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Wie auch kleine Verlage die Digitalisierung gut schaffen können

25. Februar 2020
von Börsenblatt

Zwei Professoren - Friedrich Figge von der HTWK Leipzig und Rainer Alt von der Uni Leipzig - liefern wertvolle Impulse und rufen dazu auf die Herausforderung anzunehmen.  Die Fragen stellte Martin Engelhard, Marketing-Manager bei 3w+p, einem deutschen Satzautomationsspezialisten. Die Interviews entstammen einem Whitepaper mit dem Titel "Digitalisierung und Herstellung in Verlagen 2020", das Sie am Ende des Artikels herunterladen können. 

Herr Professor Alt, wie kam es, dass Sie als Wirtschaftsinformatiker sich so intensiv mit digitalem Publizieren beschäftigt haben?

Zunächst bildet die Gestaltung der digitalen Transformation einen zentralen Bereich der Wirtschaftsinformatik und hat bereits seit den 1990er Jahren den Medienbereich aufgrund seiner Informationsintensität als Vorläufer für zahlreiche weitere Branchen erkannt. Gemäß der Aussage „every medial content is a computer file“ haben wir in unseren Vorlesungen seit vielen Jahren das Aufkommen digitaler Formate und neuer Akteure thematisiert. Konkreter sind aber zwei weitere „Auslöser“. Einerseits sind wir als Wissenschaftler für unsere eigenen Veröffentlichungen laufend mit Verlagen in Kontakt und erfahren dadurch die Abläufe aus erster Hand. Nur zu oft hat sich dabei gezeigt, dass wir zwar über die informationstechnologischen Auswirkungen – also etwa plattformbasierte Geschäftsmodelle oder medienbruchfreie Geschäftsprozesse – publiziert haben, dabei jedoch lange Laufzeiten bis zur Veröffentlichung erlebt haben, die auf zahlreichen Ineffizienzen beruht haben. Andererseits bin ich persönlich seit Anfang der 1990er-Jahre in verschiedenen Funktionen bei der wissenschaftlichen Zeitschrift „Electronic Markets“ tätig und damit unmittelbar in die Gestaltung eines Mediums involviert, das sich von einer primär physisch publizierten Zeitschrift zu einem vollständig digital verfügbaren Produkt mit einem hohen D

Die digitale Transformation eröffnet zahlreiche Chancen zur Verbesserung der eigenen Publikationsprozesse, dem Erschließen neuer Publikationsformate und neuer Zielgruppen, sodass die Sorge um eine Bedrohung oder gar Substitution nicht dominieren sollte.

Rainer Alt

Sie haben in Ihrem Projekt „Fit for Digital Publishing“ gezielt die Digitalisierung in Kleinverlagen untersucht – was haben Sie vorgefunden?

Deutschland hat erfreulicherweise eine zunehmende Anzahl von Verlagen zu verzeichnen. Allein in Sachsen existieren mittlerweile etwa zweihundert Verlage, sodass der Standort an seine alte Verlegertradition wieder anknüpfen kann. Allerdings sind viele der Verlage in unserer Region heute sogenannte Klein- oder Kleinstverlage (KKV), das heißt Verlagsunternehmen mit weniger als fünfzig bzw. zehn Beschäftigten. Trotz ihrer geringen Unternehmensgröße und den dadurch begrenzten Ressourcen besitzt dieses Segment aber den größten Anteil bei den jährlich erscheinenden Neuveröffentlichungen. Naturgemäß können sich die KKV dem digitalen Wandel nicht verschließen und müssen sich im Wettbewerb den großen Verlagshäusern sowie digitalen Plattformen stellen. Die digitale Transformation eröffnet jedoch auch zahlreiche Chancen zur Verbesserung der eigenen Publikationsprozesse, dem Erschließen neuer Publikationsformate und neuer Zielgruppen, sodass die Sorge um eine Bedrohung oder gar Substitution nicht dominieren sollte. Content ist auch in der digitalen Welt die Voraussetzung und hier haben KKV durch ihre häufig engen Beziehungen zu Autoren sehr viel zu bieten.

