Neue Kolumne von Hermann Eckel

Urheberrechte garantieren keine Innovation – Patente schon

20. Juni 2024
von Hermann Eckel

Wenn angestammte Medienunternehmen im globalen Wettbewerb bestehen wollen, müssen sie deutlich innovativer werden, möglichst patentier- oder zumindest lizenzierbare technologische Lösungen entwickeln und sich ebenfalls zu Tech-Unternehmen wandeln. KI clever eingesetzt kann Buchhandlungen und Verlagen dabei helfen. 

„Wenn man der Innovation auf den Grund geht, dann wird aus Sinnsuche heraus erfunden.“ So bestätigte der Patent-Experte Prof. Dr. Alexander Wurzer den engen Zusammenhang von Innovation und Purpose, dem ich in der letzten Kolumne nachgegangen war. Grundlage seiner Einschätzung waren Prof. Wurzers Fallstudien zur Bedeutung strategischer Patent-Entwicklung für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen.

Beim Blick auf diese Studien fiel mir allerdings auf, dass sie allesamt mit Unternehmen aus technischen Industriezweigen durchgeführt worden waren. Medienunternehmen fehlten hier völlig – und das ist kein Zufall. Denn deren Geschäftsmodell basiert traditionell nicht auf der permanenten technischen Weiterentwicklung von Produkten, sondern auf der Verwertung von Urheberrechten bzw. Copyrights, die keine Innovationstreiber darstellen. Denn anders als bei Patenten ist für diese Form geistigen Eigentums nicht der Innovationsgrad entscheidend, sondern die „Schöpfungshöhe“ künstlerischer Werke – die aber wird auch Genre-Romanen zugemessen, die nach Schema F gestrickt sind. In der Industrie hingegen spielt Technologieführerschaft schon immer eine entscheidende Rolle. Entsprechend unterhalten Industrieunternehmen ganze Abteilungen für Forschung & Entwicklung und lassen sich regelmäßig innovative Neuerungen patentieren. Allein der globale Spitzenreiter Samsung hält über 100.000 Patente. Hingegen findet sich unter den weltweiten Top 100 der Unternehmen mit den meisten Patenten kein einziges klassisches Medienunternehmen.

Mit der zunehmenden Digitalisierung weicht der Gegensatz von Medien- und Industriebranchen jedoch immer mehr auf, und die Medien werden immer stärker in den Technologiesektor hineingezogen. Viele der neuen dominanten Player im Medienbereich, wie Amazon, Apple oder Google, treten als Tech-Unternehmen auf, die auch mit Produktion und Handel von Copyrights Geld verdienen. Entsprechend aktiv sind sie bei Patentierungen – und erscheinen unter den globalen Top-100-Patenthaltern. So hat der chinesische Internet-Gigant Tencent ein Patent für eine Technologie angemeldet, mit deren Hilfe KI-gestützt Produktabbildungen in Streaming-Videos eingebettet werden können – und zwar nachträglich, wenn also das Filmmaterial fix und fertig produziert ist. Ein solch digitales, auf verschiedenste Zielgruppen zu personalisierendes und extrem kostengünstig zu erstellendes „Product Placement“ ist natürlich die Lösung für Streaming-Dienste wie Netflix, die zusätzliche Werbeeinnahmen generieren, aber ihre Abo-Kundschaft nicht mit klassischer Werbespots verschrecken wollen. Tencent wird damit sicher kräftig an der Lizenzierung dieser attraktiven Technologie verdienen.

Ob angestammte Medienunternehmen nun wollen oder nicht: Wenn sie im Wettbewerb mit solchen Konkurrenten bestehen wollen, müssen sie deutlich innovativer werden, möglichst patentier- oder zumindest lizenzierbare technologische Lösungen entwickeln und sich ebenfalls zu Tech-Unternehmen wandeln. So unterschiedliche Branchengrößen wie Disney, Universal Music, die New York Times oder Die ZEIT aber auch führende Fach- und Wissenschaftsverlage oder Thalia mit über 250 Inhouse-Programmier*innen und eigener KI-Abteilung sind längst auf diesem Pfad unterwegs.

