Karriere

Seid stolz auf Eure Selbstständigkeit!

28. April 2022
Veronika Weiss

Die Selbstständigen der Buchbranche können in Sachen Selbstbewusstsein eine Menge von Start-ups lernen, meint Veronika Weiss. 

Nicht immer überwiegt die Sicherheit einer Festanstellung gegenüber dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Und gerade in der Buchbranche gibt es viele Idealist:in­nen, die aus Überzeugung ihr eigenes Ding machen: Sie führen einen liebevoll kuratierten Buchladen oder verlegen ihre ­eigenen Werke, sind freiberufliche Autorin, Übersetzerin oder Lektor. Sie bereichern die Buchkultur.
Der Schritt in die Selbstständigkeit ist ein großer und zu keinem Zeitpunkt einfach, denn niemand bereitet einen darauf vor. So vieles will gelernt werden: Welche Geschäftsform melde ich an? Ab wann sollte oder muss ich Umsatzsteuer berechnen? Wie geht eine Einnahmenüberschussrechnung? Wie d­oppelte Buchführung? Wie schreibe ich überhaupt ein ­Angebot und wann ist meine Rechnung vollständig? Welchen ­Verbänden sollte ich am besten beitreten? 
Fragen über Fragen. Für Antworten muss neben Freundin Google und Gründungsangeboten meist das Netzwerk herhalten. Oder haben Sie diese Dinge während der Ausbildung gelernt? Ich nicht – oder höchstens in grau verschwommener Vorzeit, da war zum Beispiel Berufsorientierung mal Thema, allerdings in wenigen Wochen abgehandelt. Apropos: Am 28. April ist mal wieder wieder der Girls’ und Boys’ Day über die Bühne gegangen. Buchhandlungen und Verlage können den Nachwuchs vielleicht locken, aber wenn Freiberufler:innen acht Stunden lang lesen und tippen, mutet das doch zu abstrakt an.

Freie und Selbstständige sollten stolz auf ihre Entscheidung sein. Wir sollten den Hut ziehen vor ihrer Leistung. 

Man ist nie ausreichend vorbereitet. Dann doch lieber ein Schulfach »Lebenspraxis«. Keine neue aber immer noch eine sehr verlockende Idee, finde ich. Da hätten wir ganz allgemein Nützliches über Verbraucherschutz, Versicherungen, die Steuererklärung, Arbeitsrecht und die Wichtigkeit eines Betriebsrats gelernt, außerdem interkulturelle Kompetenz, Glück, Eventmanagement, Umgang mit Waschmaschinen und so weiter. Herrlich. Und natürlich: Wie gründe ich eine Firma? Wie funktioniert Selbstständigkeit? 
Für Buchprofis ist das Weiterbildungsangebot in dieser Hinsicht eher schmal; immerhin kann man sich beim Börsenverein zu Eröffnung und Übernahme einer Buchhandlung informieren. Zugleich hat es auch Vorteile, gar nicht abschätzen zu ­können, was auf einen zukommt.
 
Außerhalb der Buchwelt werden die neuen Qualifikationen als solche eher wertgeschätzt. Junge Gründende aus allen möglichen Branchen bestärken sich gegenseitig, halten Talks, machen ­Podcasts – und setzen so Maßstäbe in der Öffentlichkeit. Sie setzen mit ihrem Streben und ihren Ideen Trends, die sogar von Satiriker:innen ins Lächerliche gezogen werden. So weit muss man es erst mal schaffen.
Von diesem Selbstbewusstsein könnten wir Buchleute uns eine Scheibe abschneiden: Freie und Selbstständige sollten stolz auf ihre Entscheidung sein. Und von außen sollte wir ihnen gegenüber weniger Mitleid und Herablassung mitschwingen lassen (»Hat er keine Stelle gefunden? Kommt sie finan­ziell wirklich über die Runden?«), sondern besser den Hut ziehen vor ihrer Leistung.