Was sind die Folgen dieser Situation?

Wie erwähnt hat die digitale Transformation den Mediensektor bereits fundamental verändert. Große Technologieunternehmen wie Apple, Amazon, Facebook oder Google haben sich zu Medienunternehmen entwickelt, digitale Formate haben traditionelle wie etwa die Brockhaus Enzyklopädie verdrängt oder stationäre Buchhandelsketten wie Borders sind Online-Anbietern wie Amazon gewichen. Zwar lassen sich diese Entwicklungen als Bedrohung der Verlage interpretieren, umgekehrt können Verlage durch Cloud-Angebote für Publishing-Lösungen oder weltweit zugängliche Kataloge und Distributionsplattformen auch leichter und mit geringerem Ressourceneinsatz von den digitalen Möglichkeiten profitieren. „Die digitale Transformation eröffnet zahlreiche Chancen zur Verbesserung der eigenen Publikationsprozesse, dem Erschließen neuer Publikationsformate und neuer Zielgruppen, sodass die Sorge um eine Bedrohung oder gar Substitution nicht dominieren sollte.“ Interview mit Rainer Alt Rainer Alt, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Uni Leipzig und Chefredakteur des Journals "Electronic Markets. Dies erfordert allerdings, dass KKV ihre eigene digitale Ausrichtung und Positionierung kennen. So müssen ihnen etwa die Eigenschaften digitaler Prozesse und Produkte sowie deren Ergänzung mit klassischen Print- und Distributionsstrukturen – die sog. Online-/Offline-Kopplung – bekannt sein. Die Veränderung der über Jahrzehnte etablierten analogen Prozesse hin zu digitalen Prozessen oder der Wandel von einem medium- zu einem contentzentrierten Denken ist dabei nicht einfach. Sie setzt neben Veränderungsbereitschaft auch Know-how und Ressourcen voraus, die bei KKV häufig einen limitierenden Faktor darstellen. Hier hat das Projekt „Fit for Digital Publishing“ (FiDiPub) angesetzt, dass sich gefördert durch die Sächsische Aufbaubank von 2016 bis 2020 mit der Digitalisierung von KKV und der Befähigung zur selbständigen digitalen Transformation befasste.

Wie können kleine Verlage die digitale Transformation schaffen?

Obgleich zumindest ein Minimum an technologischem Know-how wichtig ist, ist die Entwicklung einer digitalen Unternehmensstrategie die zentrale Voraussetzung. Hier sollten KKV an der Nähe zu ihren Autoren sowie ihren Ziel- bzw. Lesergruppen ansetzen und ihr Leistungsversprechen bzw. ihre „Value Proposition“ entwickeln. Im FiDiPub-Projekt haben wir dazu beispielsweise die bekannte Design-Thinking-Methodik eingesetzt und Nutzerprozesse, Medienformate und Wertschöpfungsnetzwerke diskutiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass KKV in einem Ökosystem mehrerer Akteure agieren, die sich auch gegenseitig ergänzen und stärken. Gerade angesichts der begrenzten eigenen Ressourcen sind Dienstleister notwendig, die technologische oder gestalterische Kompetenzen einbringen. Ziel war es, das verlegerische Know-how um digitale Kompetenzen zu erweitern, damit eine stärker „auf Augenhöhe“ angesiedelte Kooperation mit diesen Partnern möglich ist. Dazu fanden beispielsweise Workshops und Wissenstransferveranstaltungen statt, etwa zur Wissensvermittlung in den Bereichen des digitalen Marketings, des multimedialen Storytellings oder des Single-Source-Publishings.

Was ist für die Verlagsherstellung in diesen Verlagen zukünftig wichtig?

