Wir setzen uns für ein wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht ein." Was bisher mit Wissenschaftsfreundlichkeit gemeint war, haben die Verlage in vergangenen Legislaturperioden eher als fortgesetztes Schleifen ihrer Rechtspositionen erlebt.
Die "fairen Bedingungen", von denen im neuen Koalitionsvertrag häufig die Rede ist, wurden schmerzlich vermisst. Faktisch lief ein Teil der Gesetzgebung auf Enteignung hinaus. Und wenn Wissenschaftsverlegerinnen und -verleger nun wieder von "zur Not auch regulatorischen" Maßnahmen für die OA-Freifahrt lesen müssen, fürchten sie, dass auf das Schlimme noch Schlimmeres folgen könnte.
Und doch überwiegen die konstruktiven, anregenden, zur Mitgestaltung einladenden Passagen des Vertrags. Nimmt man die Worte des designierten Vizekanzlers Robert Habeck vom Mittwoch dieser Woche fürs Erste ernst – er sprach von der Idee eines "lernenden Deutschlands" inkl. einer lernenden Politik –, dann lassen sich für den Lehrplan 2022 ff. mindestens mal diese Punkte aufnehmen:
- Das Postgesetz soll runderneuert werden. Prima! Wir hätten bei der Gelegenheit einen Vorschlag: die Entgeltprivilegierung von Büchersendungen.
- Die Förderung unabhängiger Verlage soll geprüft werden, und zwar gemeinsam mit den Ländern. Ziel von Rot-Gelb-Grün ist ausdrücklich die Sicherung kultureller Vielfalt auf dem Buchmarkt. Sehr gut! Die Bitte wäre (nur vorsichtshalber), dass sich hinter dem Wort "Prüfung" und dem für gewöhnlich komplexitätssteigernden Einbezug der Länder kein rhetorisch getarnter Wille zur Regelungsvermeidung verbergen möge.
- "Faire Rahmenbedingungen beim E-Lending in Bibliotheken" werden zugesichert – und kein Wort von Zwangslizenzen. Das hätte schlimmer kommen können! Die Argumentationsoffensive der Initiative FAIR LESEN scheint zu fruchten. Jedenfalls haben die Koalitionäre ergebnisoffen formuliert, was man bei gutem Willen als Einladung zur konstruktiven Sachdebatte verstehen darf. Es gibt ja durchaus interessante Lizenzmodelle.
- Den stationären Einzelhandel will die künftige Regierung unterstützen: "Wir bemühen uns weiter um fairen Wettbewerb zwischen Geschäftsmodellen digitaler Großunternehmen und den lokal verwurzelten Unternehmen." Dringend notwendig! Hierzu gehört, neben einer – "unkomplizierten" – Förderung digitaler Wertschöpfung von kleinen und mittleren Unternehmen, auch die "Verbesserung der Aufenthalts- und Erlebnisqualität in den Innenstädten".
- Den großen Digitalplattformen will die Ampel-Regierung genauer auf die Finger schauen: Stärkung von Nutzerrechten, Überprüfbarkeit algorithmischer Systeme, klare Regelungen gegen Desinformation. Nur zu! Denn hinter dem, was im Vertragstext so technisch daherkommt, verbirgt sich nicht zuletzt ein Abbau von Wettbewerbsungleichheiten.
- Lobby-Einfluss soll in Deutschland besser als bisher kenntlich gemacht und dokumentiert werden; da interessiert man sich künftig für Kontakte zu Ministerien schon auf Referentenebene. Nicht verkehrt! Auch solche Maßnahmen mindern das politische Ungleichgewicht in der Interessenwahrnehmung, was all den Verbänden, die nicht mit Hundertschaften von Einflüsterern durch die Hauptstadt ziehen können, ganz recht sein darf.
- Last but not least: Die künftigen Koalitionäre aus SPD, Grünen und FDP "wollen Kultur in ihrer Vielfalt als Staatsziel verankern". Das hilft! Man könnte, schlechtgelaunt, die Absicht als Symbolpolitik abtun. Man könnte aber auch hoffen, dass der Erhalt kultureller Vielfalt, sobald er als Ziel staatlichen Handelns Verfassungsrang erhält, mit höherer Wahrscheinlichkeit klappt.
Wohl wahr – wir reden bis auf weiteres bloß von einem Papier. Und Papier ist bekanntlich, auch wenn Koalitionsverträge auf ihm geschrieben stehen, geduldig. Aber erstens: Es gab schon weniger anregende Absichtserklärungen neuer Regierungen. Und zweitens: Zweifel zu haben heißt ja immer auch, dass man die Möglichkeit des Gelingens vorläufig nicht ausschließen möchte. Diese Offenheit würde der Buchbranche im politischen Berlin guttun.
Und wenn dann noch eine grüne Kultur-Aficionada den Job ihrer für die Buchbranche so segensreichen Vorgängerin fortsetzen sollte…