Im Epizentrum des Lesens
Ja, auf der Buchmesse war es voll. Sogar extrem voll. Aber steckt in diesem Gedränge nicht auch jede Menge Trost? Constanze Kleis über gelebte Fankultur und Warteschlangen-Längenvergleiche in Halle 3.
Ja, auf der Buchmesse war es voll. Sogar extrem voll. Aber steckt in diesem Gedränge nicht auch jede Menge Trost? Constanze Kleis über gelebte Fankultur und Warteschlangen-Längenvergleiche in Halle 3.
Auch eine Buchmesse kann ein großer Trost sein. Besonders in trostlosen Zeiten. Beides bestätigte die diesjährige "Wiesn der Branche" ("Süddeutsche Zeitung") wie vielleicht noch keine Frankfurter Buchmesse zuvor. Vor allem an den Publikumstagen. Und speziell in Halle 3. Dort schoben sich solche Massen durch die Gänge, als wären nicht bloß Verona Pooth oder Johann Lafer, sondern Elvis Presley Arm in Arm mit Marilyn Monroe gesichtet worden. Beide nackt.
Kein Zweifel: Es wird weiterhin und wieder gelesen. Entgegen anderslautenden Gerüchten starren Menschen nicht 24/7 nur stumpf in ihre Smartphones oder Tablets. Erfreulich viele blicken vielmehr lieber zunehmend über ihren Tellerrand hinweg in Bücher. Und sie nehmen für ihre Leidenschaft einiges in Kauf. Schließlich galt es für den Besuch im Epizentrum des Lesens dieses Jahr einige besonders hohe Hürden zu überwinden: Enge, Gedränge, Sauerstoffknappheit, Platzangst, die Furcht vor Corona-Viren und Anmeldeprozeduren für Signierstunden, als ginge es um ein Ticket für die Fußball-Europameisterschaft 2024. Alles egal, wenn es galt, den jeweils verehrten Autorinnen und Autoren nahe zu kommen.
Klar, dass die Signierstunden von Sebastian Fitzek und Otto beim Warteschlangen-Längenvergleich ziemlich weit vorne lagen. Aber es zeigte sich auch, dass ihnen der Nachwuchs, die Zukunft des Lesens, dicht auf den Fersen ist. So dicht, dass sich oft schon an Alter und Geschlecht der Menschen erkennen ließ, für welche Autor:innen sie zur Messe gekommen waren. Denn ähnlich wie die Stars aus dem Romance-Novel-Kosmos sind auch deren Fans überwiegend jung und weiblich. Und verkörpern dabei (ebenfalls wie ihre Idole) so etwas wie ein Crossover von Insta, TikTok und Print. Eine Art Lese-Hybride, die zeigen, dass digital und analog sich längst zu einem Zweikomponenten-Warp-Antrieb in Richtung Bestsellerlistenspitzenplätze verbandelt haben. Und dass die Intensiv-Fanbetreuung im Netz hoch geschätzt und analog honoriert wird.
Oder, wie es eine der Romance-Novel-Autorinnen bei einem Verlagsessen formulierte: "Das ist echt die halbe Miete. Wer sich da nicht präsentiert, und zwar in möglichst hoher Schlagzahl, von dem wird schnell keine Notiz mehr genommen." Leserinnen, so sagt sie, möchten heute auch schon am Produktionsprozess beteiligt sein. Wollen wissen, wie das Cover aussieht, wie der Titel sein wird. Der Farbschnitt. Ein Buch wird zunehmend auch ihr Baby. Und da will man eben – klar – auch bei der Geburt und bei den ersten Schritten dabei sein. Und man will das freudige Ereignis mit der (Fan-)Familie teilen.
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