"Was sind das für Zeiten, in denen es nicht möglich ist, eine Dankesrede auch nur zwei Wochen im Voraus zu verfassen! Kaum hat man sie schriftlich mit gebührendem Ernst und angemessener Freude verfertigt und zu Ende gebracht, wäre es schon ruchlos, sie vorzutragen, hieße es doch zu schweigen über so vieles, das seither geschehen ist. Und kein Prophet, auch keiner, der auf den heutigen Namen Experte hört, hat vor einigen Wochen vorausgesehen, was sich doch, wie wir heute einräumen, seit Jahren angekündigt hat.
Als ich mich Ende Januar hinsetzte, um die Rede zu schreiben, die ich am 16. März in Leipzig halten wollte, ging ich im Glück eines Preisträgers ans Werk, der davon berichten darf, warum er gerade jene Bücher geschrieben hat, für die er an diesem Tag ausgezeichnet wird. Ich erzählte von der frühen, mir selbst rätselhaften Leidenschaft, die den Zwanzigjährigen dazu brachte, aus Zeitungen alle Artikel auszuschneiden und zu archivieren, in denen von den kleinsten Nationalitäten Europas und von den ethnischen, sozialen, sprachlichen Minderheiten unseres Kontinents die Rede war. Auf die Idee, dass ich über diese oft bedrängten Gruppen an den Peripherien Europas, aber auch an den Rändern unserer Städte in der Mitte des Kontinents, irgendwann schreiben, sie literarisch erkunden könnte, bin ich damals nicht gekommen; das geschah erst später, als ich begann, den Reisen als Leser andere hinzuzufügen, die mich durch die Regionen führten, denen ich mich in Büchern angenähert hatte. Erst jetzt, da ich sie durchwanderte und ihren realen Menschen begegnete, wuchs in mir der Wunsch, über sie zu schreiben, vermutlich weil das Schreiben für mich jene Lebensform darstellt, die Dinge und Menschen am schärfsten wahrzunehmen und ihnen und ihrer Widersprüchlichkeit am ehesten gerecht zu werden. Ob ich in Süditalien die Arbereshe besuchte, Albaner, die dort seit Jahrhunderten leben und natürlich längst Italiener geworden sind, aber sich doch eine renitente Erinnerung an ihre Vorfahren und deren lebensgefährliche Flucht übers Meer bewahrt haben; oder ob ich mich zu den Aromunen begab, die über den ganzen Balkan verstreut leben, nie einen eigenen Staat angestrebt, sich aber als Händler zwischen den verschiedenen Staaten bewährt haben, als Händler von Waren und als Schmuggler geistiger Güter: Wo immer ich die historischen Minderheiten aufsuchte, traf ich nicht nur auf Menschen, die einer sympathischen oder verstockten Nachhut der Geschichte angehörten, sondern auch solche, die in manchem geradezu eine Avantgarde bildeten. Angehörige von Minderheiten haben eine mehrfache Identität, sie sprechen die Staatssprache und versuchen ihre Muttersprachen zu hüten, sie sind familiär mit Menschen jenseits der Staatsgrenzen verbunden und haben es meist von früh auf gelernt, in mehr als bloß einer Nation, einem Staat, einer Tradition zu denken und zu fühlen. Und deswegen sind viele von ihnen, was wir alle erst werden wollen: Europäer, die über die Grenzen hinweg zu leben gewöhnt sind, ohne deswegen zu vergessen, wofür ihre Vorfahren einstanden und was sie an Besonderem der allgemeinen Kultur hinzugefügt haben - und was auch sie selbst ihr hinzufügen könnten, wenn man sie nur wahr- und ernstnehmen würde.
