Herbstnovitäten

Diese Phantastik-Romane empfiehlt Maren Bonacker

18. August 2023
Maren Bonacker

In der Fülle der Fantasy- und Science-Fiction-Romane wird 
die Phantastik kaum noch wahrgenommen: Romane, die zwar in der Realität spielen, dabei aber immer wieder die Tür zu anderen Welten öffnen. Maren Bonacker, Leiterin der Phantastischen Bibliothek, stellt eine Auswahl dieser reizvollen Grenzgänger vor. 

Zu den großen Erzählern der Phantastik zählt zweifellos Alan Garner, dessen Romanwerk Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen immer auch ein bisschen was abverlangt und sich damit seinen festen Platz im Regal mit den Lieblingsbüchern redlich verdient hat. Sein jüngster Roman wurde nicht umsonst für den Booker Prize nominiert, denn auch wenn "Treacle Walker. Der Wanderheiler" (Ü: Bernhard Robben, Klett Cotta, 160 S., 20 €) nur ein schmales Werk ist, strahlt es doch eine unfassbare Faszination aus: Joseph, dessen eines Auge mit einem Pflaster verklebt ist, um das andere, das schwache zu stärken, liest leidenschaftlich gern Comics. Das Auftauchen eines seltsamen Lumpensammlers nimmt er ohne größere Verwunderung wahr. Einen Knochen und einen alten Pyjama erbittet der titelgebende Treacle Walker und gibt Joseph dafür ein Töpfchen Medizin, die dem Jungen das Eintauchen in phantas­tische Welten und eine Begegnung mit den Comic-Helden ermöglicht. Dabei verschieben sich Zeit und Raum immer wieder, ähnlich wie in Märchen oder versponnenen Träumen. 
"Knochen, Lumpen und Papier ..." – was der seltsame Mann sammelt, scheint ohne Wert zu sein. Und doch ist das, was er dafür gibt, unendlich kostbar. Ähnlich ist es mit Garners kleinem Buch, das Leser:innen einen kleinen Schatz beschert – mit essenziellen Fragen des Lebens und mit Wundern, die nur für Menschen sichtbar sind, die genug Fantasie haben, um sie zu sehen. Zweifellos ein sehr besonderes und lesenswertes Buch!

Ungewöhnlich liest sich auch Ulrich Leuschners kleine Hommage an ein sehr besonderes naturwissenschaftliches Werk, mit dem Gerolf Steiner 1961 die Welt der Wissenschaft narrte. Ausgehend von Steiners Theorie der Rhinogradentia (Naslinge, eine fiktive Ordnung der Säugetiere) erzählt Leuschner die seltsame Lebensgeschichte des Josef Auribem, der aufgrund seiner übergroßen Ohren nicht nur über ein außergewöhnlich feines Gehör verfügt, sondern sich auch ganz in sie einhüllen, ja gar mit ihnen laufen kann. Fasziniert versucht er alles zu lernen, was in naturwissenschaftlichen Büchern steht, alles zu begreifen, was die Natur ihm zu studieren gibt. Ulrich Leuschners "Vom merkwürdigen Ende des wundersamen Herrn Auribem" (Edition Pauer, 158 S., 18 €) ist ein skurriles kleines Werk für Freunde der außergewöhnlichen Literatur.

In dieselbe Kategorie gehört auch Peter Marius Huemers dystopischer Roman "Die Bibliothekarin" (Septime, 210 S., 24 €), der einen kritischen Blick auf die Welt wirft. Erzählt wird aus der Sicht einer Bibliothekarin, die in ihren Aufgaben stark eingeschränkt ist: Aus der sinnlosen Katalogisierung literarischer Werke, deren Lektüre ihr verboten wird, entwickelt sich nach und nach immer mehr Widerstand – bis die Schönheit der Sprache endlich wieder Bedeutsamkeit erfährt.
 

Krimis – genreübergreifend gut!

Doch auch, wo gutes Erzählen nicht reicht und mehr Spannung gefordert ist, bietet die phantastische Literatur einiges. Stefan Bachmann beispielsweise führt in seinem kleinformatigen "Die letzten Hexen von Blackbird Castle" (Ü: Stefanie Schäfer, Diogenes, 280 S., 18 €) in ein England, das an die Zeit von "Downton Abbey" erinnert, allerdings von einer uralten Hexendynastie beherrscht wird. Dort hinein verschlägt es das Waisenmädchen Zita Bridgeborn, das angeblich eine direkte Nachfahrin der zuletzt herrschenden Hexen sein soll. Ohne auf diese magische Welt im Geringsten vorbereitet zu sein, muss sie sich nun in einem System behaupten, dessen Regeln ihr fremd sind – und gleichzeitig versuchen, die Geheimnisse ihrer Herkunft zu ergründen. Ein spannender und atmosphärischer Roman, der beinahe ein historischer Kriminalroman sein könnte – wären da nicht die immer wieder nebenbei eingeflochtenen ­magischen Details und Geisterwesen, die dieses Buch im wahrsten Sinne des Wortes so zauberhaft machen. Sehr lesenswert!

Einen packenden Mix aus Phantastik und Krimi liefert auch Gigi Pandian mit "Die unglaublichen Fälle der Zoe Faust". Die Reihe beginnt mit der Einführung einer unwiderstehlichen Heldin, die unsterblich ist, seitdem sie im 18. Jahrhundert den Stein der Weisen entdeckt hat – und sich peinlichst darum bemüht, diese Tatsache geheim zu halten. Das wird schwer, denn im Auftaktroman "Alchemistin wider Willen" (Ü: Michaela Link, Piper, 401 S., 14,99 €) taucht nicht nur ein Gargoyle in ihren Umzugskisten auf, es wird auch noch ein toter Schreiner auf ihrer Veranda gefunden! Statt ein ruhiges, zurückgezogenes Leben zu führen, steckt Zoe plötzlich mitten in kriminalistischen Ermittlungen an der Seite eines ausgesprochen sympathischen Detectives. Phantastik zum Abtauchen, Verlieben und ... Kochen! Denn als zusätzliches Highlight verdingt sich der aus Frankreich stammende Gargoyle in Zoes Haushalt als Koch und liefert in jedem Band gleich ein Rezept mit. Witzig, pfiffig lecker – phantastischer Lesestoff vom Feinsten!

Wen Rezepte nicht locken, Katzen dafür aber umso mehr, der kommt in diesem Herbst nicht an Caroline Ronnefeldts "Inspektor Mouse" (Ueberreuter, 384 S., 20 €) vorbei. In einer Welt anthropomorphisierter Katzen ermittelt der gut aussehende Thai-Siam-Kater Selwyn Mouse in bester Hardboiled-Tradition im Mordfall an Barkeeper Morpheus. Ein Muss für Fans des Genres, die es lieben, beim Entdecken der literarischen Anspielungen selbst detektivisches Geschick zum Einsatz zu bringen – fraglos ein neues Highlight der Autorin der "Quendel"-Trilogie!
 

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