2006 erschien die letzte Ausgabe der gedruckten Brockhaus Enzyklopädie, noch existierende Online-Lexika führen neben Wikipedia ein Schattendasein. Gibt es Kooperationen mit den verbliebenen Enzyklopädien? Wird in die Richtung gedacht?
Es gibt in der deutschsprachigen Wikipedia Einträge, die auf alten Meyers-Artikeln beruhen, für die das Urheberrecht abgelaufen ist. Außerdem arbeiten wir wie erwähnt teilweise mit Fachlexika zusammen. Weiter gehende Kooperationsbestrebungen gibt es mit den verbliebenen Online-Lexika nicht.
Medizin, Forschung, Wissenschaft: Gibt es Bereiche, in denen Wikipedia die Beiträge namentlich genannter Experten doch nötig hätte?
Wikipedia ersetzt solche Beiträge nicht! Wikipedia bietet – wie alle klassischen Lexika – einen Einstieg in ein Thema, inklusive Verweise auf Quellen für alle, die mehr wissen wollen. Wir wollen den Konsens dessen abbilden, was sich in renommierten journalistischen oder wissenschaftlichen Quellen findet.
Wer für Wikipedia schreibt, macht das unbezahlt und anonym. Dazu kommt, dass die "eigenen" Artikel ständig von anderen verändert werden. Welche Anreize gibt es?
Wir verleihen tatsächlich diverse "Orden" und Preise, die Wiki-Eule zum Beispiel, die auf der jährlichen Community-Konferenz verliehen wird. Aber der eigentliche Antrieb ist Idealismus für unser Anliegen, das freie Wissen, oder eben der Spaß an einem Spezialthema, Segelschiffe der niederländischen Handelsmarine zum Beispiel, an dem dann viele mitarbeiten.
Und zum Schluss: Welchen Beitrag haben Sie zuletzt für Wikipedia geschrieben?
Ich habe einen Artikel zu Leonie Bremer angelegt, eine deutsche Klimaschutzaktivistin, mit der ich über einen persönlichen Kontakt in Berührung kam. Zusammen mit meinem Vater, einem Arzt, ist außerdem der Eintrag "nukleosid-modifizierte mRNA" entstanden, da geht es um die Technologie hinter dem Corona-Impfstoff. Dieser Artikel ist mittlerweile von anderen auf Englisch, Vietnamesisch, Thailändisch und Japanisch übersetzt worden – es ist immer beeindruckend, so etwas zu sehen.
Da es keine Einstiegshürden für die Bearbeitung eines Artikels gibt und man einfach loslegen kann ist der geringe Frauen-Anteil meiner Ansicht nach nicht mit den Erklärungsmustern in anderen Bereichen vergleichbar (weibliche Gamer werden z.B. oft gedisst, wenn sie sich zu erkennen geben). Problematisch daran ist m.A. nach, dass damit auch die Weltsicht (die ein Lexikon immer mit verbreitet), dadurch männlicher wird. Dabei wäre es so leicht zu ändern. Dies von Wikipedia selbst zu verlangen, geht aus meiner Sicht am Kernproblem vorbei. Da sollten Frauen schon von sich aus aktiv werden. So wie Sie!