Wie angedeutet sind ein hoher Digitalisierungsgrad der Publikations- und Verlagsprozesse sowie eine contentzentrierte Arbeitsweise bei der Verlagsherstellung von Bedeutung. Danach steht bei der Produktion nicht das letztliche (Print)Produkt im Vordergrund, sondern die Organisation der Inhalte für möglichst viele Medienprodukte. Wie in einem Legobaukasten soll eine zentrale Ablage die einzelnen inhaltlichen Module umfassen und dann für verschiedene Produkte bzw. Medien bereitstellen. Dieses Single-SourcePublishing erstellt mit geringen medienspezifischen Zusatzkosten aus den gleichen Inhalten eine Printpublikation ebenso wie ein E-Book oder aus Einzelbausteinen ein Social-Media-Posting für eine bestimmte Zielgruppe oder einen Teaser für eine Webseite mit Paywall. Damit dies effizient bzw. mit geringem manuellem Aufbau geschehen kann, sind die digitalisierten Produktionsprozesse von Bedeutung, die in einem Ökosystem auch Dienstleister bzw. Partner miteinschließen. Dies war im FiDiPub-Projekt der Bereich „Kollaboration“ bei dem sich durch KKV untereinander über eine gemeinsame digitale Plattform durch Know-how oder Leistungen gegenseitig unterstützen. Ein erster Prototyp dazu ist beispielsweise im Projekt entstanden und liefert einen kleinen Einblick in die digitalisierte KKV-Welt.

Herr Professor Figge, was verbindet Sie mit Kleinverleger*innen und wie kamen Sie auf die Idee in deren Richtung zu forschen?

Mit der Verlagsbranche beschäftige ich mich fast mein ganzes Berufsleben lang, also seit über 25 Jahren, sowohl aktiv am Markt, d.h. als Verlagsleiter eines mittelgroßen Verlages oder als Leiter Neue Medien, und jetzt beobachtend als Professor und zeitweise als Berater für Verlage aller Größen. Gerade die Kleinverlage lagen mir immer sehr am Herzen. Viele kleine oder mittlere Verlage sehe ich unmittelbar vor mir. Ohne ihr Engagement, aber auch ihre Risikobereitschaft hätte es viele interessante Projekte nie gegeben, viele Autoren wären nie entdeckt worden und die kulturelle Vielfalt hätte enorm gelitten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kleinverlage die große Mehrheit der Verlage darstellen. Mich hat immer gewundert, dass sie keine größere Beachtung in Wissenschaft und Medien finden und ich wollte dies ändern. Ich wollte auch Klarheit darüber schaffen, wie es um diesen Teil der Branche bestellt ist. Über große und größere mittelgroße Verlage wird viel geschrieben. Die meisten haben die wichtigen Veränderungen inzwischen angestoßen. Aufgrund ihrer finanziellen Ressourcen können sie auch Trends durchaus einige Zeit verschlafen und dann aufholen. Welche Investitionsmittel hier freigemacht werden können oder welcher internationale Know-How-Transfer stattfinden kann, habe ich selbst bei Bertelsmann und Reed Elsevier erlebt. Dies funktioniert auch bei Kleinverlagen, ist aber schwieriger. Viele nähern sich da einem entscheidenden Punkt an, an dem glücklicherweise viele Fördermittel bereitstehen. Hier würde ich mir allerdings eine gezieltere und realistische Förderung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien Richtung Digitalisierungs-Schulung und -technik, Kooperationen etc. wünschen, wie es in unserer Studie gefordert wird.

Sie haben in Ihrem Projekt „Zukunftskompetenzen von kleinen und mittelgroßen Verlagen (KMV) im digitalen Wandel“ gezielt die Digitalisierung in Kleinverlagen erforscht – wird der digitale Wandel ignoriert?

