Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2023

Slowenien: Club der lebenden Dichter

15. Juni 2023
Petra Gass

Slowenien ist von seiner Sprache besessen, weil es in seiner wechselhaften Geschichte lange nichts anderes Verbindendes hatte als seine Sprache. Was Slowenien als Ehrengast zur Frankfurter Buchmesse 2023 mitbringt. 

Selten beginnt eine Pressekonferenz mit Musik. Die Vorschau-PK für das Programm des Gastlands Slowenien macht da eine Ausnahme: Kulturbotschafter des kleinen südosteuropäischen Landes ist der Kontrabass in den Händen von Tomaž Grom – der dem Instrument qietschende und hallende Töne entlockte, bis es vibrierte und dröhnte und am Ende auch noch rhythmisch abgeklopft wurde.

Die experimentelle Performance des Musikphilosophen war die Steilvorlage für die Erwartungen an das Gastlandprogramm, dessen Kuratorenteam Amalija Maček, Miha Kovač und Matthias Göritz mit Katja Stergar, Direktorin der Slowenischen Buchagentur, vor Begeisterung schier übersprudelte, kenntnisreich das geplante Kulturangebot erläuterte und unprätentios ein bimmelndes Handy wegsteckte – ein Journalist rief aus Slowenien an, ob man denn in Frankfurt mit der PK fertig sei und man endlich auch in Slowenien das Programm veröffentlichen dürfe. Man kann es also kaum erwarten, die eigene Literatur zu präsentieren – durchaus mit berechtigtem Stolz. Seit 2016 laufen Vorgespräche und Vorbereitung, 2018 hatte man einen Gastlandstatus bei der Leipziger Buchmesse. Deutschland ist (politisches) Vorbild und Hauptwirtschaftspartner, deshalb hat das Kulturministerium Übersetzungsprojekte gefördert: Es sollten viele und vor allem gute Übersetzungen sein, die die Literatur Sloweniens in Deutschland bekannt machen. Deutsche Verlage zeigten sich interessiert, deshalb ist allein schon die Novitätenliste mit Genuss zu lesen. "Mehr als 80 Titel aus dem Slowenischen und über Slowenien sind im Rahmen des Ehrengastprogramms erschienen", betonte Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse.

In diesem Café kannst Du Schönheit trinken. ...
Knips das Licht an, damit Du nicht allein bist. 
Das ist Deine Abkürzung zur Nähe. 

Ana Pepelnik, aus „Mein Nachbar auf der Wolke" (Lyrik-Anthologie, Hanser)

Slowenien ist ein kleines Land, das es noch nicht lange gibt, dessen Sprache von 2 Millionen Menschen gesprochen, geschrieben, gelesen wird. Es sei nicht zu verstehen ohne den Bezug zum ehemaligen Jugoslawien, so Gastland-Kuratorin Amalija Maček. „Die Sprache war immer das, was uns ausgemacht hat. Wir hatten keinen beständigen Staat!“, so Maček. Die zentrale Lage in Europa zwischen den germanischen, romanischen und slawischen Sprachen mache Slowenien so besonders, so ihr Teamkollege Miha Kovač, lebhaft mit den Armen in alle Himmelrichtungen deutend: „Ganz Europa steckt in unserem kleinen Land!“ Dieses kleine Land habe nur überlebt, weil man Bücher lese – und weil man gelernt habe nachzudenken.

Matthias Göritz (links) mit Ana Svetel, Tone Škrjanec und Ana Pepelnik

 

Lyrik als aufs Kürzeste verdichtete Lebenserfahrung

Es steckt also viel Inhalt vor allem in kleinen Literaturformen, die die Slowenen mitbringen werden. Eine Lyrik-Lesetour ist jetzt schon in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs, flankiert von Poesie-Automaten: „Einer der Lyrik-Automaten wurde sogar schon gestohlen“, berichtet Matthias Göritz ebenso verwundert wie stolz. Die Liste der beim Gastlandauftritt beteiligten Autor:innen beginnt derzeit mit Zoe Ashwood, streift Ana Marwan und endet bei Slavoj Žižek.  Insgesamt werden es über 70 sein, die bei der Frankfurter Buchmesse (18.–22. Oktober) zu Gast sein werden.

Am Abend wird Grom über Gedichten seiner Landsleute improvisieren. Was die Lyrikerinnen Ana Pepelnik, Ana Svetel, Tone Škrjanec und Herausgeber Matthias Göritz vorlesen, ist aufs kürzeste verdichtete Lebenserfahrung, man versteht sofort, warum in Slowenien Lyriklesungen kein Nischenangebot für Wenige sind, sondern bis 100 Zuhörer anziehen. Auch Gedichte verstorbener Autor:innen spielen eine Rolle. „Solange Gedichte gelesen werden, leben ihre Verfasser“, so Göritz.

Ähnlich wie Pandemien gibt es Lieben, die sich nicht aufhalten lassen.

Ana Svetel

Die Gestaltung des Gastlandpavillions auf dem Messegelände (Studio Sadar) ist von den Naturlandschaften inspiriert und soll wie ein offenes Buch Tageslicht hereinlassen – eine schöne Abwechslung in den architektonischen Konzepten der Gastländer (erinnert sich jemand, wie 2012 Besucher des sparsam beleuchteten Ehrengastauftritts Neuseelands in die Wasserflächen stapften?)

Architekt Jure Sadar präsentiert das Konzept des Gastlandpavillons

Auszug aus dem Literatur- und Kulturprogramm

  • Die Schirn Kunsthalle widmet sich der slowenischen bildenden Kunst von Maruša Sagadin.
  • Das Deutsche Romantik-Museum lockt mit der slowenischen Romantik, allen voran France Prešeren.
  • Im Fotografie Forum Frankfurt wird ausgewählte Fotokunst aus Slowenien ausgestellt.
  • Wochenende der Slowenischen Literatur in der Villa Clementine in Wiesbaden
  • Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt:  Einblick in die überraschend vielfältige Neue-Musik-Szene Sloweniens
  • Retro-Avantgarde-Musik: die slowenische Band Laibach gibt ein exklusives Deutschlandkonzert in der Frankfurter Jahrhunderthalle. In Kooperation mit dem iranischen Kollektiv a/political präsentieren sie die Geschichte von "Alamut", das auf einer berühmten Erzählung aus dem Persien des elften Jahrhunderts basiert. Das gleichnamige Buch von Vladimir Bartol ist in Slowenien ein Bestseller.

Organisator des Gastlandauftritts ist die slowenische Buchagentur JAK. Mehr zum Programm unter: sloveniafrankfurt2023.com 

Von links nach rechts: Übersetzer und Herausgeber Matthias Göritz, Buchmesse-Direktor Juergen Boos, das Slowenien-Team Amalija Maček, Miha Kovač und Katja Stergar, Gastland-Architekt Jure Sadar und Buchmesse-Sprecher Torsten Casimir

Fachprogramm und weitere Themen

Neben einem Fokus auf slowenische Lyrik und Philosophie sind weitere Themenschwerpunkte die Naturliebe und die Sportbegeisterung der SlowenInnen, wenn es zum Beispiel um Alpinismus und den Radsport geht. Beim Fachprogramm gibt es Einblicke in die slowenische Buchbranche, Veranstaltungen zum Lesen im Zeitalter der Screens und zum Deep Reading als kognitives Training in digital-flüchtigen Zeiten. Außerdem wird es um Methoden und Wege des Rechteverkaufs aus kleinen Märkten im globalen Kontext gehen.

 

Das Video der Pressekonferenz: