Nach Antisemitismus-Vorwürfen reißt die Kritik an der documenta nicht ab, Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, dass er nicht nach Kassel kommen wird. Haben Sie Sorge, dass auch das Publikum ausbleibt?
Röse: Ich glaube nicht, dass die Besucherzahl hinter den Erwartungen zurückbleiben wird – zumal das Thema in der internationalen Kunstwelt gar nicht die Rolle spielt wie bei uns. Die Haltung der Stadt und der Stadtgesellschaft ist sehr eindeutig: Wir fühlen uns durch die Antisemitismus-Vorwürfe unter Generalverdacht gestellt und arbeiten im Moment gemeinsam daran, das Bild in der Öffentlichkeit wieder zurechtzurücken.
König: Ich war ein paar Tage lang nicht in Kassel und hatte zugegebenermaßen Sorge, dass das Publikum nicht kommt. Doch die Stadt ist voll, die Besucherinnen und Besucher sind guter Dinge. Mich haben die Antisemitismus-Vorwürfe sehr berührt. Die Debatte ist wichtig und muss geführt werden – detailliert, offen, mit allen Betroffenen...
Röse: ... allerdings ist es im Moment sehr schwierig, sich differenziert dazu zu äußern. Es gibt nur noch Meinungen und keinen echten Diskurs mehr. Ein Phänomen, das sich ja seit einigen Jahren immer wieder beobachten lässt.
König: Was wir aber über all dem nicht vergessen sollten: Auf der documenta fifteen gibt es wirklich große, außergewöhnliche Kunst zu entdecken. Wenn sie nun völlig im Schatten dieser Auseinandersetzung verschwinden würde – das wäre sehr traurig.
Beeinflusst die Antisemitismus-Debatte auch Ihr Buchangebot?
König: Das ist ja genau die Qualität einer Buchhandlung, dass sie solche Diskussionen auf den Büchertischen spiegeln kann. Micha Brumliks Einführung „Antisemitismus“ etwa, erschienen bei Reclam, hatten wir schon im Sortiment, bevor der Konflikt um das Banner „People‘s Justice“ von Taring Padi so richtig begann. Jetzt erweitern wir die Titelpalette. Meine Schwester ist Historikerin und forscht zum Holocaust. Sie hat uns mit einer entsprechenden Bücherliste beraten.