Wie viele meiner Freunde und Bekannten aus dem Medien-Bereich und aus den Leitungspositionen der Verlage, aber auch in der Wissenschaft habe ich erwartet, dass der digitale Wandel längst die Mehrheit der Kleinverlage erreicht hat. Seit Jahren wird in den Medien, vom Börsenverein und von Beratern immer wieder auf die Konsequenzen der Digitalisierung und das sich massiv verändernde Mediennutzungsverhalten hingewiesen. Spricht man mit größeren Verlagen, so sind sie sich inzwischen auch all dieser Entwicklungen bewusst! Daher war es für unser Forschungsteam und mich wirklich eine Überraschung, dass die Mehrheit der Kleinverlage sich von diesen Veränderungen nicht betroffen fühlt und auch keine ausdrückliche Marktbeobachtung betreibt. Natürlich kannte ich eine Reihe Kleinverlage, bei denen das so war. Ich hatte sie aber für Einzelfälle gehalten. Unsere Studie zeigt deutlich, dass viele der Vorträge, Informationen, Arbeitsgruppen, Beratungsprojekte und staatlichen Förderungen nichts bringen konnten, weil ein großer Teil der Kleinverlagsbranche mental noch nicht für den Wandel bereit zu sein scheint. Es scheint eher das Gefühl zu herrschen, dass trotz der von zu Jahr sinkenden Anzahl von Kleinverlagen das Buch als Produkt langfristig ausreicht und man sowieso keine Zeit und Ressourcen für die digitalen Themen hätte. Trotz aller Aufklärungsarbeit bspw. auch durch die IG Digital und im Rahmen der IG UV sind viele Kleinverlage vom digitalen Wandel noch immer recht unbeeindruckt, obwohl doch spätestens seit der vom Börsenverein initiierten Quo Vadis Studie Mitte 2018 allen klar sein sollte, welche wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen auf das Verlagswesen zukommen. Mein persönlicher Eindruck anhand einiger Beispiele ist, dass Kleinverlage den Wandel gut schaffen können, da sie flexibler als größere Verlage sind, wenn sie ihn anpacken. Hier empfehle ich, die Diskussion im Börsenblatt zu unserer Studie zu lesen.

Ich will nicht sagen, dass dem Buch das baldige Ende droht, aber dass die Bedeutung dieses Mediums gegenüber anderen abnimmt, ist unbestreitbar. In ihrer jetzigen Ausrichtung werden es viele Verlage sehr schwer haben.

Dr. Ulrich Becker

Die Mehrheit der deutschen Kleinverlage ist nach den Erkenntnissen dieser Studie langfristig nicht wettbewerbsfähig. Worauf können wir uns gefasst machen?

Ulrich Becker: Die bekannten Studien wie die bereits erwähnte Quo Vadis Studie zeigen deutlich, dass sich das Marktumfeld massiv verändert. Es kommen ja nicht nur neue Medien hinzu, sondern auch der dem einzelnen Mediennutzer zur Auswahl stehenden Content nimmt rasant zu. Der relevante Wettbewerb ist nicht am Buchmarkt, sondern der Wettbewerb um die Zeit des Lesers, und da steht das Buch eben auch in Konkurrenz mit Instagram, Facebook, Netflix. In unserer Studie wurde deutlich, dass die meisten Verlage das gedruckte Buch weiterhin in das Zentrum ihrer Arbeit stellen. Ich will nicht sagen, dass dem Buch das baldige Ende droht, aber dass die Bedeutung dieses Mediums gegenüber anderen abnimmt, ist unbestreitbar. Die wirtschaftliche Situation der meisten Kleinverlage wird sich in den kommenden Jahren wahrscheinlich nicht verbessern und weitere werden aufgeben. Auch wenn die Corona-Epidemie-bedingten Einbrüche nicht jeden Verlag getroffen haben, wird es dennoch nicht einfacher für die Kleinverlage, aber es ist auch nicht so, dass die Lage völlig hoffnungslos ist. Ja, in ihrer jetzigen Ausrichtung werden es viele Verlage sehr schwer haben. Aber unsere Studie zeigt, dass es eben auch Gegenbeispiele gibt. Wir haben sogar sehr kleine Verlage gefunden, die erfolgreiche digitale Strategien entwickelt haben. Wir glauben, dass diese Erfolgsbeispiele auch eine Chance für andere Verlage darstellen. Damit dies Erfolg haben kann, müssen aber alle Marktteilnehmer, also die Verlage aber auch der Börsenverein, evtl. die Barsortimenter, die Beauftragten für Kultur und Medien oder die Kulturminister der Länder etc. jetzt die richtigen Weichen stellen. Es gibt natürlich auch ein anderes Szenario. Wenn die Situation sich nicht ändert wird die Anzahl der Kleinverlage wie bisher weiter sinken. Um dies aufzuhalten, bedarf es eines Wandels aller Beteiligten und anders als bisher eines Schwerpunktes auf dem Thema Kleinverlage. Natürlich bieten Marktveränderungen auch Chancen: Wir haben in unserer Studie Verlage identifiziert, die sich dezidiert als Dienstleister für Selfpublisher verstehen.

