Familienbild in Kinderbüchern

Jenseits von Bullerbü

19. September 2024
von Nicola Bardola

Das Familienbild im Kinderbuch ist vielfältiger geworden. Ob damit gerade in unsicheren Zeiten auch mehr ´heile Welt´ Einzug hält, wird in der Branche kontrovers diskutiert.

Vielfalt im Kinderbuch? Die kann auch so aussehen: "Zurzeit ist es ein Anliegen, ganz unterschiedliche Familienkonstellationen als selbstverständlich und als eine gute Heimat zu beschreiben", meint Thienemann-Verlegerin Bärbel Dorweiler. Das umfasse vieles: "Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, getrennt, Patchwork, zwei Männer, zwei Frauen … – nur polyamor habe ich im Kinderbuch noch nicht gesehen. Deswegen müssen echte Probleme, die in der Familie begründet sind, nicht ausgeblendet werden; sie kommen im echten Leben ja schließlich auch vor."

Dass es einen Trend hin "zur genauen Be­obachtung verschiedener Möglichkeiten von Familie" gibt, bestätigt auch Annette Maas, Programmleiterin bei cbj Kinderbuch. "Die Rollenverteilung zwischen Kindern und Eltern wie auch die Geschlechterrollen werden in `normaleren` Familien ausgelotet." Maas beobachtet, dass in unsicheren Zeiten der Wunsch nach einem geschützten Raum im Buch zunehme, "in dem nicht alle Härten des Lebens stattfinden". Und für DK-Verlegerin Monika Schlitzer zeichnen sich die ­Kinderbücher ihres Verlags alles in allem "durch ein positives und hoffnungsvoll auf die Zukunft gerichtetes Familienbild aus, das Familien und Kinder zu Empathie und gegenseitigem Verständnis ermuntern will."

Diverse Familienverhältnisse

Statt von einem Trend zur Familie spricht Beatrice Wallis, Programmleiterin bei Beltz & Gelberg Kinderbuch, deshalb auch lieber von Lebensrealitäten, die sich diversifiziert haben. Aber auch sie sieht Veränderungen in Richtung Schutzraum: "Themen wie ­Krankheiten jeglicher Art spielen bei allen Protagonist:innen aktuell eine weniger große Rolle als noch vor einigen Jahren."

Wenn Saskia Heintz, Chefin des Hanser Kinder- und Jugendbuchverlags, ihre Programme der vergangenen Jahrzehnte durchgeht, stellt sie dagegen fest: "Wir haben tatsächlich sehr viel `Sick Lit´ veröffentlicht, von Sally Nicholls, J. C. Oates und Janne Teller bis zu John Green." Sogar in Jenny Hans Sommer-Trilogie seien die Eltern getrennt und die Mutter sterbe an Krebs – ´Sick Lit´ beziehungsweise Coming of Age und Entwicklungsromane seien allgegenwärtig. "Das hat sich in den fast 30 Jahren, die ich bei Hanser Bücher lektoriere, nicht verändert." Dabei stünden Tod, Krankheit, Verlust, Gewalt, psychische Probleme oder abwesende Eltern als solche aber nicht unbedingt im Mittelpunkt, sondern die Herausforderungen, die sich für die Protagonist:innen dadurch ergeben. "Die familiären oder persönlichen Problemstellungen sind Anlass, aufzubrechen, sich zu entwickeln und etwas zu verändern – kein Opfer zu sein, sondern Mut zu beweisen." Die jugendlichen Held:innen der Geschichten würden durch ihren Erfahrungen reifen: "Es geht um Selbstermächtigung." Es gebe schwule und lesbische Elternpaare, zerrüttete und heile Familien, arme und reiche, eingewanderte und einheimische, überhaupt: "Familien aus aller Welt."
 

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