Zu den großen Erzählern der Phantastik zählt zweifellos Alan Garner, dessen Romanwerk Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen immer auch ein bisschen was abverlangt und sich damit seinen festen Platz im Regal mit den Lieblingsbüchern redlich verdient hat. Sein jüngster Roman wurde nicht umsonst für den Booker Prize nominiert, denn auch wenn "Treacle Walker. Der Wanderheiler" (Ü: Bernhard Robben, Klett Cotta, 160 S., 20 €) nur ein schmales Werk ist, strahlt es doch eine unfassbare Faszination aus: Joseph, dessen eines Auge mit einem Pflaster verklebt ist, um das andere, das schwache zu stärken, liest leidenschaftlich gern Comics. Das Auftauchen eines seltsamen Lumpensammlers nimmt er ohne größere Verwunderung wahr. Einen Knochen und einen alten Pyjama erbittet der titelgebende Treacle Walker und gibt Joseph dafür ein Töpfchen Medizin, die dem Jungen das Eintauchen in phantastische Welten und eine Begegnung mit den Comic-Helden ermöglicht. Dabei verschieben sich Zeit und Raum immer wieder, ähnlich wie in Märchen oder versponnenen Träumen.
"Knochen, Lumpen und Papier ..." – was der seltsame Mann sammelt, scheint ohne Wert zu sein. Und doch ist das, was er dafür gibt, unendlich kostbar. Ähnlich ist es mit Garners kleinem Buch, das Leser:innen einen kleinen Schatz beschert – mit essenziellen Fragen des Lebens und mit Wundern, die nur für Menschen sichtbar sind, die genug Fantasie haben, um sie zu sehen. Zweifellos ein sehr besonderes und lesenswertes Buch!
Ungewöhnlich liest sich auch Ulrich Leuschners kleine Hommage an ein sehr besonderes naturwissenschaftliches Werk, mit dem Gerolf Steiner 1961 die Welt der Wissenschaft narrte. Ausgehend von Steiners Theorie der Rhinogradentia (Naslinge, eine fiktive Ordnung der Säugetiere) erzählt Leuschner die seltsame Lebensgeschichte des Josef Auribem, der aufgrund seiner übergroßen Ohren nicht nur über ein außergewöhnlich feines Gehör verfügt, sondern sich auch ganz in sie einhüllen, ja gar mit ihnen laufen kann. Fasziniert versucht er alles zu lernen, was in naturwissenschaftlichen Büchern steht, alles zu begreifen, was die Natur ihm zu studieren gibt. Ulrich Leuschners "Vom merkwürdigen Ende des wundersamen Herrn Auribem" (Edition Pauer, 158 S., 18 €) ist ein skurriles kleines Werk für Freunde der außergewöhnlichen Literatur.
In dieselbe Kategorie gehört auch Peter Marius Huemers dystopischer Roman "Die Bibliothekarin" (Septime, 210 S., 24 €), der einen kritischen Blick auf die Welt wirft. Erzählt wird aus der Sicht einer Bibliothekarin, die in ihren Aufgaben stark eingeschränkt ist: Aus der sinnlosen Katalogisierung literarischer Werke, deren Lektüre ihr verboten wird, entwickelt sich nach und nach immer mehr Widerstand – bis die Schönheit der Sprache endlich wieder Bedeutsamkeit erfährt.