So langsam kann ich es nicht mehr hören, und lesen mag ich es auch nicht mehr, diese Selbstgefälligkeit mancher Buchhändler und Verleger, die meinen, nur sie, die sogenannten Unabhängigen, setzten sich für die Vielfalt der Buchbranche ein, nur sie träfen den Geschmack der Leser, die bösen, nur vom Kommerz getriebenen Filialisten dagegen böten nur Einheitsbrei, bei dem die wertvolle Literatur auf der Strecke bliebe. Diese Haltung desavouiert auch die Buchhändler*innen der abfällig benannten »Ketten«, die mit viel Engagement, Erfahrung und Leidenschaft fürs Buch und die Literatur arbeiten und in ihren Läden die Auswahl mitbestimmen. Komisch, dass die Leser, unsere Kunden, offensichtlich ihren eigenen Kopf haben und diesen nutzen und genauso gern, vielleicht sogar im einen oder anderen Fall lieber, beim Filialisten einkaufen. Und das liegt sicher nicht nur an der 1-a-Lage, sondern vielleicht auch an Leistungen (beispielsweise die große Auswahl), die Filialisten bieten.
Osiander hat im vergangenen Jahr zwölf Buchhandlungen übernommen (und keine einzige Buchhandlung »verdrängt«), die alle nicht mehr wirtschaftlich arbeiten und keine Nachfolge finden konnten. Es wurde in neue Ladenkonzepte investiert, das Buchangebot wesentlich erweitert (ja, auch von unabhängigen, kleinen Verlagen, die dort bis dahin nicht zu finden waren!). Mitarbeiter*innen bekamen neue Aufstiegschancen und werden wesentlich besser bezahlt, und in jedem Fall wurde der Umsatz vor Ort gewaltig erhöht, was Verlage und Kommunen erfreut. Ein Teil dieser Buchhandlungen würde heute nicht mehr existieren, die Verlage würden dort keinen Umsatz mehr machen, Amazon wäre der Gewinner, Arbeitsplätze vor Ort wären verloren gegangen. Das sind die Fakten. Alles andere sind Mythen und Legenden, die sich so tapfer und gut anhören, die aber verkennen, dass die geschmähten Filialisten oft mehr für Vielfalt und Sichtbarkeit des Buchs leisten als manch kleine Buchhandlung.
Dass ich nicht missverstanden werde: Ich kenne viele engagierte, gut funktionierende kleine und mittlere Buchhandlungen und deren Inhaber*innen; mit vielen bin ich freundschaftlich und kollegial verbunden. Ich bewundere deren Einsatz genauso wie das Engagement unserer Mitarbeiter*innen, die froh sind, in einem innovativen, wirtschaftlich stabilen Familienunternehmen zu arbeiten, das über den Tellerrand hinausschaut und Wege der Kooperation und Zusammenarbeit sucht, wie sie in anderen Einzelhandelsbranchen (und übrigens auch in unserer Branche) längst üblich sind. Und damit nicht zu den vielen renommierten Buchhandlungen gehört, die es heute nicht mehr gibt.
Nein, so einfach kann man es sich nicht machen! Die Gleichung »groß = Mainstream und langweilig, klein = Vielfalt und interessant« geht nicht auf! Ich wünschte mir weniger Aufgeregtheit, mehr Objektivität und vielleicht das eine oder andere Mal auch mehr Nachdenken darüber, ob man der Branche nicht einen Bärendienst erweist, wenn man permanent ihren Untergang herbeiredet, weil sie sich ändert. Was uns alle eint ist das Bemühen, die Preisbindung zu erhalten; sie allein garantiert die Vielfalt der Branche, weil wir nicht im Preiswettbewerb miteinander stehen, sondern mit Konzepten um die Gunst der Kunden kämpfen. Wie gern dagegen beschäftigen wir uns mit unseren eigenen Empfindlichkeiten, anstatt zu überlegen, wie wir Nichtleser zu Lesern machen und Leser zu Viellesern.