Lesetipp: NZZ kritisiert Tagebuch-Ausgabe von Diogenes

Die antisemitische Seite der Patricia Highsmith

5. November 2021
Michael Roesler-Graichen

"Neue Zürcher Zeitung" und NZZ am Sonntag werfen dem Diogenes Verlag vor, in den gerade erschienenen "Tage- und Notizbüchern" von Patricia Highsmith den Judenhass der Schriftstellerin zu unterschlagen. Ein Blick in die Archive würde zeigen, dass sie sich mit zum Teil großer Heftigkeit antisemitisch geäußert habe. Der Verlag hatte im Vorwort von "abfälligen Äußerungen" gesprochen.

Anna von Planta, die bis zum Tod Patricia Highsmiths ihr Werk lektorierte und 1995 in einem Wäscheschrank 18 Tage- und 38 Notizbücher der Schriftstellerin fand, begründet im Vorwort der jetzt erschienenen Leseausgabe den Verzicht auf die Wiedergabe antisemitischer Aufzeichnungen: "Wir wollten Highsmith so getreu wie möglich abbilden; in wenigen extremeren Fällen empfanden wir es aber als unsere redaktionelle Pflicht, ihr eine Bühne zu verweigern, so wie wir auch gehandelt hätten, als sie noch lebte." Von Planta nennt den Antisemitismus Highsmiths ausdrücklich, verweist aber auch auf die Widersprüche im Umgang mit Jüdinnen und Juden: "Die Wurzeln ihrer Ressentiments sind schwer zu bestimmen, insbesondere im Fall ihres wachsenden Antisemitismus, der umso mehr zu einem Mysterium wird, als wir in diesem Band erfahren, wie viele Jüdinnen und Juden unter den für sie wichtigsten Personen, ihren engen Freundinnen und Freunden, Liebhaberinnen und Lieblingskünstlern waren."

Manuel Müller wirft der Herausgeberin des Tage- und Notizbuchbandes nun in der NZZ vor, sich nicht differenziert genug mit dem Antisemitismus Highsmiths auseinanderzusetzen. Es genüge nicht, von "abfälligen Äußerungen" zu sprechen, die Leserinnen und Leser "als beleidigend empfinden, insbesondere wenn sie sich, wie es zuweilen der Fall ist, gegen ohnehin schon marginalisierte Gruppen wie Afroamerikaner oder Juden richten" (Zitat Vorwort). Dagegen Müller: "Die Aussagen sind schlicht antisemitisch, es geht nicht um emotionale Betroffenheit." Die Streichungen hätte man konsequent vornehmen müssen, so Müller: "Doch das ist nicht der Fall."

Kurzanalyse
Die Frage bei alldem ist, ob der (im Alter sich steigernde) Antisemitismus Patricia Highsmiths ihr Werk insgesamt kompromittiert – eine Frage, die sich philosophische Fachwelt und philosophisch interessierte Öffentlichkeit im Falle Martin Heideggers stellten. Als seine "Schwarzen Hefte" mit dezidiert antisemitischen Notaten in der Werkausgabe erschienen, war der große Autor von "Sein und Zeit" für viele erledigt. Andere wiederum hielten an der Integrität seines Werks fest.

Liegt nun auch über Patricia Highsmiths Werk ein dunkler, antisemitischer Schatten? Sind ihre Romane nun deshalb kontaminiert? Diese Schlussfolgerung zu ziehen, würde der literarischen Qualität und Eigenständigkeit von Werk und Autorin nicht gerecht. Eine gesonderte Aufarbeitung von Highsmiths Antisemitismus, die auch die Streichungen der Leseausgabe in den Blick nimmt, wäre dennoch hilfreich – allein schon deshalb, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, man wolle um jeden Preis Beschädigungen der Krimi-Ikone vermeiden.