Jahresstart der IG Belletristik und Sachbuch

"Das Paradoxon der Buchbranche"

21. Januar 2021
Michael Roesler-Graichen

Die IG Belletristik und Sachbuch lud für gestern Abend (20. Januar) zum ersten virtuellen Jahresauftakt ein. Themen waren das zurückliegende Corona-Jahr, die Perspektiven für 2021, branchenrelevante Rechtsthemen und das Modell einer unabhängigen Buchhandelsplattform aus den USA: bookshop.org.

Mehr als 200 Teilnehmer schalteten sich gestern zum ersten virtuellen Jahresauftakt der IG Belletristik und Sachbuch zusammen, darunter vom Sprecherkreis Jonathan Beck aus München und Constanze Neumann und Andreas Rötzer aus Berlin.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, lobte in ihrem Grußwort das besondere Engagement der gesamten Buchbranche während des vergangenen Corona-Jahres. Sie mahnte aber zugleich "den Wert der Vielfalt, den Wert des Respektes und den Wert eines fairen Miteinanders" wertzuschätzen und zu sichern. Das Verhalten aller entscheide über die Zukunftsfähigkeit der Branche. (Das vollständige Grußwort lesen Sie hier.)

Alexander Skipis, zum letzten Mal als Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins dabei, charakterisierte das vergangene Jahr mit einem Gegensatzpaar: „Grausamkeit“ und „Schönheit“. Das Corona-Virus, die Existenzangst, Perspektivlosigkeit, Freiheitseinschränkungen und das schlimmste Jahr der Frankfurter Buchmesse in ihrer Geschichte seien die grausame Seite gewesen; Kreativität, freigesetzte Kräfte, funktionierende Marktstrukturen und Liefersysteme die schöne. Die Branche habe eine „unglaubliche Leistung“ vollbracht und sei auf die zunehmenden Online-Aktivitäten gut vorbereitet gewesen.

Dennoch gebe ihm das „Paradoxon der Buchbranche“ zu denken: Einerseits sei das Buch als Leitmedium verankert und nachgefragt. Andererseits sei die wirtschaftliche Auskömmlichkeit für alle eingeschränkt oder sogar gefährdet. In vielen Gesprächen mit Branchenteilnehmern erlebe er Ratlosigkeit und Verzweiflung. „Es geht um die Wirtschaftlichkeit der Branche“, so Skipis. Es sei ein „Irrsinn“, dass Lieferfahrzeuge jeden Tag Hunderttausende Kilometer zurücklegten, um jede noch so kleine Buchsendung auszuliefern. Hier stelle sich die Frage der Nachhaltigkeit. Ein weiterer Punkt seien die seit Jahrzehnten kaum oder gar nicht gestiegenen Buchpreise.

Schließlich die Buchpreisbindung: Sie sei die staatliche Garantie für Vielfalt und Kleinteiligkeit des Handels. Doch inzwischen habe sich dieser Schutzzweck in sein Gegenteil verkehrt – zum „Schutz der Marktmacht“, so Skipis. Dieter Dausien habe dies in seinem jüngsten Beitrag im Börsenblatt präzise – „wie mit dem Skalpell“ – dargestellt. Man müsse nun in aller Freundschaft und Partnerschaft die Debatte führen, um das Miteinander in der Branche zu erhalten.

Viele offene Rechtsfragen

Die derzeit für die Branche relevanten Rechtsthemen erläuterte Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang in seinem Vortrag:

Immer noch offen ist, ob der Gesetzentwurf für das Urheberrecht, der auch die Verlegerbeteiligung regelt, vom Kabinett beschlossen wird. Dies könnte am 27. Januar geschehen, sicher sei es nicht, so Sprang.

In der Frage, wie der Börsenverein der problematischen Rabattspreizung begegne, die die Regelung von Paragraf 6 Abs. 3 des Buchpreisbindungsgesetzes unterlaufe, prüfe man derzeit verschiedene Handlungsalternativen.

Libri und Mairdumont streiten vor Gericht

Ein Preisbindungsstreit in dieser Sache wird gerade vor Gericht ausgefochten: zwischen dem Barsortiment Libri und dem Verlag Mairdumont. Am 25. Januar soll beim Landgericht Hamburg die mündliche Verhandlung stattfinden, eine Entscheidung soll noch im ersten Quartal 2021 fallen.

Sprang stellte auch die Neuregelungen des novellierten Wettbewerbsrechts vor, die den Kartellbehörden ein effektiveres Vorgehen gegen „Super-Marktbeherrscher“ wie Amazon ermöglichen. Künftig können die Kartellwächter aber auch schon gegen Unternehmen tätig werden, die eine „überlegene Marktmacht“ ausüben. Das können Player sein, deren Marktanteil die Schwelle von 30 Prozent nicht überschreitet, beispielsweise große Lebensmittelhändler.

In der Pirateriebekämpfung werde man nach der Insolvenz der GVU andere Wege gehen müssen. Man teste gerade ein neues Vorgehen gegen illegale Plattformen, für Einzelheiten sei es aber noch zu früh.

In der Frage des E-Lendings fänden derzeit informelle Gespräche zwischen Börsenverein, DBV, VS und VG Wort über alternative Gestaltungswege für die Lizenzierung der Onleihe statt.

Neutrale Plattform für Indie-Buchhändler

Als Jonathan Beck zum Beitrag der US-Verleger Morgan Entrekin und Andy Hunter überleitete, war gerade der 46. Präsident der USA, Joe Biden, vereidigt worden. Andy Hunter, der auch Autor ist, hat eine neutrale Plattform für den Buchhandel entwickelt, für die Entrekin eine Reihe von Investoren gefunden hat: bookshop.org. Die Plattform soll dem Independent-Buchhandel helfen, seinen E-Commerce-Anteil auszubauen und damit die Existenz der stationären Läden zu sichern. Buchläden, so Hunter, seien wesentlich mehr als Verkaufsstellen: Sie seien Treffpunkte, Buchclubs, Veranstaltungsorte, die die Kultur stärken würden. Mit bookshop.org wolle man auch Amazon begegnen, dessen schnelles Wachstum die Zukunft des unabhängigen Buchhandels gefährde.

Das Besondere für den unabhängigen Buchhandel sei, so Hunter, dass ihm auf bookshop.org keine Kosten entstünden. Die Buchläden könnten beim Verkauf von Büchern über die Plattform die volle Gewinnmarge verdienen. Finanziert wird dies durch ein ausgedehntes Affiliate-Programm für Verlage und Zeitungen, bei dem bookshop.org 20 Prozent Provision nimmt, von denen wiederum zehn Prozent in den Betrieb der Buchhändler-Plattform fließen. Besonders hoch, so Hunter, sei die Conversion Rate auf bookshop.org. Zwölf Prozent der Besucher würden ein Buch kaufen, üblich seien im Schnitt auf anderen Plattformen sechs Prozent. In den ersten elf Monaten seit dem Start von bookshop.org habe man 50 Millionen Dollar Umsatz mit Büchern gemacht.

Nach dem Ende des offiziellen Teils lud Jonathan Beck die Teilnehmer*innen zum Come-together auf der Plattform wonder.me ein.