Buchhandlungs-Jubiläum

Sag’ niemals "Tschonnsn" zu Johnson

23. Oktober 2023
Nils Kahlefendt

Ein Traumladen: Seit einem Vierteljahrhundert sorgt Dagmar Köpf dafür, dass die Große Kreisstadt Markleeberg vor den Toren Leipzigs eine Buchhandlung hat. Das wurde zum Jubiläum gefeiert. 

Inhaberin Dagmar Köpf mit Hanser-Vertreter Jürgen Fiedler (links) und Kunde Neo Rauch

Wer liest, lebt in einem Palast.

Neo Rauch

Als Dagmar Köpf an einem ersten Oktober vor 25 Jahren in Markleeberg ihre Buchhandlung gründete (ein erster Oktober sollte es sein, denn am 1.10. 1901 wurde in Leipzig der Insel Verlag gegründet), hatte sie schon ein halbes Berufsleben hinter sich: Fünfzehn Jahre Arbeit als Deutschlehrerin an zwei Erweiterten Oberschulen, so hieß das Gymnasium zu DDR-Zeiten, und zehn Jahre für die Verlagsgruppe Westermann. Ihr Ziel: „Ich wollte den Spagat zwischen dem, was geblieben ist. Und dem, was das Zeug hat, zu bleiben.“ Letzteres war am Anfang, als noch nicht so viele Bücher im Laden wucherten, leichter. Und so sieht man aus je wechselnder Perspektive schon bei der Annäherung an den kleinen Laden in der Rathausstraße irgendeinen Goethe, Kafka, Uwe Johnson („Sag’ niemals Tschonnsn!“) blinken, eine Christa Wolf, Suter, Walser, Proust. Dagmar Köpf hat als Deutschlehrerin hunderte Aufsätze korrigiert und hält es mit einem ihrer Lieblings-Kritiker, dem Schweizer Bachmannpreis-Juror Philipp Tingler („Team Tingler“): „In der Schule nicht beliebt gewesen zu sein, rechtfertigt nicht die Veröffentlichung eines Romans.“

Hürden, erinnerte sich Köpf vor der Festgesellschaft im Markleeberger Rathaus, habe es reichlich gegeben: Von den Stammkunden, die den Zettel mit Autor und Titel wieder auf dem heimischen Küchentisch liegengelassen haben, und in detektivischer Kleinarbeit zum Gesuchten geleitet werden müssen, bis zu den teuflischen Meldenummern 15 oder 80, zu schweigen von „Neuauflage unbestimmt“ bis „vergriffen“. Köpf kümmerte sich trotzdem verlässlich, auch wenn ihr der Satz aus dem Mund eines Antiquars in einem Tellkamp-Roman durchaus nicht fremd ist: „Ich kann mich gegen Umsatz wehren, junger Mann!“

Kinderbuch auf Rezept: „Wegen Wolfsangst ein Buch Rothütchen“

Angesichts einer jahrhundertelangen Buchstadt-Tradition in Leipzig sind 25 Jahre, zugegeben, „ein Wimpernschlag“. Aber Köpf weiß auch reichlich Höhepunkte zu erinnern. Manchmal passieren sie in Serie, wie bei der Dame mit dem riesigen Gartenblumenstrauß, die an jenem ersten Oktober 1998 ihrer Freude darüber Ausdruck verleihen wollte, „dass es wieder eine Buchhandlung in Markleeberg“ gebe. Vor ein paar Tagen kam der 25. Strauß. Oder die Harry-Potter-Nächte, sieben an der Zahl: Um 00:01 Uhr ging in der Rathausstraße das Licht an, und dann kamen sie wie die Heinzelmännchen aus den Gassen gehuscht, die meist mit Spitzhut und Brille verkleideten Angehörigen der jungen Zielgruppe; manche von ihnen standen montags im Laden, mit roten Augen, aber tief in sich ruhend, und rapportierten: „Ich habe alles ausgelesen, die Eltern haben es erlaubt.“ Nicht zu vergessen die Kinderärztin in der Nachbarschaft, die nicht wenige kleine Patienten mit einem kleinen Zettel zu Köpf schickte: „Wegen Wolfsangst ein Buch Rothütchen.“ Buch auf Rezept, großartig. Und natürlich sind da all die Lesungen; Wagenbach war da, in roten Socken, Heinrich von Berenberg oder Tellkamp, zu einer „Wohnzimmerlesung“ mit, wie Köpf findet, zu Unrecht überall verrissenen „Schlaf in den Uhren“.

Es war eine schöne Feier, fast wie bei den Buddenbrooks oder den Manns, jedenfalls wie in einer Zeit, als es noch keine Leserschwundstudien gab und die digitale Transformation als etwas für Science-Fiction-Fans galt. Die erwachsenen Enkel spielten Klarinette und Piano für die „Bücher-Oma“, und es gab selbstgebackene Plätzchen im Buch-Cover-Look: Handke und Max Frisch, lecker. Unter den Gratulanten Branchen-Leute wie Jürgen Fiedler, Hanser-Vertreter in SaSaThü. Oder der Maler Neo Rauch, der seit 23 Jahren in Markleeberg lebt und als Köpf-Stammkunde gilt, wiewohl ihn die täglich absolvierte Fahrradtour ins Leipziger Atelier leider nicht durch die Rathausstraße führt. In Aschersleben, der Stadt, in der Rauch aufwuchs, gibt es heute nur noch eine von einst vier Buchhandlungen; dort, wo er seine Schallplatten kaufte, residiert ein Hörgeräte-Shop. Bücher, so der Maler, sind Wegzehrung für schwierige Zeiten: „Wer nicht über diesen Bestand verfügt, lebt in einer Baracke, in der eine einsame Neonröhre flackert, und nichts weiter ist darin enthalten als diese Ödnis. Wer liest, lebt in einem Palast.“