Glückwunsch für Heinrich Riethmüller

Mann mit Stil

14. Oktober 2020
Redaktion Börsenblatt

Als Vorsteher hat Heinrich Riethmüller den Friedenspreis zu seiner Herzenssache gemacht. Verleger Jürgen Horbach gratuliert dem Tübinger Buchhändler, der heute, am 14. Oktober 65 Jahre alt wird – und auch durch seine Belesenheit Haltung zeigt.

Von 2013 bis 2019 hatte der Börsenverein einen Vorsteher mit einer mehr als 400 Jahre alten Firmen­tradition im Hintergrund: als geschäftsführender Gesellschafter und Stiftungsvorstand von Osiander und dazu mit einer 20-jährigen ehrenamtlichen Tätigkeit für den Börsenverein in zahlreichen Ausschüssen. 

Wer aus Tübingen kommt und dort lebt, ist niemals nur unbeschwert. Dort ist man entweder Theologe, Jurist, Dichter, Philologe, Philosoph, Naturwissenschaftler oder Kirchenmusiker. Mit ein wenig Pech auch Politiker. Revolutionär nur im Ausnahmefall. Heinrich Riethmüller hatte Glück, er wurde als Buchhändler geboren. Das heißt aber auch, dass er mit seiner Profession kein verwöhntes Leben erbte. Im nahen Literaturarchiv von Marbach werden die schwäbischen Dichter gepflegt, wohl zunehmend von einer breiteren Öffentlichkeit unbemerkt. Auch das wäre ein nicht landesuntypisches Schicksal gewesen für den 1955 geborenen Heinrich, wenn er 1755 oder 1855 ge­boren worden wäre: Dichter zu sein. Als geborener Tübinger Buchhändler ist man freilich den Dichtern auch im 21. Jahrhundert nah. 

Es ist gefährlich, mit dem nun 65 Lebensjahre zählenden Jubilar über aktuelle Bücher nur einen Small Talk halten zu wollen. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass Heinrich Riethmüller das jüngste Werk eines leichthin erwähnten Autors oder auch andere Bücher längst gelesen hat, um sogleich gedankenreich die Vorzüge und Schwächen des jeweiligen Titels zu erläutern. Ein Hinweis auf die Verkäuflichkeit oder das Flop-Potenzial folgt am Ende des Vortrags nicht selten. 

Es ist gefährlich, mit ihm über aktuelle Bücher nur einen Small Talk halten zu wollen.

Jürgen Horbach

Wertschätzung für Atwood

Von 2013 bis 2019 hatte der Börsenverein einen Bücher lesenden Vorsteher. Es ist anzunehmen, dass die zehn Jahre, die er dem neunköpfigen Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels angehörte, unter allen Ehren­ämtern sein liebstes gewesen ist. Hier hatte der nimmermüde Leser nicht nur ein Amt mit Auszeichnung, sondern auch ein Forum für ernsthafte Diskussionen über Inhalte und Autoren. Immer war ihm über alle notwendigen Kriterien hinaus daran gelegen, dass Kandidaten für den Friedenspreis auch Bücher geschrieben hatten – bel­letris­tische oder sachbe­zogene.

Auch in Ausübung dieses Amts wurde er bei aller Freude nicht stets verwöhnt. 2017 entschied sich der Stiftungsrat als Preisträgerin für die Kanadierin Margaret Atwood. Zu den Aufgaben des Referenten für den Friedenspreis, Martin Schult, 
gehört es, die Preisverleihung durch einen Besuch vorzubereiten, wo auch immer die Preisträger beheimatet sind. Heinrich Riethmüller war so begeistert von Atwoods Wahl, dass er beschloss, Schult auf seiner Reise nach Toronto auf eigene Kosten zu begleiten. 

In Reykjavik gestrandet

Mit Rücksicht auf die knappen finanziellen Mittel fiel die Wahl der Fluglinie auf die isländische Billigfluglinie Wow. Die vier Tage in Toronto waren bereichernd und kurzweilig. Auf dem Rückflug strandeten die beiden aber in Reykjavík. Man musste das Beste daraus machen und mietete ein Taxi, um die lange Zeit des Wartens mit Erkundungen zu verbringen. Pech für den Schwaben: Der Preisvorteil des Billigflugs verschwand in den Taschen des Taxi­fahrers. Aber was ist dieser Verlust gegen den Gewinn der Atwood-Begegnung?

Zur Lebensführung des Heinrich Riethmüller gehört seine Bescheidenheit, gepaart mit Haltung. Im Stiftungsrat fällt dem Vorsteher die Vorsitzendenrolle zu. Das behagte ihm nicht immer. Moderator zu sein ließ ihm zu wenig Spielraum. Er wollte mitdiskutieren. Lieber drei Jury­sitzungen als nur zwei. Die Gesprächs­führung gab er manchmal gern ab. Man merkte seinen klugen und wohlüberlegten Reden und Laudationes mit institutionspolitischem Feingefühl an, wie sehr ihm diese Aufgabe lag. 
 

Freundlich, zugewandt, fair

So ist eben eins zum anderen gekommen nach SoA- und Wahlausschuss und Abgeordnetenversammlung. Heinrich Riethmüller war stets im Ehrenamt des Börsenvereins und zuletzt an dessen Spitze als Vorsteher – sechs Jahre lang. Möglicherweise war seine Lebensweise qua Herkunft nicht ganz frei. Sein Lebensstil ist es aber wohl: immer freundlich, zugewandt, zuhörend, selbstbewusst, fair, kollegial und oft leicht ironisch. In allen seinen Ämtern und gegenüber Haupt- und Ehrenamtlichen. Stil ist oft das, was Menschen unterscheidet. 

Amartya Sen, den er nicht mehr mitbestimmt hat, ist als diesjähriger Friedenspreisträger gewiss nach seinem Geschmack, so wie der letzte Preisträger von 2019 unter seiner Stiftungsleitung, Sebastião Salgado: engagiert und mutig in den wichtigsten Fragen der Welt­gemeinschaft. Dem vorzüglichen Heinrich Riethmüller sind wir mit unserem herzlichen Glückwunsch zu großem Dank verpflichtet.

Wenn wir unser Leben beurteilen, haben wir Grund, nicht nur unsere tatsächliche Lebensführung aufmerksam zu betrachten, sondern auch unsere Freiheit, zwischen verschiedenen Lebensstilen und Lebensweisen zu wählen. 

Amayrta Sen, Friedenspreisträger 2020, in seinem Buch "Die Idee der Gerechtigkeit"