Muffensausen überall
In Redaktionen, Rundfunkanstalten und Buchverlagen bekommen sprachliche Benimmregeln ein immer stärkeres Gewicht. Aus Sicht von Rainer Moritz ist das – jedenfalls für die Literatur – ein Irrweg.
In Redaktionen, Rundfunkanstalten und Buchverlagen bekommen sprachliche Benimmregeln ein immer stärkeres Gewicht. Aus Sicht von Rainer Moritz ist das – jedenfalls für die Literatur – ein Irrweg.
In schwachen Momenten der langen Corona-Monate erlag selbst ich der Versuchung und lenkte mich mit sympathischen, einfach gestrickten TV-Serien ab. »King of Queens« – die über 200 Folgen um die Eheleute Doug und Carrie Heffernan und deren im Keller hausenden Vater Arthur – heißt mein aktueller Favorit der abendlichen Tiefenentspannung. Um mich vor seelischen Erschütterungen zu warnen, ist im Vorspann jeder Folge eine Art Stoppschild eingeblendet, das mir mitteilt, womit ich in den folgenden gut 20 Minuten zu rechnen habe. »Drogenkonsum«, »Schimpfwörter« oder »sexuelle Inhalte« steht da geschrieben – eine Aufforderung an sensible Gemüter, den Apparat auszuschalten und lieber in der »Landlust« zu lesen.
Darüber mag man milde lächeln, doch es steckt mehr dahinter. Seit geraumer Zeit kursiert längst nicht mehr nur in den USA das Bestreben, alles vermeintlich Anstößige und Zweideutige zu brandmarken und auszumerzen. Dagegen ist wenig zu sagen, wenn es um öffentliche Reden, Sachtexte oder Reportagen geht. Niemand in unserer Gesellschaft soll fahrlässig beleidigt oder diskriminiert werden, und so geben wir uns alle Mühe, »korrekt« zu sprechen. Was das Zigeunerschnitzel meiner Kindheit war, habe ich so fast vergessen, und schlimm ist das nicht. Jägerschnitzel ist ja noch erlaubt.
Die gute Absicht, es allen recht zu machen und vor jedem Druck in den sozialen Medien zu kuschen, führt freilich dazu, dass sich dort, wo die Meinungsfreiheit in besonderem Maße herrschen sollte, Verunsicherung breitmacht. In Zeitungsredaktionen, öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Buchverlagen waltet die Angst, irgendjemandem auf die Füße zu treten, und so versucht man, sich vorbeugend unangreifbar zu machen.
Große Romane und Dramen zeichnen permanent zweifelhafte Charaktere.
Rainer Moritz
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