In welchen Bereichen ist das meiste Aufholpotenzial?

Das hängt sehr davon ab, wie die Verlage heute bereits aufgestellt sind. Unsere Studie hat hier ein breites Spektrum an Strategien aufgezeigt, das von weitgehend digitaler Verweigerung bis zur hocheffektiven und durchgängigen Digitalisierung aller Wertschöpfungsstufen mit klarer Wettbewerbspositionierung reicht. Wo eine Investition in Digitalisierung den größten wirtschaftlichen Nutzen bringt, hängt auch davon ab, wo ein Verlag auf diesem Spektrum einzuordnen ist. Als ersten Schritt sind sicher Investitionen in das digitale Marketing sinnvoll, hier kann mit relativ geringem finanziellen Aufwand sehr schnell ein signifikanter Effekt erreicht werden. Dies setzt allerdings eine vorherige und laufende Analyse der Social Media Nutzung der eigenen Zielgruppe und eine darauf basierende Fokussierung voraus. Sonst könnte schnell der nicht zutreffende Eindruck entstehen, dass sich nach dem Motto „Wir haben es ja probiert und nur wenig ist dabei rausgekommen“ Social Media-Marketing sowieso nicht lohnt. Mittelfristig wird wohl jeder Verlag in die crossmediale Vermarktung seiner Inhalte investieren oder sich die entsprechenden Partner suchen müssen, um seine Inhalte über verschiedene Medienkanäle vermarkten zu können. Wichtig ist jedoch, und das hat unsere Studie sehr deutlich gezeigt, dass Digitalisierung per se keinen Effekt bringt. Die Verlage müssen sich vorher sehr klar über ihre strategische Positionierung sein und erst dann die für diese Strategie relevanten digitalen Investitionen tätigen. Auch muss nicht jeder alles immer allein machen. Die Digitalisierung bietet vielerlei Möglichkeiten zur Kooperation, die es auch kleineren Verlagen leicht machen, von den Effekten neuer Technologien zu profitieren. Hier sei last but not least der Bereich der medienneutralen Datenhaltung angesprochen. Dies ist nicht nur kostengünstiger als früher, sondern auch kostensenkend möglich. Auf die Herstellung gehen wir sicher noch ein.

Die Digitalisierung bietet vielerlei Möglichkeiten zur Kooperation, die es auch kleineren Verlagen leicht machen, von den Effekten neuer Technologien zu profitieren. Hier sei last but not least der Bereich der medienneutralen Datenhaltung angesprochen.

Friedrich Figge

Ist es mehr die Nutzung der Technologie selbst oder die Einstellung gegenüber der Digitalisierung? Konnten Sie da Unterschiede feststellen?

Ulrich Becker: Hier sprechen Sie eine der wichtigsten Erkenntnisse unserer Studie an. Natürlich nehmen alle Verlage digitalen Wandel wahr. Aber nur eine Minderheit handelt tatsächlich. Digitalisierung ist kein Hexenwerk, sie fängt mit einer effektiven Nutzung sozialer Medien oder der Beauftragung von Dienstleistern an. Hierfür braucht es keine ITAusbildung oder signifikante Inventionen in digitale Infrastruktur. Aber schon hier zeigen sich bei vielen Kleinverlagen Defizite. Eine durchgängige Digitalisierung der Produktion inklusive einer medienneutralen Datenhaltung stellt die Verlage schon vor technische Herausforderungen. Aber darum geht es zunächst einmal nicht. Unsere Studie zeigt, dass viele Verlage davon ausgehen, dass der digitale Wandel ihr Geschäft nicht so sehr betrifft. Es erinnert ein wenig an den Frosch in der Pfanne, der ignoriert, wie das Wasser, in dem er sitzt, langsam immer heißer wird, bis es zu spät ist, aus der Pfanne zu springen.

