Aus der Printausgabe BBL 15: Interview mit Thomas Rathnow

"Übersetzen heißt, Fremdes miteinander zu verbinden"

14. April 2021
Michael Roesler-Graichen

Nicht erst seit der Debatte um Amanda Gorman denkt man in Verlagshäusern sorgfältiger darüber nach, wie Texte am besten übersetzt werden können. Ein vielschichtiges Problem, das auch mit politischen Forderungen und der Frage nach mehr Diversität im Literaturbetrieb einhergeht, meint Thomas Rathnow, CEO der Verlagsgruppe Penguin Random House. Mehr dazu in unserem Thema der Woche in Börsenblatt 15/2021, das morgen erscheint.

Wird der identitätspolitische Diskurs künftig immer häufiger ein Faktor bei der Planung von Übersetzungsprojekten?
Die Debatte, die man als »identitätspolitisch« bezeichnet und die sich beispielsweise an der Frage entzündet hat, wer die Gedichte von Amanda Gorman übersetzen soll und wer vielleicht nicht, ist vielschichtiger und wichtiger als das, was sich in der schnellen Aufgeregtheit und Überspitzung auf verschiedenen Seiten zeigt. Die Diskussion hat sicher das Bewusstsein bei Verlagen, bei den Übersetzer*innen selbst und in der literarischen Öffentlichkeit dafür geschärft, dass sorgfältiger nachgedacht werden muss.

Geht es denn immer um die Sache, oder spielen außerliterarische Aspekte eine Rolle?
Die Frage, welche Kriterien gelten können, um zu beurteilen, ob eine bestimmte Person das Werk eines Autors, einer Autorin angemessen und gelungen übersetzen kann, ist nun mal komplex – und eher im Nachhinein und kaum vorab zu entscheiden. In der aktuellen Debatte geht es jedoch weniger um ästhetische Gesichtspunkte, sondern um Machtverhältnisse, Fragen nach Zugehörigkeit und Teilhabe. Und um politische Forderungen – und die halte ich tendenziell für richtig. Problematisch an manchen Aspekten des sogenannten identitätspolitischen Diskurses scheint mir aber zum einen die Neigung zur Reduktion. Personen werden dabei schnell auf ein einziges Merkmal reduziert, sei es ethnische Herkunft, Gender oder sexuelle Orientierung. Zum anderen neigt die Debatte, zugespitzt durch den überhitzten Duktus des Austauschs in sozialen Medien, zur schnellen moralischen Verurteilung. Das finde ich bedauerlich, weil es Ängste auslöst. Es ist Gift für eine offene und konstruktive Auseinandersetzung, wenn Einzelne oder Organisationen vor allem vermeiden wollen, in einen Shitstorm zu geraten und bloßgestellt zu werden. Das erzeugt eher oberflächlichen Opportunismus, keine substanziellen Änderungen. Ich hoffe, dass es gelingt, die Debatte über »Identität« und »Diversity« so zu führen, dass nicht das Trennende betont wird. Wir sollten Verständnis und Kommunikation ermöglichen. Gerade beim Übersetzen geht es ja immer darum, Fremdes miteinander zu verbinden.

Es geht weniger um ästhetische Gesichtspunkte, sondern um Machtverhältnisse, Fragen nach Zugehörigkeit und Teilhabe.

Thomas Rathnow

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