Börsenblatt-Fragebogen

"Meine Bücherwunschliste enthält Tausende von Titeln"

16. Mai 2023
Redaktion Börsenblatt

Seit 1987 ist sie Herausgeberin des Kalenders "Berühmte Frauen": Im Fragebogen erzählt die Erfinderin der Genderpause, die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch, warum sie ein Fan von Bücherlisten ist, was Sprache für sie bedeutet und warum die Auswahl der Frauen für den Kalender jedes Jahr Schwerstarbeit ist.

Luise F. Pusch

Das Überraschendste, was Ihnen je begegnet ist?
Die Umwertung aller Werte durch die Frauenbewegung. Vorher war ich ein hässliches Entlein (eine elende Lesbe), nachher ein stolzer Schwan, denn plötzlich zählten Lesben zur feministischen Avantgarde.

Die größte Herausforderung beim Verändern von Gewohnheiten?
Herausfinden, bei welchen Gewohnheiten sich die Mühe lohnt. Sonst haben wir uns das Salz gerade mühsam abgewöhnt und erfahren dann, dass wir gar nicht "salzsensitiv" sind.

Total überbewertet finde ich ...
... Männer. Fußball. Judith Butler. Weißen Spargel. Den Genderstern.

Welche Gabe würden Sie gern besitzen?
Hohe Musikalität. Ich würde gerne richtig gut Klavierspielen können. Das ist keine Gabe, sondern das Ergebnis ständigen Übens. Aber es gehört auch hohe Musikalität dazu, und meine ist nur mittelmäßig.

Ihr Traumberuf als Kind?
Ich wollte gerne Schusterin werden, weil der Schuster so eine gemütliche, warme Werkstatt hatte. Dann wieder wollte ich im Fleischerladen tätig sein, weil ich so gerne Aufschnitt aß.

Das Schönste an Hannover?
Die zentrale Lage in Norddeutschland - und die Eilenriede, der große Wald mitten in der Stadt, von meiner Wohnung in 5 Minuten zu erreichen. Und an Boston? Meine Frau, Joey Horsley.

Eine Marotte von Ihnen?
Bücherlisten. Ich verlängere gerne meine Bücherlisten, so wie Kinder vor Weihnachten an ihren Wunschzetteln arbeiten. Bei audible enthält meine Liste rund 600 Titel, desgleichen bei bookbeat. Ich mag Büchersendungen im Radio und TV und als Podcast; ich lese gerne "By the book" in der New York Times. So erfahre ich von vielen Büchern, die ich gerne gleich lesen würde. Die kommen alle auf die Bücherwunschliste in meinem Rechner. Diese Liste enthält Tausende von Titeln und wächst weiter.

Wie schwer ist es, jedes Jahr zwölf Frauen zum Porträtieren auszuwählen?
Das ist in der Tat ziemlich kompliziert. Erstens müssen die Frauen alle ein rundes Jubiläum haben. Zweitens sollten sie nicht alle aus Deutschland oder den USA stammen. Drittens sollte sich eine gute Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart ergeben. Viertens sollten es nicht alles Schriftstellerinnen, Sängerinnen oder Schauspielerinnen sein. Fünftens sollten die gefundenen Frauen nicht schon mal in einem der vergangenen 36 Kalender gefeiert worden sein. Sechstens müssen die schließlich gefundenen Kandidatinnen mit Biografinnen gekoppelt werden. Ich arbeite mit rund 150 Biografinnen aus aller Welt zusammen; manche von ihnen erwarten, jedes Jahr mitmachen zu können. Hier keine Autorin zu enttäuschen und trotzdem einen guten Kalender zusammenzustellen, ist vielleicht die schwierigste Aufgabe.

Ihre Heldin im Alltag?
Meine Schwägerin. Sie ist Ärztin und kümmert sich um die Alten, Kranken und Gebrechlichen in meiner Familie, obwohl sie nur eingeheiratet hat. Zuerst um meine Eltern, jetzt um meine Schwester und ihren Mann. Sie ist vor Ort und sieht nach dem Rechten, während die eigentlich Zuständigen sich anderswo herumtreiben.

Sprache ist für mich …
... der beste und wichtigste Zugang zum Verständnis des menschlichen Bewusstseins. Sie gibt auch Aufschluss darüber, wie unterschiedlich die verschiedenen Sprachgemeinschaften die Welt sehen oder gesehen haben. Fremdsprachen eröffnen uns ganz neue Sehweisen auf unzählige Vorgänge und Gegenstände. Das Sprachensterben ist nicht ganz so schuldbeladen wie das Artensterben, aber es ist für uns ein genau so großer Verlust.

Wo klappt Offline besser als Online?
Bei allen sinnlichen Genüssen: Essen, Trinken, Schlafen, Lieben. Sogar Hören und Sehen klappt Offline besser. Zwar können Auge und Ohr das Meer nicht fassen – aber doch viel besser als Kamera und Mikrofon, Bildschirm und Lautsprecher. Ein Unterschied wie Tag und Nacht oder unmittelbar und mittelbar, wobei "Mittel" = "Medien". Die Sprache weiß und sagt, wie es ist.

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