Beim Verfassen meiner Dankesrede Nummer 1 sind viele Erinnerungsbilder in mir aufgetaucht. Etwa das mächtige Schiff aus Stein, auf das ich, hundert Kilometer von der Küste entfernt, im albanischen Hochland stieß. Es wurde dort als Hotel errichtet, träumte die Familie, die es erbaute, doch von einer glänzenden touristischen Zukunft dieser abgelegenen Provinz. Dass sie das Hotel ausgerechnet in der Form eines Schiffes errichtete, sollte an ihre drei Söhne erinnern, die in den frühen neunziger Jahren ein überfülltes Schiff bestiegen, um von Vlora nach Brindisi überzusetzen. Sie haben das andere, unser Europa nicht erreicht und sind wie so viele nach ihnen im Mittelmeer ertrunken. Das Geisterschiff, als Hotel nie in Betrieb genommen, wittert als Ruine verlorener Träume dahin, aber als solche wird sie noch lange, da sie aus massivem Beton gebaut wurde, von doppelt gescheiterten Hoffnungen zeugen.
Aber auch von so herrlichen Erlebnissen wollte ich berichten wie davon, in Chisinau in einem von jungen Leuten frequentierten Lokal zu sitzen. Die moldauisch-rumänischen und die russischstämmigen Studenten konnten sich nicht einmal darauf einigen, ob sie den Tag, an dem die Moldau 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte, als Tag der Befreiung feiern oder des Zerfalls betrauern sollten. Hörte man genauer hin, konnte man jedoch erkennen, dass sich die Liebespaare, die schon welche waren, und jene, die sich gerade innig damit beschäftigten, welche zu werden, einander häufig in zwei Sprachen anschmachteten, sie auf Russisch, er auf Rumänisch oder umgekehrt. Am Ende meiner moldawischen Reise war ich mir sicher, dass die meisten, die sich für ganze Russen hielten, in Wahrheit halbe Bulgaren, Rumänen, Ukrainer oder Gagausen waren, während jene, die sich als die stolzesten Rumänen ausgaben, nur vergessen hatten, dass ihre innig geliebte Oma aus Russland stammte. Es war faszinierend zu sehen, dass die Menschen in ihrem alltäglichen Verhalten zueinander viel weiter und freier waren als dort, wo sie sich an nationalistischen Verheißungen orientierten, die doch ihrer vielschichtigen Existenz rundweg widersprachen.
Das alles und vieles Melancholische, Hoffnungsvolle, aber auch Deprimierende, das man erlebt, wenn man an den Rändern Europas unterwegs ist, wollte ich in der ersten Dankesrede erzählen. Doch dann kam die Nachricht, dass die Leipziger Buchmesse abgesagt wurde, nicht etwa weil es die Pandemie erforderte, sondern manche aus der Verlagsbranche selbst allzu zögerlich waren, vor allem aber ausgerechnet die mächtigsten Verlagskonzerne ihre Teilnahme stornierten. Mir erschien das als Verrat, als Verrat an der Literatur selbst und an den vielen, die ihr aus Berufung und von Berufs wegen ihre Zeit, ihre Talente, Liebe und Leidenschaft widmen, auf welche Weise und auf welchem Posten immer. Wer die Sache aller verrät, um die eigene Macht - oder Marktposition - zu stärken, der mag sich für kurz als Sieger fühlen, er wird aber, indem er andere ruiniert, auch sich selbst schweren Schaden zufügen, wie wir es gerade jetzt an einem ungleich entsetzlicheren Fall als dem ersehen, der die Absage der Leipziger Buchmesse darstellt. Wer es der Buchhaltung, so wichtig sie ist, überlässt, über Bücher, Buchmessen, Feste der Literatur und derer, die ihr Leben mit ihr verbunden haben, zu entscheiden, der wird eines Tages jenem Produkt den gesellschaftlichen Wert genommen haben, mit dem er doch seine besten Geschäfte gemacht hat. Das sollten auch die drei Herrn bedenken, die im Fernsehen begründeten, warum ihre Konzerne der Messe, deren nicht geringster Verdienst es ist, die realen und die imaginären Grenzen, die durch Europa schneiden, in der Literatur aufzuheben, dieses Mal oder womöglich für immer fern bleiben müssten.