Doch die Zeit drängt für alle Medien(handels)unternehmen, egal welcher Sparte und Größenordnung. Denn klassische, auf der Monetarisierung von Urheberrechten basierende Geschäftsmodelle könnten künftig umfassend in Frage gestellt werden, wie ein von der Europäischen Kommission veröffentlichtes Papier zur „Zukunft der Innovation und der Regulierung des geistigen Eigentums im Jahr 2040“ darlegt. In der Tat bietet das Urheberrecht angesichts jüngster KI-Entwicklungen schon jetzt keinen ausreichenden Schutz mehr: So werden die großen Handelsplattformen besonders im Ratgeber-Bereich immer mehr mit KI-generierten Nachahmer-Titeln überschwemmt, deren Verkaufszahlen dank Fake-Rezensionen mitunter die der Originale überflügeln. Zugleich hat sich die Zahl der täglichen Zugriffe auf Verlagswebsites zuletzt explosionsartig vermehrt. Häufiger Ursprung dieser Zugriffe: Bytedance, der Mutterkonzern von TikTok, der – wie andere Tech-Giganten auch – mit sogenannten Crawlern permanent Informationen von Millionen von Websites ausliest.

Da hilft nur, Technologien wie KI selber so clever wie möglich einzusetzen. Dass dazu auch kleinere und mittlere Verlage und Buchhandlungen in der Lage sind, konnte man kürzlich bei den Böv-Fokustagen in Frankfurt erleben. So berichtete Sarah Natusch von der Buchhandlung Hoffmann in Eutin davon, dass sie schon mehrere Gewinnspiele mit KI erstellt habe. Und Carlo Günther vom PAL Verlag (Jahresumsatz: ca. 2 Mio. Euro) demonstrierte einen innerhalb von neun Monaten mithilfe von Site GPT entwickelten Chatbot für die verlagseigene Website. Indem der Chatbot Besucher*innen qualitativ hochwertige Ratschläge liefert, verbessert er das Nutzererlebnis und damit die Kundenbindung und Käufergewinnung. Halil Recber, Geschäftsführer des zahnmedizinischen Spitta Verlags (Jahresumsatz: ca. 11 Mio. Euro), schließlich präsentierte eine KI-Lösung im Bereich Marketing & Vertrieb, die dem Verlag eine deutlich zielgenauere und rentablere Kundenansprache ermöglicht. Mittlerweile werden 25% des Verlagsumsatzes KI-gesteuert realisiert.

Dass der Weg zu komplexeren technischen Neuerungen durchaus steinig sein kann, räumten Günther wie Recber gerne ein. Immerhin haben ihre Verlage dabei genau jene „Dynamischen Fähigkeiten“ (David Teece, 1997) weiter ausgebildet, die im globalen Wettbewerb immer wichtiger werden: sich schnell ändernden Marktbedingungen anzupassen und laufend weitere Kompetenzen anzueignen sowie regelmäßig neue Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Insofern zahlen sich solche Anstrengungen doppelt aus – oder dreifach, denn PAL und Spitta könnten ja ihre Lösungen theoretisch auch anderen Verlagen lizenzieren.

Kurz: Innovation tut nicht nur Not, sondern eröffnet vielfältige neue Chancen. Rein operative Fähigkeiten, die nur die bloße Fortführung der bisherigen Geschäftstätigkeit gewährleisten, reichen heute nicht mehr aus. Ein neuer Podcast der IG Digital will daher weitere Impulse zur Innovationsentwicklung geben: „Loslegen! Der Podcast für mehr Innovation in der Buchbranche“ 

Unser Kolumnist

Foto Herrmann Eckel

Nach dem Lehramtsstudium der Germanistik und Geschichte durchlief Hermann Eckel verschiedene Vertriebs­stationen beim Bärenreiter-Verlag und bei Oxford University Press und war von 2010 bis 2016 Managing Director beim Musikverlag Peters. Im Dezember 2017 übernahm er die Geschäfts­leitung bei tolino media und war dort v.a. für den Ausbau der Selfpublishing-Plattform verantwortlich. Seit November 2022 ist Hermann Eckel als selbständiger Berater, Trainer, Speaker, Moderator und Dozent tätig. Als Partner des Beraternetzwerks Heinold & Friends und als Inhaber seiner eigenen Firma connect2act begleitet er Unternehmen der Buch- und Druckbranche bei den vielfältigen Aspekten der digitalen, organisatorischen und kulturellen Transformation. Daneben engagiert er sich seit 2019 als Sprecher der IG Digital im Börsenverein.