Festakt Bayerischer Buchpreis

Unterhaltend aufschlussreich

11. November 2022
Andreas Trojan

Die Verleihung des Bayerischen Buchpreises gewinnt durch die Live-Diskussion der Jury an Vielseitigkeit: Der Abend war genau strukturiert und unterhaltend aufschlussreich. Der Ehrenpreis ging an einen berühmten Historiker.

Öffentlichkeit sei für die Buchbranche lebensnotwendig, so Klaus Füreder, Vorsitzender des Landesverbands Bayern im Börsenverein: Die Buchbranche sei durch die Pandemie, durch den Ukraine-Krieg, durch Papiermangel und eine allgemeine Kaufzurückhaltung gebeutelt. Die Verleihung des Bayerischen Buchpreises, der zum neunten Mal für Aufmerksamkeit weit über Bayern hinaus sorgt, fand in der repräsentativen Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz statt und wurde gleichzeitig in Kulturradio Bayern2 übertragen. (und steht nun als Podcast zur Verfügung). Außerdem wählten Leser:innen ihr Lieblingsbuch. 

Die Schlafwandler von heute sind diejenigen, die bei der Unterstützung der Ukraine zögerlich sind.

Sir Christopher Clark.

Der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten ging dieses Jahr an Sir Christopher Clark. Der gebürtige Australier lehrt Neuere Europäische Geschichte an der Universität Cambridge. Sein Schwerpunkt liegt in der Historie Preußens. Sein Buch „Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ wurde zum Bestseller. In seiner Laudatio bekannte der Bayerische Ministerpräsident freimütig: „Ich bin ein Fan von ihm.“ Christopher Clark schreibe auf hohem Niveau und doch verständlich. Genau das sei eben nicht selbstverständlich. Am Schluss seiner Laudatio konnte sich Söder einen kleinen Seitenhieb auf die einstmals preußische Großmacht nicht verkneifen: „Heute gibt es Preußen nicht mehr – Bayern schon.“

„Es ist eine seltsame Zeit für Historiker.“ Mit diesen Worten begann Christopher Clark seine Dankesrede. Ob Boris Johnson oder – noch viel schlimmer – Wladimir Putin, Politiker würden sich heute einfach aus dem Laden der Geschichte bedienen, um die eigenen Aktionen zu rechtfertigen. Dem müssten seriöse Historiker entgegentreten. Clark widersprach entschieden der Ansicht, dass die jetzige Situation in der Ukraine mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs Ähnlichkeiten aufweise. Sein Fazit: „Die Schlafwandler von heute sind diejenigen, die bei der Unterstützung der Ukraine zögerlich sind.“

„Die Jury tagt live!“ – so das Motto des Abends, als es um die Prämierung im Bereich Sachbuch und Belletristik ging (jeweils mit 10 000 Euro dotiert). Das Trio der Juroren agierte zum dritten Mal gemeinsam auf der Bühne: Sonja Zekri, Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung, Rainer Moritz, Autor und Leiter des Literaturhauses Hamburg, und Knut Cordsen, Kultur-Redakteur beim Bayerischen Rundfunk.

Im Bereich Sachbuch traten drei Bücher und ihre Autor*innen an:

  • Andreas Bernard mit „Wir gingen raus und spielten Fußball“ (Klett-Cotta). Im Buch geht es um eine Fußball-Kindheit in München der 1970er und 1980er Jahre.
  • Die Historikerinnen Franziska Davies und Katja Makhotina mit „Offene Wunden Osteuropas“ (wbg). Sie besuchten mehr als 15 Erinnerungsorte in fünf verschiedenen Ländern, um der deutschsprachigen Leserschaft die Grausamkeit des deutschen Vernichtungskrieges im östlichen Europa näherzubringen.
  • Bettina Flitner mit „Meine Schwester“ (Kiepenheuer & Witsch). Die Fotografin erzählt von ihrer Familie aus links-liberalen Bürgertum in den 1970er Jahren der BRD. Ihre Schwester und ihre Mutter litten an schweren Depressionen und begingen Selbstmord.

Sonja Zekri befand Bernards Fußball-Buch als eine reine Männerpublikation. Dem widersprachen zwar ihre Mitjuroren und trotzdem konnte sie mit dieser Kritik punkten. Flitners Buch über ihre Familie wurde zwar einhellig gelobt, doch letztlich konnten sich Franziska Davies und Katja Makhotina mit „Offene Wunden Osteuropas“ durchsetzen. Der Grund: Viele Orte und Taten der Nazis, die beide im Buch aufzeigen, sind selbst einer interessierten Leserschaft unbekannt.

Geschichte ist nie unschuldig, sie wird benutzt und missdeutet. Franziska Davies und Katja Makhotina haben mit ‚Offene Wunden Osteuropas‘ ein unbestechliches und anschauliches Buch geschrieben, das die blinden Flecken unserer Erinnerungskultur ausleuchtet – und vor Täuschungen schützt.

Begründung der Jury

In der Sparte Belletristik gab es gleich zwei Roman-Debüts:

  • Annika Büsings „Nordstadt“ (Steidl) schildert eine Liebesgeschichte im Ruhrgebiet: Armut, Alkohol, niedriges Bildungsniveau, Gewaltexzesse und Ausgrenzung von sozialen Minderheiten bilden die Eckpfeiler des Lebens. Sozialkritik pur und ganz jetztzeitig.
  • Noemi Somalvico präsentierte mit „Ist hier das Jenseits, fragt Schwein“ (Voland & Quist) eine moderne Tierfabel: Schwein und Dachs, der Erfinder einer Maschine für Zeit- und Dimensionssprünge, reisen zu Gott. Der ist allerdings ein wenig depressiv.
  • Reinhard Kaiser-Mühlecker war mit „Wilderer“ (S. Fischer) nominiert. Der Autor beschreibt in seinem Roman bäuerliches Leben von heute – ohne Kitsch, ohne falsche Romantik.

Obwohl beide Debüts von allen drei Juroren hoch gelobt wurden, konnte sich „Wilderer“ durchsetzen. „Das Besondere an diesem Buch ist, dass der Autor das Leben am Land genau kennt und es deswegen so präzise beschreiben kann“, so Knut Cordsen. Reinhard Kaiser-Mühlecker nannte in seiner Dankesrede einen Satz, der für die gegenwärtige Situation stimmig war: „Heimat ist, wo die Erinnerung zuhause ist.“ Durch den Ukraine-Krieg, der natürlich beim Bayerischen Buchpreis gegenwärtig war, bekam diese Aussage ein besonderes Gewicht.

Heimat ist, wo die Erinnerung zuhause ist.

Reinhard Kaiser-Mühlecker

Verliehen wurde auch der Bayern 2-Publikumspreis für das Buch „Hast du uns endlich gefunden“ von Edgar Selge (Rowohlt). Für diesen Preis haben Leserinnen und Leser selbst in den vergangenen Wochen über ihr Lieblingsbuch des Jahres abgestimmt. Fünf Bücher, allesamt aktuell Bestseller in bayerischen Buchhandlungen, standen zur Wahl.

Über den Bayerischen Buchpreis

Veranstalter des Bayerischen Buchpreises ist der Börsenverein des Deutschen Buchhandels - Landesverband Bayern. Gefördert wird er von der Bayerischen Staatskanzlei und unterstützt von Bayern 2 als Medienpartner, von der ZEIT Verlagsgruppe, der Bayerischen Sparkassenstiftung sowie dem Verein zur Leseförderung.

Die Preisträgerinnen und der Preisträger erhalten jeweils 10.000 Euro sowie eine Preisfigur aus Nymphenburger Porzellan.