Raus aus dem Genie-Kammerl!
Hält der lautmalerische Claim »meaoiswiamia«, was er verspricht? Eine literarische Reise durch Österreich – dem Gastland der kommenden Leipziger Buchmesse.
Hält der lautmalerische Claim »meaoiswiamia«, was er verspricht? Eine literarische Reise durch Österreich – dem Gastland der kommenden Leipziger Buchmesse.
»Um ein Land kennenzulernen, gibt es viele Wege«, schreibt Karl-Markus Gauß übers Leipziger Gastlandprojekt 2023. Der »Königinnenweg« indes sei: die Literatur. Für ein Wochenende nehmen wir den in Salzburg lebenden Autor beim Wort – und seine Heimatstadt, reich an Widersprüchen, zum Ausgangspunkt unserer Exkursion. Von Thomas Bernhards Diktum, dass Salzburg in Wirklichkeit eine Todeskrankheit sei, ist in der ersten Stunde noch nichts zu spüren: Bei strahlender Sonne bestellt der Reporter im Naturfreundehaus auf dem Mönchsberg Grießnockensuppe, Grünen Veltliner und einen Verlängerten, der Panoramablick ist gratis. Nach einem Wolkenbruch retten wir uns ins Café Bazar; die folgenden 48 Stunden werden wir nie ohne Schirm aus dem Haus gehen. Aber auch nicht ohne Buch!
Es dürfte eines der schillerndsten Selbstporträts der neueren Literaturgeschichte sein, das H. C. Artmann 1964 seinem schwedischen Tagebuch voranstellte: »Meine heimat ist Österreich, mein vaterland Europa ...« Im Literaturhaus Salzburg, wo der 100. Geburtstag des großen Dichters und Übersetzers 2021 rauschend gefeiert wurde, bringen Erwin Steinhauer & Seine Lieben in einem literarisch-musikalischen Programm den Abenteurer Artmann auf die Bühne (nachzuhören in »Um zu tauschen Vers für Kuss«, Mandelbaum Klangbuch 2021).
Zuvor ist mit Kathrin Röggla, Daniela Strigl, Klaus Zeyringer und Karl-Markus Gauß geballte Literatur-Prominenz angetreten, um eine der strittigsten Fragen der Germanistik zu klären: Was ist österreichische Literatur?
Zu erleben ist zunächst eine Umweg-Debatte, in der sie mit brasilianischem Fußball verglichen wird: »Verliebt ins Spiel, aber zu wenig Zug zum Tor?« Ein Blick auf die Liste der Büchner-Preisträger lässt anderes vermuten. Kathrin Röggla sieht die Gefahr der »Institutionalisierung« der österreichischen Avantgarde. Für die 1971 in Salzburg geborene Autorin war die Literatur nie ein einsames »Genie-Kammerl«; ihr Weg führte über den »Hallraum« der Gespräche, etwa in der Salzburger Literaturwerkstatt oder der Redaktion der Zeitschrift »erostepost«. Lange hat es gedauert, bis man sogenannte Minderheiten-Literaturen als Bereicherung ansieht, sich Migrant:innen in die Tradition einschreiben.
Sie wollen diesen Plus-Artikel weiterlesen?
Dafür benötigen Sie ein Benutzerkonto sowie ein Abonnement!