Es gibt eine merkwürdige Sportart, die auf die ersten Blicke hin geradezu befremdlich wirkt. Man braucht seine Zeit, um sich von dieser Einheit aus Akrobatik, Athletik und Artistik verzaubern zu lassen. Ich rede natürlich vom Synchronschwimmen, bei dem etliche Schwimmerinnen (und
neuerdings auch Schwimmer) unter, auf und, sich mit rätselhaftem Schwung in die Höhe schraubend, geradezu über dem Wasser bestimmte Figuren gestalten, und zwar im völligen Gleichklang ihrer Bewegungen und in gestalteter Harmonie zu einer ihr Programm begleitenden Musik. Die drei Herren, von denen ich vorher sprach, haben im unschönen Gleichlaut ihrer Worte begründet, warum sie die lange vorbereitete Buchmesse kurzfristig boykottieren mussten, sie argumentierten alle auf dieselbe Weise und machten, als hätten sie lange gemeinsam trainiert, dabei die exakt gleiche Bittermiene. Und je länger ich ihnen zuhörte und zusah, umso deutlicher trat mir vor Augen, sie bei einer Art von Betriebssport zu beobachten, dem Betriebssport von Vorstandsvorsitzenden und Konzerngewaltigen, nämlich dem Synchronjammern. Was es ihnen zu bejammern galt? In Wahrheit jammerten sie über die Last, die nicht auf den Kleinen, sondern nur auf ihnen, den Reichen und Mächtigen, lastet, und sie greinten über das Unglück, dass ihre Leidenschaft nicht mehr den Büchern gelten könne, sondern der Buchhaltung gelten müsse. Kurz, beifallsheischend wollten uns die Giganten mitteilen, dass sie lieber Schöngeister geblieben wären, und dass sie es also verdienten, von der ganzen Branche, der sie den Stempel aufdrücken wollen, nicht kritisiert, sondern bedauert zu werden.
Als ich in meiner zweiten Dankesrede so weit gekommen war, erwachte ich am nächsten Tag so wie wir alle in einer anderen Welt.
Erwarten Sie bitte nicht, dass ich Ihnen und mir diesen Krieg zu erklären versuche, der kraft der gewalttätigen Verlogenheit derer, die ihn vom Zaum gebrochen haben, dort, wo sie herrschen, nicht einmal als solcher bezeichnet werden darf. Unbestreitbar ist, dass dieser Krieg selbst ein einziges Kriegsverbrechen darstellt, wobei er in Russland ja bei Strafe von bis zu fünfzehn Jahren Haft nicht als solcher, sondern als „militärische Sonderoperation“ bezeichnet werden muss. Der Angriffskrieg ist auch als militärische Sonderoperation gegen die Sprache angelegt, und zwar im doppelten Sinne. Zum einen gegen die ukrainische Sprache selbst, die seit zaristischen Zeiten stetig zu einem rohen Bauerndialekt abgewertet wurde, den man abwechselnd mit paternalistischem Wohlwollen in den privaten Bereich verwies und mit bürokratischen Direktiven aus dem öffentlichen Bereich, der Sphäre von Politik, Verwaltung, Wissenschaften verbannte. Die Literatur hat sich dieser gewohnheitsmäßigen Abwertung der Sprache von Abermillionen widersetzt, gerade indem sie in trotziger Feinarbeit das Ukrainische auch als Sprache der Dichtung ausformte. Noch 1985 starb im Alter von 47 Jahren ein großer, in unseren Ländern nahezu unbekannt gebliebener Dichter in einem sowjetischen Straflager, Wassyl Stus, dessen Verbrechen darin bestand, in ukrainischer Sprache herrliche Verse zu schreiben, die in deutscher Übersetzung beispielsweise so lauten: „Ich frohlocke und steige auf den Totenwagen/ von wo ich rufe: Hoch das Leben!“
Zum anderen hat die sprachpolizeiliche Sonderoperation das Kriegsziel, Begriffe per Gesetz für verbindlich zu erklären und aus der Lüge eine staatsbürgerliche Pflicht zu machen. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie skrupellos Wörter in unseren Ländern umgedeutet wurden, indem sich Gegner von Impfungen zu tapferen Dissidenten, wagemutigen Rebellen, gar zu Widerstandskämpfern erklärten oder sich des Judensterns bemächtigten, um sich den Status von Opfern anzueignen. In Russland ist es die Obrigkeit, die die Umdeutung verfügt und behauptet, der Überfall auf einen anderen Staat habe zum Ziel, diesen zu „denazifizieren“ und somit zu befreien. Ja, auch in der Ukraine gibt es alte völkische Faschisten und neue zeitgeistige Rechtsextreme, aber nicht mehr als in den meisten Ländern Europas, und dass man das Land, um es von den erfundenen Nationalsozialisten zu befreien, real niederwalzt und Jagd auf seinen Präsidenten macht, der jüdischer Herkunft ist und zu dessen Familie auch Russen gehören, ist ein abscheuliches Verbrechen des Krieges, dem die abscheuliche Schändung der Sprache vorausging.
