"Der Verlag war mausetot!"
100 Jahre Paul Zsolnay: Erst war der Wiener Verlag eine klangvolle Adresse, dann nur noch a schöne Leich’ – bis er unter dem Hanser-Dach neue Strahlkraft entwickeln konnte.
100 Jahre Paul Zsolnay: Erst war der Wiener Verlag eine klangvolle Adresse, dann nur noch a schöne Leich’ – bis er unter dem Hanser-Dach neue Strahlkraft entwickeln konnte.
»Total spooky« sei es gewesen, als Herbert Ohrlinger, seit mehr als 25 Jahren Zsolnay-Verleger, 1996 das erste Mal seine künftige Wirkungsstätte inspizierte – zumindest nach Michael Krügers Erinnerung. Ohrlinger betrat das knarzende Parkett in einem Gründerzeit-Hochparterre zwischen Schwarzenberg-Palais und Belvedere, auf dem Kriminaltechniker wohl noch DNA-Spuren von Franz Werfel sicherstellen könnten – in Begleitung seines künftigen Chefs, Hanser-Legende Krüger, der den Laden gerade gekauft hatte. Ohrlinger soll damals empfohlen haben, vor Betreten des Verlags-Archivs in die Hände zu klatschen, »um die Nagetiere zu vertreiben«. Den Schlüssel verwahrten die Damen Haindl & Kaindl, die ihre Füße im einzigen geheizten Raum der ehrwürdigen Büro-Etage auf alten Leitz-Ordnern abgelegt hatten, in denen immerhin Verträge mit Graham Greene, John Le Carré, Stephen King sowie Friedrich Torberg und Leo Perutz schlummerten. Ganz so schlimm wie in Krügers Schilderung, beteuert Ohrlinger heute, sei es nicht gewesen. Was das Standing von Zsolnay betraf, war es vermutlich schlimmer: »Der Verlag war mausetot! Ich hatte immer eine gewisse Sympathie, weil er ein Stück altes Österreich bedeutete. Aber es waren keine Bücher da, die man hätte besprechen können. Nur zum hundertsten Mal ›Der Spion, der aus der Kälte kam‹ und irgendwelche Graham-Greene-Sachen.«
Bis 1924, dem Jahr, in dem er Verleger wurde, hatte Peter Paul Zsolnay (1895–1961) mehr mit der Landwirtschaft als mit Büchern zu tun: Er verwaltete das Familiengut Schloss Oberufer nahe Bratislava, auf dem sich hochkarätige Schriftsteller die Klinke in die Hand gaben (weshalb der Verlag auch nicht, wie fälschlicherweise von manchen Piefkes, Solnei oder Zolnee ausgesprochen wird, sondern Scholnai – wie in Schomlauer Nockerl). Dort regte im Frühherbst 1923 die Burgtheater-Schauspielerin Ida Roland die Gründung eines Verlags an – aber wer setzt sich für das Start-up den Hut auf? Der 28-jährige Sohn des Schlossherrn ließ sich breitschlagen. Als Gründer ohne feste Gewinnerzielungsabsicht sammelte Zsolnay zunächst vor allem Autoren wie Franz Werfel, Heinrich Mann oder Max Brod ein, die mit ihren deutschen Verlegern – so etwa Kurt Wolff – unzufrieden waren. Besonders anziehend war für die inflationsgeplagten Dichter, dass Zsolnay zur Honorar-Zahlung in einer harten Währung ihrer Wahl bereit war. Trotz der Emigration vieler Freunde, der Plünderung jüdischer Geschäfte, selbst der Schließung durch die Gestapo konnte Paul Zsolnay den Verlag bis weit nach dem »Anschluss« Österreichs ans Dritte Reich unterm Radar weiterführen. Nach einem Interregnum unter dem überzeugten Nazi Karl Heinrich Bischoff kehrte Zsolnay 1946 nach Wien zurück und machte da weiter, wo er aufgehört hatte.
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