Was ist für die Verlagsherstellung in diesen Verlagen zukünftig wichtig?

Aus der Verlagsstrategie sollte die Herstellungsstrategie hervorgehen. Ist die Zielgruppe des Verlages eher printaffin aufgestellt, ergibt sich daraus eine andere Strategie als bei einer Zielgruppe, die zunehmend digitalen Angebote nachfragt. Im Mittelpunkt steht dabei der Verlagshersteller, der auch bei Kleinverlagen immer mehr die Rolle des Managers einnehmen muss. Die technischen und handwerklichen Kenntnisse (Satz, Grafik, Druckkenntnisse, Onlineseitengestaltung etc.) sollten zwar weiterhin vorhanden sein, aber in erster Linie geht es um den qualitativ besten und kosteneffizientesten Weg zum gewünschten Produkt. Gerade bei Kleinverlagen ohne eigenen Hersteller, wird dies vom Verleger mitgeleistet werden müssen. Der Verlagshersteller muss seine Prozesse kennen, analysieren und bestenfalls auch bereit sein, hergebrachte Abläufe neu zu gestalten. Wichtigstes „Hilfsmittel“ ist hierbei die Bereitschaft zur permanenten Weiterbildung und eine gute Vernetzung in der Branche. Nichts ist teurer als jedes Rad noch einmal neu zu erfinden. Will oder muss ein Verlag sich bezüglich Zielgruppe und Portfolio neu aufstellen, sollte klar sein, dass es sich hierbei in erster Linie um einen Abstimmungsprozess handelt. Die in der Vergangenheit häufig gestellte grundsätzliche Forderung nach Medienneutralität muss differenziert betrachtet werden. Habe ich als digitale Produkte nur eBooks im Programm, muss ich mich nicht mit den Feinheiten der digitalen Datenaufbereitung beschäftigen. Es reicht oft, Buch und E-Book klar zu beschreiben, saubere und gleichförmige Übergabeschnittstellen zu definieren und auf bekannte Dienstleister zuzugehen. „Rightsourcing“ ist hier das Zauberwort. – Der Verlagshersteller kann weiter als früher schauen, wo man im Gesamtpaket die geforderte Leistung zum besten Gesamtpreis bekommt. Das kann die Datenaufbereitung im eigenen Haus sein, das kann der vertraute Dienstleister der letzten zehn Jahre sein, aber auch der Dienstleister im Nearshoringbereich (Osteuropa) oder im Offshoring (Indien, China) sein. Will der Verlag immer mehr digitale Produkte an den Markt bringen, muss die Infrastruktur hierfür angepasst werden. Je kleiner der Kleinverlag ist, desto mehr bieten sich üblicherweise Kooperationen an, wobei man an den Verlagsclustern in unserer Studie sehen kann, dass die Kleinverlage sehr heterogen sind, was die verlagsübergreifenden Zusammenarbeit erschwert. Erste Schritte in Richtung Zusammenarbeit sind immer die Prozesse, die Schnittstellen und die Standards. Je mehr der Verlage sich dabei an denselben Standards ausrichten, desto günstiger werden die Preise. Ein eigenes Thema ist dabei die Nutzung von Open-Source-Standards - bspw. für SaaS- oder Automatisierungsangebote. Wer selbst mit Spaß am eigenen Satzsystem arbeitet, wird das wahrscheinlich auch weiterhin tun. Er sollte sich nur, um langfristig mithalten zu können, in ein Netzwerk von Dienstleistern oder von Partnerverlagen einbinden.