Panel "In Sorge um Israel"

"Keine Zeit für Kontextualisierungen"

18. Oktober 2023
Michael Roesler-Graichen

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel ist eine Zäsur, die viele Gewissheiten erschüttert. Eine Gesprächsrunde auf der Frankfurter Buchmesse zeigte vor allem zwei Dinge: Jetzt ist nicht die Zeit für politische Analysen. Und die Anerkennung des Existenzrechts Israels ist unabdingbar.

Meron Mendel

Mit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des barbarischen Terrorangriffs der Hamas auf Israel hat sich für die Juden in aller Welt etwas Entscheidendes verändert: Israel ist nicht mehr der sichere Hafen, in den man zurückkehren kann, wenn in der weltweiten Diaspora Gefahr droht. Das grausame Massaker an unschuldigen Menschen hat gezeigt, dass in unmittelbarer Nachbarschaft Israels (und auf seinem Territorium) Kräfte wirken, die das Existenzrecht des Staates Israel in Frage stellen und das Leben seiner Bürger auslöschen (oder auslöschen wollen). Diese Einsicht bestimmte die vom PEN Berlin und von der Frankfurter Buchmesse kurzfristig organisierte Diskussionsrunde, an der (moderiert von Esther Schapira) Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, sowie die beiden Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus (Berlin) und Doron Rabinovici (Wien) teilnahmen.

Moderatorin Esther Schapira, die Schriftsteller Doron Rabinovici und Tomer Dotan-Dreyfus, Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank (von links)

 

Fast jeder kennt Opfer oder Betroffene in Israel, und Meron Mendel, der selbst in einem Kibbuz im Süden Israels aufgewachsen ist, nimmt via Zoom an Trauerfeiern für ermordete Landsleute teil –unter ihnen Jugendfreunde und Kinder von Freunden. "Es fällt mir schwer, das Geschehen zu kontextualisieren." So, wie es in provokanter, verunglückter Form Slavoj Zizek am Eröffnungsabend der Frankfurter Buchmesse versucht hatte. Auf die Frage, ob er sich als Jude auch vom Terror der Hamas gemeint fühle, erwiderte Mendel: "Ich kann mich nicht in den Kopf eines islamistischen Kämpfers versetzen. Aber es sollte sich jeder Mensch, der noch einen moralischen Kompass hat, gemeint fühlen."

Für Tomer Dotan-Dreyfus geht mit dem 7. Oktober vor allem die Gewissheit verloren, nach Israel zurückkehren zu können, sollte es in Berlin oder andernorts zu schlimm werden. Die Sicherheit, die Israel bot, war immer so etwas wie eine Garantie für die Juden, die nicht in Israel leben. Das bedeutet auch: Wenn es in Deutschland Antisemitismus gibt, dann muss man das hier angehen. Moderatorin Esther Schapira zitierte Hannah Arendts Wort "Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher". Dazu passt, was Doron Rabinovici aus Wien erzählt: "Noch während die Hamas mordete, gab es Demos in Wien, auf denen der Mord an Juden gefeiert wurde."

Meron Mendel brachte noch einmal in aller Deutlichkeit zu Bewusstsein, womit man es beim Massaker in Israel zu tun habe: mit dem absolut Bösen. So wie die Namen Sabra und Schatila, Srebrenica oder Butscha stünden auch die Namen Be'eri, Kvar Azar und die anderer Orte entlang des Gaza-Streifens auf dieser Liste der Unmenschlichkeit. Es sollte Konsens darüber herrschen, so Mendel, dass darüber nicht diskutiert werden könne. Eine Analyse, so Tomer Dotan-Dreyfus, sei nicht möglich, solange man die Gesichter der Opfer noch vor sich sehe. Irgendwann, so sein Wunsch, sollte es möglich zu sein, das Geschehene zu verstehen und Lösungen zu finden. Dies könne aber nur unter der Bedingung geschehen, dass das Existenzrecht Israels anerkannt wird. Dass auch alle palästinensischen Gesprächspartner "Israel" sagen.