Kommentar zur Frankfurter Buchmesse 2020

Eine Frage der Solidarität

10. Juli 2020
Torsten Casimir

„Wir brauchen wieder Events um das Buch, wir brauchen Impulse der Hoffnung.“ Das sagte in dieser Woche die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs, vor Vertretern der Wirtschaftspresse in Frankfurt. Und niemand würde bestreiten, dass sie recht hat.

Aber wie kommen Buchevents eigentlich zustande? Bisher so: Durch Kreativität der Zahlreichen. Durch gewollte Artenvielfalt. Durch Eigeninitiative der Marktteilnehmer, die sich in bewährten Event-Strukturen entfalten kann.

Buchereignisse, das gilt für die Lesung im Indie-Laden genauso wie für die größte Buchmesse der Welt, darf man sich nicht vorstellen als Branchenlösung, die jemand zusammenschraubt, (virtuell) hinstellt und dann zur Aneignung freigibt. Events und Hoffnungsimpulse, von denen dieser Tage die Rede ist, resultieren immer aus dem Mitwirken, Mithoffen, Mitriskieren. Das war noch nie anders, gilt aber aktuell in verschärfter Variante. Corona ist das Ende von so manchem Gewohnten, jedenfalls auch das Ende einer Versicherungsmentalität, der das Risiko am liebsten ein Risiko der anderen bleibt.

In diesen Sommerwochen trudeln, wie jedes Jahr, in den immer noch an Kultur interessierten Redaktionen die Nachrichten der Verlage ein, welche der eigenen Autor*innen im Oktober am Start sein werden. Es gibt diese Mitteilungen derzeit in zwei sprachlichen Ausführungen. Die eine: „Unsere Autorinnen und Autoren auf der Frankfurter Buchmesse 2020.“ Die andere, leider häufigere: „Unsere Autorinnen und Autoren zur Frankfurter Buchmesse 2020.“ A difference which makes a difference, würde der Informationstheoretiker Gregory Bateson das schöne Spiel mit den Präpositionen kommentiert haben. In der Tat, zwischen „auf der“ und „zur“ liegt gerade eine ganze Welt.

Eingeschränkte Sichtverhältnisse

Zugegeben, es ist ja wirklich kompliziert. Die FBM20 im Oktober wäre nach der Pandemie (die nicht vorbei ist) die erste große Messe, die sich eine verantwortbare Kontrolle der Situation zutraut und die das auch dezidiert begründet. Zur Wahrheit gehört aber, dass man im Moment allen Überlegungen die Fußnote „Stand heute“ hinzufügen muss. Risikoanalysen lassen sich nur bei stark eingeschränkten Sichtverhältnissen anfertigen. Stand heute, sind die Infektionszahlen in Deutschland (von großen Schlachtbetrieben und Baptistengemeinden abgesehen) nicht mehr besorgniserregend. Aber niemand stellt seriöse Herbstprognosen. Und klar ist auch: Wer sagt, dass er seine Mitarbeiter*innen schützen will, hat immer recht.

Die so begründeten Absagen eines physischen Auftritts in Frankfurt im Oktober sind insoweit immun gegen Kritik. Sie wären auch risikolos geblieben, wenn es gleich im Mai eine Totalabsage der gesamten Messe gegeben hätte, wie viele Verlage sie verlangt hatten. Nun ergreift aber am heutigen Freitag die Kulturstaatsministerin beherzt die Initiative: in Gestalt einer Finanzhilfe in Millionenhöhe für alle kleinen und mittleren Verlage, die einen Messestand 2020 bauen wollen. Damit kommt für diejenigen Unternehmen, die an ihrem beabsichtigten Fernbleiben festhalten, ein Sichtbarkeitsnachteil ins Spiel. Bei einem Gesamtausfall der Messe wäre der (hohe!) Sichtbarkeitsverlust für Bücher und Autor*innen immerhin gleichverteilt geblieben – als abstrakter und deshalb nicht gar so schmerzlich empfundener Nachteil für die gesamte Kreativindustrie Buch.

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