In einem Essay im Hamburger Abendblatt nimmt der stellvertretende Chefredakteur des Hamburger Abendblatts Matthias Iken Stellung. Am Wochenende distanzierte sich das Hamburger Produktionshaus Kampnagel von einer Lesung mit Klaus Püschel, die im Rahmen des Hamburger Krimifestivals stattfindet. Jenes wird vom Hamburger Abendblatt gemeinsam mit der Buchhandlung Heymann und dem Literaturhaus Hamburg ausgerichtet. Wir berichteten: Kampnagel distanziert sich von Klaus Püschel
„Hier geht es aber nicht um uns, hier geht es um die Kunstfreiheit und eine zivilisierte Debatte“, schreibt Matthias Iken, nachdem er den Sachverhalt und seine Wertschätzung gegenüber der Kampnagel-Intendantin und ihren Kampf gegen Rechtsradikale ausdrückte. Er kritisiert zunächst die Begründung Kampnagels, mit dem Auftritt Püschels das Vertrauen gegenüber seinen Partnern mit Migrationsgeschichte zu verletzen. „Wenn das gefühlte Vertrauen zum Maß dessen wird, was noch gezeigt werden kann und was nicht, ist die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Meinung und die Freiheit des Wortes bald Geschichte.“
Iken verwies im Essay auch auf die Recherchen der „Initiative zum Gedenken an Achidi John“, auf die sich Kampnagel in seinem Statement bezieht. Die Ergebnisse hätten es in sich. „Zuspitzungen, Halbwahrheiten, Auslassungen werden zur Grundlage, einen Mann öffentlich zu beschädigen, ja seinen Ruf zu ruinieren. Wenn eine renommiere Kultureinrichtung wie Kampnagel von Rassismus spricht und über seine sozialen Kanäle teilt, kann man sich kaum wehren. Es gilt das Motto: Wenn man nur eifrig mit Dreck wirft, wird schon irgendetwas hängen bleiben.“
Eine Verteidigung sei unerwünscht. Mit Klaus Püschel habe das Theater nicht gesprochen.
Es sei keine Frage, dass der zwangsweise Einsatz von Brechmitteln menschenrechtswidrig sei, doch biege die Initiative die Geschichte zurecht und instrumentalisiere sie. So sei die Entscheidung, Brechmittel bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität einzusetzen, vom damaligen Innensenator Olaf Scholz getroffen worden, Püschel hatte sich vor der Umsetzung bei seiner Dienstherrin abgesichert. Dass fast ausschließlich Schwarze von dem Brechmitteleinsatz betroffen waren, liege daran, dass die Straßendealerszene, insbesondere mit dem Transport von Crack-Kügelchen im Mund, damals fast ausschließlich aus Schwarzafrikanern bestanden hätte. Es sei für Iken außerdem „kein Zufall“, dass die Debatte um Püschel, ausgelöst von der Roten Flora, Jahre nach den Vorfällen und bei voraussichtlichen Kanzleramtsantritt von Olaf Scholz aufkoche.
Schließlich kritisiert Iken auch die Polarisierungen mancher Kultureinrichtungen. Man fürchte wohl nicht so sehr wie einen Shitstorm oder das Gefühl, auf der falschen Seite der sich vertiefenden ideologischen Gräben zu stehen.
„Maß und Mitte gehen verloren, entscheidend ist der Kampf gegen rechts. Jeder der anders denkt hält den Mund oder äußert sich nur im Verborgenen“, führt Iken fort. „Die hohe Kunst des Streitens ist verloren gegangen, weil man sich im Besitz der einzigen Wahrheit wähnt. Mit plumpen Freund-Fein-Denken aber verliert die Kultur das, was sie ausmacht – die Zwischentöne, die Schattierungen, das Widersprüchliche.“ Den nötigen Debatten über Rassismus und Benachteiligungen, die es zweifelsfrei in Deutschland gebe, erweise man einen Bärendienst, wenn man sich zum Sprachrohr der Radikalen mache.
Der Essay ist in voller Länge am 3. November im Hamburger Abendblatt erschienen und kann online unter Rassismus-Vorwurf: Klaus Püschel und Kampnagel – eine Verirrung gelesen werden.