Auch viele meiner Bekannten haben sich in den letzten Jahren die Konflikte in der Ukraine versimpelt so erklärt: Dort sprächen eben die einen Ukrainisch und wären folglich Ukrainer, die anderen sprächen Russisch und wären deshalb Russen, die einen wollten lieber in einem Staat aus lauter Ukrainern leben, die anderen lieber mit ihrem vorgeblichen Mutterland vereint werden. Tatsächlich wurde aus der Millionenstadt Charkiv, deren Einwohner zu einem großen Teil das Russische als ihre Sprache bevorzugen, jedoch berichtet, dass die Invasoren keineswegs als Befreier begrüßt wurden, sondern sich ihnen die Einwohner, gleich welcher Sprache sie waren, tagelang entgegenstemmten. Sogar der Bürgermeister hat seine flammende Rede, mit der er zur Verteidigung der Stadt aufrief, auf Russisch gehalten! Ähnlich wäre es, nebenbei angemerkt, wenn als nächste Länder die Republik Moldau oder das baltische Estland an die Reihe kämen. Selbst wenn deren russischsprachige Bürger in den vergangenen Jahrzehnten mitunter selbst sprachpolitische Benachteiligung erfahren haben, geben sie sich keineswegs dafür her, als vermeintlich unerlöste Volksgenossen einen Angriff auf das Land, das sie zurecht auch für das Ihre halten, zu legitimieren.
Die Ukraine, dies sei hier nur angedeutet, ist ein Land vieler Nationalitäten, mit verschwimmenden Übergängen. Es hat seine polnischen Vergangenheiten, die im Westen des Landes mitunter noch recht präsent wirken; über die Jahrhunderte haben Ukrainer auch jenseits ihres heutigen Staatsgebiets gelebt, wie heute Ungarn, Slowaken, Tschechen, Polen, Rumänen innerhalb von diesem leben; ganz abgesehen von Armeniern, Tataren, Juden, Roma, Deutschen sowie den von mir bereits erwähnten Aromunen, die hier Wlachen genannt werden, und den Gagausen - übrigens einem Turkvolk, das auf seiner langen Wanderung die christlich orthodoxe Religion angenommen hat. All diesen Nationalitäten der Ukraine hat eine junge Autorin jahrelang nachgespürt, die heute in Bayern lebende Olesya Jaremtschuk, deren Buch in deutscher Übersetzung im kleinen ibidem-Verlag erschienen ist und den vorzüglichen Titel „Unsere Anderen. Geschichten ukrainischer Vielfalt“ trägt. Der Titel behauptet, was nicht nur in der Ukraine jede Generation neu zu erweisen hat, dass nämlich die „Anderen“ zu den „Unseren“ gehören, also die Vielfalt eines Landes nicht als Last der Geschichte, sondern als Stolz von heute erlebt werde.
