Groß denken
Raus aus dem Elfenbeinturm: Wie das Netzwerk Lyrik die Multiplikatoren in Buchhandlungen und Bibliotheken erreichen will.
Raus aus dem Elfenbeinturm: Wie das Netzwerk Lyrik die Multiplikatoren in Buchhandlungen und Bibliotheken erreichen will.
Früher, als das Wünschen noch half, konnte man sich auf die berühmte Enzensbergersche Lyrik-Konstante verlassen: »Die Zahl von Lesern, die einen neuen, einigermaßen anspruchsvollen Gedichtband in die Hand nehmen«, befand der Autor vor 30 Jahren, »lässt sich empirisch ziemlich genau bestimmen. Sie liegt bei plus / minus 1354.« Von dieser Quote dürften die meisten lebenden Dichter*innen träumen: Im Buchhandel, namentlich bei großen Filialisten, ist wenig Platz für sie, gleiches gilt für die zunehmend von externen Dienstleistern »ausleihfertig« belieferten Bibliotheken. Dass Julietta Fix zum Jahresende ihr 2007 gestartetes, nicht genug zu preisendes, aber chronisch unterkapitalisiertes Lyrikportal fixpoetry.com eingestellt hat, ist traurig, passt aber ins Bild.
Hier setzt das 2017 gegründete Netzwerk Lyrik an, dem unter anderem Lyrikerinnen und Übersetzer, Wissenschaft-ler*innen und Institutionen angehören (www.netzwerk-lyrik.org): Es will die
häufig stiefmütterlich behandelte Kunstsparte in ihren vielfältigen Erscheinungsformen fördern. Dass das schlechte Image der Lyrik eine Ursache im eklatanten Mangel an poetischer Bildung von Kita bis Studium hat, gilt als unstrittig. Wie Berührungsangst und Unsicherheit bei Buchhändlerinnen und Bibliothekaren abgebaut und so einer weiteren Marginalisierung der Gattung entgegengewirkt werden kann, war Gegenstand eines Panels der jüngsten Tagung des Netzwerks Lyrik, das vor allem Verleger*innen wie Dinçer Güçyeter (Elif), Andrea Schmidt (Verlagshaus Berlin), Tim Holland (hochroth), Helge Pfannenschmidt (Edition Azur) und Juliane Ziese (Edition Lyrigma) zusammenführte.
Einen wesentlichen Ansatz sieht man in informierenden und Poesie erlebbar machenden Veranstaltungen für Multiplikatoren: von Lyrikabenden quer durchs Land über Fachformate auf Buchmessen (Roundtables, Diskussionen, Best-Practice-Vorträge), gern mit konkreten Verkaufsargumenten (Schärfung des Buchhandlungsprofils, bessere Kundenbindung), bis hin zu einer Art republikweiter Lyrik-Roadshow mit Akteuren aus der Szene als Fernziel.
Unabhängig von konkreten Veranstaltungen möchte das Netzwerk die Stelle einer »Botschafterin der Lyrik« schaffen, die in Buchhandlungen und Bibliotheken für Poesie trommeln soll. Sie könnte Indie-Läden beraten und Chefeinkäufer von Filialisten und Bibliotheken für die Belange der Lyrik sensibilisieren oder für Barsortimente Warengruppen-Abos zusammenstellen. Als ideale Ergänzung der Arbeit einer Botschafterin wünscht sich das Netzwerk einen Katalog, der jährlich in Magazinform die Vielfalt der Szene darstellt: Verlags- und Zeitschriftenporträts, Konzepte für Lyrikvermittlung, Fördermöglichkeiten oder Kontakte zu Autor*innen, ausbaubar zu einem Webportal in progress.
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