Nur einen Schritt weiter gedacht: Diejenigen, die am Ende der vierten Klasse nicht sinnerfassend lesen können, werden sicher nicht diejenigen sein, die später mal intuitiv zu bedienende Lernapps programmieren und herausragende pädagogische Konzepte für Tablets im Schulunterricht entwickeln. Und noch ein zweiter Schritt: Das Geld, das Bundesbildungsministerin Anja Karlizcek jetzt nicht in die Förderung der Lesefähigkeit steckt, zahlt die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters eben später als Förderung an die Verlage, wie eine Studie aus dem März 2021 gerade in Bezug auf kleine Verlage empfiehlt. Weil immer weniger Menschen Bücher kaufen und einen persönlichen Nutzen im Lesen sehen.
Es ist also noch nichts gewonnen. Dagegen suggeriert der nun installierte Nationale Lesepakt ein konzertiertes und zielgerichtetes Handeln - ohne je konkrete Ziele und den Weg für ihre Umsetzung definiert zu haben. Der Nationale Lesepakt darf nicht dazu dienen, einen politischen Auftrag aus den Augen zu verlieren und in die Hände anderer, von Stiftungen bis Freiwilligeninitiativen, zu legen. Bildung kostet. Und mich Nerven, wenn ich im Spätsommer wieder die Plakate sämtlicher Parteien vor mir sehe, wie sie unisono ein Mehr für Bildung (mehr Lehrer:innen, bessere Ausstattung, modernere Schulen etc.) fordern, wie vor jeder Wahl. Um dann vier oder fünf Jahre zu warten, um nach bleierner Zeit den Missstand erneut anzuprangern. Wo bleibt da der politische Handlungswillen?
Also reiten wir weiter als große Herde williger Partner gegen die Windmühlen an. Unterstützen wir die Idee des Lesepakts in dem Wissen, dass wir damit allein noch nichts gewonnen haben. Und suchen wir nach Wegen, es gemeinsam besser zu machen.
Ralf Schweikart ist Vorsitzender des Arbeitskreises für Jugendliteratur AKJ, Publizist und Kinder- und Jugendliteraturexperte