Jetzt aber: Freunden, und ich habe viele Freunde in der Ukraine, muss man mitunter seine Freundschaft auch darin erweisen, dass man ihnen die Kritik, die man haben mag, nicht feige vorenthält. Die vier wichtigsten Literaturinstitutionen der Ukraine haben Anfang März in einem offenen Brief, der sich gleichsam an die literarische Weltrepublik richtete, nicht nur gefordert, dass die staatlichen Verlage Russlands und die regimetreuen Autoren einem weltweiten Boykott unterliegen sollen; nein, ausdrücklich verlangten sie tatsächlich - ich zitiere leider wörtlich - „die Verbreitung von Büchern russischer Autor:innen...zu stoppen“ - jedweder Bücher, jedweder Verlage, jedweder Autoren also -, sowie „Stipendien für Übersetzungen zeitgenössischer russischer Autoren in andere Sprachen zu beenden“. Diese Forderungen sind unannehmbar, nicht nur weil sie geradezu biologistisch begründet werden: „Von der russischen Propaganda .... angesteckt, verbreiten viele Autoren, Literaturagenten, Verleger und Distributoren aus aller Welt die Infektion unter immer mehr Lesern in ihren Ländern...“ Sondern vor allem, weil sie zwischen fanatischen Propagandisten, gekauften Kollaborateuren, ängstlichen Mitläufern, stillen Opponenten, verzweifelten Gegnern und tapferen Widerständlern nicht unterscheidet, sondern die Zuordnung zur russischen Literatur genügt, sie allesamt zu bannen. Würde die literarische Welt vor achtzig, neunzig Jahren diese Forderungen befolgt haben, dann hätten die entschiedenen Gegner des Nazismus ihre Manuskripte für die Schublade schreiben müssen, von Thomas Mann zu Anna Seghers, von Joseph Roth zu Else Lasker Schüler, von Stefan Zweig zu Irmgard Keun, von Günter Anders zu Theodor W. Adorno – gar nicht zu reden von den zahllosen Unbekannten oder Vergessenen - ,und damit wäre der Welt entgangen, was das andere Deutschland, das andere Österreich zu sagen hatten.
Wer der täglichen Tortur von Bombenangriffen und Raketenbeschuss ausgesetzt ist, der darf nicht daran gemessen werden, ob er in seiner Wut, Empörung, Verzweiflung stets das rechte Maß bewahre; und vielleicht ist der Aufruf auch nur missverständlich formuliert oder von mir, freilich nicht nur von mir, falsch verstanden worden. Die Forderungen der vier literarischen Institutionen, wie sie gestellt wurden, sind jedenfalls töricht, nützen der ukrainischen Sache keineswegs, sondern desavouieren sie und zeigen nicht den geringsten Respekt vor jenen Russinnen und Russen, die heute in ihrem Land auf die Straße gehen, ihr Wort erheben. Mir kann schlimmstenfalls passieren, dass meine Rede, wenn sie Ihnen nicht gefällt, ausgebuht, oder meine Bücher, sofern sie Ärger erwecken, verrissen werden. Daher empfände ich es als frevelhaft, denen den Respekt zu versagen, die in Russland öffentlich gegen den russischen Angriffskrieg demonstrieren, obwohl sie nicht wissen, wann sie und in welchem Zustand sie von der Demonstration zurückkehren werden; und jene nicht zu bewundern, die als Wissenschaftler, Künstler, als Bürger Resolutionen für den Frieden unterzeichnen, auch wenn sie wissen, dass ihnen das ihre Arbeit, materielle Existenz, ja die Freiheit kosten kann.
So lange Krieg herrscht, ist es schwierig, für Verständigung zu werben. Aber wann wäre es notwendiger, es zu tun? Damit man mich nicht vorsätzlich missverstehe: Ich meine nicht, dass man nach einem Ausgleich zwischen den Obsessionen des Aggressors und den legitimen Interessen und Anliegen der Überfallenen suchte. Aber zumindest zwischen denen, die auf der einen Seite aufbegehren, um keine Täter zu werden, und denen, die auf der anderen Seite nicht Opfer bleiben wollen, müsste sie doch möglich sein. Die Leipziger Buchmesse ist nicht die einzige Brücke, auf der sie sich und mit uns Ratlosen, aber nicht Gleichgültigen treffen könnten. Dafür muss es die Leipziger Buchmesse freilich weiterhin geben; auf dass sich im nächsten Jahr russische Autorinnen, die nicht trauern, weil ihr Despot den Krieg verloren hat, und ukrainische Autoren, die nicht jubeln, weil Russland selbst aus der Gemeinschaft der zivilisierten Nationen verstoßen wurde, mit uns über, naja, sagen wir über Europa reden. Und über anderes mehr.