Die Sonntagsfrage

Ein eigener Verlag, um den Stadtschreiber-Preis zu unterstützen – weshalb, Frau Doepfner?

27. August 2023
Redaktion Börsenblatt

Mit Nino Haratischwili bekommt am 1. September die 50. Autor:in den Schlüssel für die Stadtschreiber-Wohnung in Bergen-Enkheim (Frankfurt am Main) überreicht. Zum literarischen Ereignis mit Volksfest-Charakter bringt Buchhändlerin Anna Doepfner (Bergen erlesen) im eigenen Verlag ein Buch heraus. Wie es dazu kam, erzählt sie in ihrer Antwort auf unsere Sonntagsfrage.

Porträt von Anna Doepfner mit Brille in ihrem Buchladen

Hat 2020 einen eigenen Verlag gegründet: Anna Doepfner, Inhaberin von Bergen erlesen in Frankfurt am Main

Der Stadtschreiber von Bergen, die erste Auszeichnung dieser Art, kann auf eine prominente Geschichte zurückblicken. Der erste Preisträger 1974/75 war kein geringerer als Wolfgang Koeppen, und der damalige Festredner hieß Marcel Reich-Ranicki. Seither haben zahlreiche hochkarätige Schriftstellerinnen und Schriftsteller das Stadtschreiberhaus bezogen, darunter so namhafte wie die spätere Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller oder Buchpreisträgerin Anne Weber; unvergessen auch das Jahr, in dem Max Frisch die Festrede auf Peter Bichsel hielt. In diesem Jahr kommt mit Nino Haratischwili die 50. Stadtschreiberin nach Bergen-Enkheim.

Solange es den Preis gibt, hat die Buchhandlung hier in Bergen den Preis begleitet, vor mir war dies über mehr als drei Jahrzehnte Monika Steinkopf. In den vergangenen Jahren, vor allem während der Corona-Pandemie, konnten nicht alle Veranstaltungen wie gewohnt stattfinden. Die klassische Übergabe des Schlüssels zum Stadtschreiberhaus im Festzelt etwa musste ins Freie verlegt werden, bei begrenzter Teilnehmerzahl. Und auch sonst verdient dieser besondere Literaturpreis mehr Aufmerksamkeit. Seit die Stelle des Geschäftsführers der Kulturgesellschaft in Bergen-Enkheim vakant ist, fehlt es an entsprechender Öffentlichkeitsarbeit. Zudem konnte in den vergangenen Jahren kein Festredner eingeladen werden. Da kam mir und einigen Mitgliedern der Jury die Idee, eine Publikation herauszubringen, die die Höhepunkte des jeweiligen Stadtschreiber-Jahres dokumentiert.

Und dazu haben Sie einen eigenen Verlag gegründet …

Ja, die Verlagsbuchhandlung Bergen erlesen. Dort bringe ich seit 2020 gemeinsam mit weiteren "Bürger"-Juroren*innen einmal jährlich die "Stadtschreiberei" heraus, in der die Abschiedsrede der bisherigen Stadtschreiberin, die Antrittsrede der neuen Stadtschreiberin, ein Doppelinterview mit der bisherigen und der neuen Stadtschreiberin sowie ein Dialog beider abgedruckt ist. Pünktlich zum 1. September erscheint der vierte Band "Von Marion Poschmann zu Nino Haratischwili" (96 S., 10 €). Wir wollen das besondere Momentum des Stadtschreiberfests nutzen: Hier begegnen sich Vorgängerin und Nachfolgerin – letztes Jahr waren das Dorothee Elmiger und Marion Poschmann. Dieses Jahr wird Marion Poschmann berichten, wie es ihr in ihrem Bergen-Enkheimer Jahr ergangen ist, und Nino Haratischwili stellt sich vor. In unserem Buch begegnen sich die beiden, tauschen sich über ihr Schreiben aus. Man kann zwei Autorinnen ein bisschen kennenlernen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen – und soll Lust bekommen, ihre Bücher zu lesen. Und im nächsten Jahr geht der Reigen dann weiter.

 

Im Vorwort zum ersten Band der "Stadtschreiberei" heißt es "Dieses Buch ist ein Zelt." …

Eben deswegen, weil die traditionelle Übergabe im Zelt nicht stattfinden konnte. Eine Besonderheit dieses Preises ist, dass er als "Volksfest der Literatur" gefeiert wird – also tatsächlich als Beginn einer Art Kirmes, die Leute sitzen an Bierbänken und trinken Apfelwein, während die Preisträger*innen und der Festredner – dieses Jahr konnte Meron Mendel gewonnen werden – durchaus tiefgründige Reden halten. Da prallen Welten aufeinander, und das Tolle ist: Es funktioniert! Dieses Jahr werden viele ehemalige Stadtschreiber*innen dabei sein, das wird sicher großartig. Vor allem aber geht es uns darum, den Preis bekannter zu machen, nicht nur in der eigenen Stadt, sondern auch darüber hinaus. Dazu ist die Verlagsbuchhandlung Bergen erlesen mit ihren vier Büchern auch am Hessischen Gemeinschaftsstand auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Dort findet auch eine Gesprächsrunde zum Thema Stadtschreiber und Verlag statt. Die Idee des Stadtschreibers war es von Beginn an, Bürgernähe herzustellen, die Literatur in die Breite zu tragen. Dafür müssen immer neue Wege der Vermittlung gefunden werden.

Die Idee des Stadtschreibers war es von Beginn an, Bürgernähe herzustellen, die Literatur in die Breite zu tragen. Dafür müssen immer neue Wege der Vermittlung gefunden werden.

Anna Doepfner, Buchhandlung Bergen erlesen, Frankfurt am Main

Wie kreativ waren die Stadtschreiber*innen in dieser Hinsicht?

Wie sie ihr Jahr gestalten, ist ihnen überlassen Die Stadtschreiber:innen halten meist Lesungen vor Ort und in Schulen der Umgebung, besuchen den örtlichen VHS-Kurs zur Stadtschreiberei, initiieren Veranstaltungen mit Kolleg:innen, Musiker*innen etc.. Anne Weber hat beispielsweise Menschen ins Stadtschreiberhaus eingeladen, die ihr unglaubliche Geschichten erzählen sollten, die ihnen nicht mehr aus dem Kopf gehen – und hat davon dann in ihrer Abschiedsrede berichtet.