Preisbindungstreuhänder Russ und Wallenfels im Interview

Ein Gesetz wie ein zahnloser Tiger

30. März 2021
Torsten Casimir

Die Buchpreisbindung soll kleine und mittlere Unternehmen davor schützen, im Wettbewerb gegen marktmächtige Player unter die Räder zu kommen. Aber tut sie noch, was sie soll? Ein Interview mit den Preisbindungstreuhändern der Verlage, Dieter Wallenfels und Christian Russ.

Haben Kartellrecht und Buchpreisbindung überhaupt Berührungspunkte? Oder folgen die beiden Rechtsgebiete ganz verschiedenen Zwecken?
Christian Russ: Die Preisbindung entstammt ja eigentlich dem Kartellrecht. Früher konnten alle Markenprodukte von den Herstellern im Preis gebunden werden, das wurde erst 1973 verboten. Seinerzeit hat der Börsenverein eine Ausnahme für Bücher durchgesetzt, deren Preisbindung weiterhin erlaubt blieb, wie auch die der Zeitungen und Zeitschriften. Aber Kartellrecht und Preisbindung verfolgen im Grunde gegensätzliche Ziele: Das Kartellrecht will größtmöglichen Wettbewerb auf den Märkten schützen, während die Buchpreisbindung das allerwichtigste Wettbewerbsinstrument, den Preis, außer Kraft setzt.
Dieter Wallenfels: Dem Kartellrecht und den Regelungen zur Buchpreisbindung ist aber auch gemeinsam, dass sie der Marktmacht großer Unternehmen Grenzen setzen und verhindern wollen, dass Wettbewerber durch Ausnutzung wirtschaftlicher Stärke diskriminiert und vom Markt verdrängt werden können. So erklärt sich auch § 6 des Buchpreisbindungsgesetzes: Diese Regelung verlangt von den Verlagen, dass sich ihre Konditionen nicht nur an der Größe des Umsatzes mit ihren Händlerkunden ausrichten dürfen, sondern auch dem kleinen und mittleren Sortiment auskömmliche Rabatte gewährt werden. Die Buchpreisbindung ist kein Schutzgesetz für eine Handvoll großer Unternehmen.

Welche Güter und Werte soll die Buchpreisbindung schützen? Warum hat der Gesetzgeber dem Buchmarkt eine solche wettbewerbsrechtliche Ausnahme zugestanden?
Wallenfels: Die Buchpreisbindung hat das Ziel, das Kulturgut Buch zu schützen. Dies geschieht, indem ein breites Buchangebot gesichert und dieses allen zugänglich gemacht wird. Dazu braucht es eine Vielzahl von Verkaufsstellen, vor allem also ein weit verzweigtes Sortiment. So steht es in § 1 des Preisbindungsgesetzes, der den Sinn und Zweck der Preisbindung definiert. In der Gesetzesbegründung heißt es, die gesetzliche Regelung sichere einen leistungsfähigen Markt für Bücher in Deutschland und fördere das Buch als Kulturgut und Kulturmedium.
Russ: Vor allem kleine und mittlere Unternehmen werden gesetzlich unterstützt, weil sie im Preiswettbewerb gegenüber marktmächtigen Playern chancenlos wären und unter die Räder kämen. In der Folge kämen auch die Verlage unter den Druck marktübermächtiger Händler, Tendenzen sieht man ja auch mit der Preisbindung schon. Diese Entwicklung sollte ja eigentlich mit der Regelung in § 6 BuchPrG eingefangen werden, wonach die Rabatte sich nicht allein an dem mit einem Händler erzielten Umsatz ausrichten dürfen, sondern den von kleineren Buchhandlungen erbrachten Beitrag zur flächendeckenden Versorgung mit Büchern sowie ihren buchhändlerischen Service angemessen berücksichtigen müssen.

Regeln zur inneren Preisbindung, wie sie sich in § 6 Abs. 3 BuchPrG finden, hat sich die Branche gegeben, lange bevor sie das Buchpreisgesetz bekam. Hat das Gesetz die Regeln besser durchsetzbar gemacht?
Wallenfels: Schon das vom Börsenvereinsvorstand – übrigens in Abstimmung mit dem Bundeskartellamt – 1985 beschlossene "Spartenpapier" enthält die Verpflichtung der Verlage, bei den Konditionen die Interessen der kleinen Sortimenter und Barsortimente zu wahren, damit sie wettbewerbsfähig bleiben. Es begründet jedoch keine wechselseitigen rechtlichen Verpflichtungen, sondern formuliert nur allgemeine Verhaltensgrundsätze. § 6 BuchPrG hingegen ist eine anspruchsbegründende und rechtlich verpflichtende Norm, auf die Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gestützt werden können. Mit der Angemessenheit von Konditionen hat sich allerdings bisher noch kein Gericht beschäftigt.

Wie könnte man dem BuchPrG, insbesondere der Regelung zur Rabattspreizung in § 6.3, höhere Wirksamkeit verleihen? Wäre die Erweiterung des Normadressatenkreises ein erfolgversprechender Weg? Sollte man also z.B. Filialisten und große Online-Versender haftbar machen, wenn sie Verlagen übermäßige Konditionen abnötigen?
Russ: Marktstarke Händler, die von Verlagen höhere Rabatte fordern, als die Verlage sie dem Barsortiment gewähren, wollen zu einem Gesetzesverstoß verleiten. Schon jetzt können sie als "Mittäter" am Verstoß, also der überhöhten Rabattgewährung, belangt und auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden.
Wallenfels: Da aber Konditionen Geschäftsgeheimnisse sind und Verlage zudem wegen der Marktmacht großer Händler und der Gefahr der Auslistung ihrer Titel solche rechtlichen Auseinandersetzungen scheuen, erweist sich § 6 BuchPrG in der jetzigen Fassung als zahnloser Tiger.

Welcher Weg wäre aus Ihrer Sicht auch verbandspolitisch gangbar?
Wallenfels: Es gibt den Vorschlag, § 6 Abs. 3 BuchPrG so anzupassen, dass auch Händler einen Verstoß begehen können. Nämlich dann, wenn sie einen im Verhältnis zum Barsortiment höheren Rabatt fordern oder sich gewähren lassen. Eine solche Regelung würde zur Verstärkung und vor allem zur Konkretisierung der Abwehrmöglichkeiten führen. Händler könnten dann wegen eines eigenen Gesetzesverstoßes haften und nicht nur als Anstifter. Das scheint aber bedauerlicherweise verbandspolitisch schwierig durchsetzbar.
Russ: Aktuell können die Preisbindungstreuhänder der Verlage und des Sortiments Verstöße im eigenen Namen verfolgen und abstellen. Das hat den Vorteil, dass sich die Unternehmen nicht gegenseitig verklagen müssen und auch der Börsenverein außen vor bleibt, dem ja schnell mit Austritt aus dem Verband gedroht wird, wenn es unangenehm wird. Es wäre ein sinnvoller Weg, die Kompetenzen der Treuhänder gesetzlich so zu erweitern, dass sie auch Bucheinsicht verlangen könnten. Dann bekämen die Treuhänder – und nicht die Branchenbeteiligten – Einblick in die Verhältnisse. So würde der Nachweis von Gesetzesverstößen und deren Beendigung möglich.

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