Aus dem neuen Printheft BBL 48|2020

Debatte: Ist die Buchvielfalt in Gefahr?

25. November 2020
Redaktion Börsenblatt

Der langjährige Chef des Barsortiments Umbreit, Thomas Bez mahnt einen verantwortungsvollen Umgang mit der Buchpreisbindung an: Nur sie könne verhindern, "dass der Verteilungskonflikt im Buchhandel aus dem Ruder läuft". Osiander-Gesellschafter Heinrich Riethmüller wünscht sich dagegen weniger Aufgeregtheit und mehr Objektivität: "Was uns alle eint, ist das Bemühen, die Preisbindung zu erhalten."

Selbstgefälligkeit

Sind kleine unabhängige Buchhandlungen die wahren Kämpfer für Bibliodiversität und Filialisten bloß Orte des Mainstreams? Osiander-Chef Heinrich Riethmüller hält vehement dagegen.

Die geschmähten Filialisten leisten oft mehr für Vielfalt als manch kleine Buchhandlung.

Heinrich Riethmüller

So langsam kann ich es nicht mehr hören, und lesen mag ich es auch nicht mehr, diese Selbstgefälligkeit mancher Buchhändler und Verleger, die meinen, nur sie, die sogenannten Unabhängigen, setzten sich für die Vielfalt der Buchbranche ein, nur sie träfen den Geschmack der Leser, die bösen, nur vom Kommerz getriebenen Filialisten dagegen ­böten nur Einheitsbrei, bei dem die wertvolle Literatur auf der Strecke bliebe. Diese Haltung desavouiert auch die Buch­händler*innen der abfällig benannten »Ketten«, die mit viel Engagement, Erfahrung und Leidenschaft fürs Buch und die Literatur arbeiten und in ihren Läden die Auswahl mitbestimmen. Komisch, dass die Leser, unsere Kunden, offensichtlich ihren eigenen Kopf haben und diesen nutzen und genauso gern, vielleicht sogar im einen oder anderen Fall lieber, beim Filialisten einkaufen. Und das liegt sicher nicht nur an der 1-a-Lage, sondern vielleicht auch an Leistungen (beispielsweise die große Auswahl), die Filialisten bieten. 

Osiander hat im vergangenen Jahr zwölf Buchhandlungen übernommen (und keine einzige Buchhandlung »verdrängt«), die alle nicht mehr wirtschaftlich arbeiten und keine Nachfolge finden konnten. Es wurde in neue Ladenkonzepte investiert, das Buchangebot wesentlich erweitert (ja, auch von unabhängigen, kleinen Verlagen, die dort bis dahin nicht zu finden waren!). Mitarbeiter*innen bekamen neue Aufstiegschancen und werden wesentlich besser bezahlt, und in jedem Fall wurde der Umsatz vor Ort gewaltig erhöht, was Verlage und Kommunen erfreut. Ein Teil dieser Buchhandlungen würde heute nicht mehr existieren, die Verlage würden dort keinen Umsatz mehr machen, Amazon wäre der Gewinner, Arbeitsplätze vor Ort wären verloren gegangen. Das sind die Fakten. Alles andere sind Mythen und Legenden, die sich so tapfer und gut anhören, die aber verkennen, dass die geschmähten Filialisten oft mehr für Vielfalt und Sichtbarkeit des Buchs leisten als manch kleine Buchhandlung.

Dass ich nicht missverstanden werde: Ich kenne viele engagierte, gut funktionierende kleine und mittlere Buchhandlungen und deren Inhaber*innen; mit vielen bin ich freundschaftlich und kollegial verbunden. Ich bewundere deren Einsatz genauso wie das Engagement unserer Mitarbeiter*innen, die froh sind, in einem innovativen, wirtschaftlich stabilen ­Familienunternehmen zu arbeiten, das über den Tellerrand ­hinausschaut und Wege der Kooperation und Zusammen­arbeit sucht, wie sie in anderen Einzelhandelsbranchen (und übrigens auch in unserer Branche) längst üblich sind. Und damit nicht zu den vielen renommierten Buchhandlungen gehört, die es heute nicht mehr gibt. 

Nein, so einfach kann man es sich nicht machen! Die Gleichung »groß = Mainstream und langweilig, klein = Vielfalt und interessant« geht nicht auf! Ich wünschte mir weniger Aufgeregtheit, mehr Objektivität und vielleicht das eine oder andere Mal auch mehr Nachdenken darüber, ob man der Branche nicht einen Bärendienst erweist, wenn man permanent ihren Untergang herbeiredet, weil sie sich ändert. Was uns alle eint ist das Bemühen, die Preisbindung zu erhalten; sie allein garantiert die Vielfalt der Branche, weil wir nicht im Preiswettbewerb miteinander stehen, sondern mit Konzepten um die Gunst der Kunden kämpfen. Wie gern dagegen beschäftigen wir uns mit unseren eigenen Empfindlichkeiten, anstatt zu überlegen, wie wir Nichtleser zu Lesern machen und Leser zu Viellesern.

Kultur bedeutet Vielfalt

Die Buchpreisbindung droht nach innen ausgehöhlt zu werden. Der ehemalige Geschäftsführer des Barsortiments Umbreit, Thomas Bez warnt eindringlich vor einer Missachtung der gesetzlichen Regeln.

Die Preisbindung muss auch im Innenverhältnis zwischen den Sparten geschützt werden.

Thomas Bez

Wenn am 11. 11. nur der Auftakt zum Karneval ausgefallen wäre, hätte ich nicht zur Feder gegriffen: Als ­einfaches Mitglied, besonders aber als Ehrenmitglied war ich immer stolz auf »unseren« Börsenverein, gerade auch in den Krisen, die er gemeistert hat, aber was aus den Sitzungen der Fachausschüsse von Sortimentern und Verlegern am 11. 11. nach außen gedrungen ist, hat mich sehr enttäuscht. 

Es waren emotional aufgeladene Debatten, die viele verletzten und verunsicherten, wie es in der Rede von Herrn Skipis, dem Hauptgeschäftsführer, bei der Hauptversammlung deutlich zu hören war. Nur die Zwischenbuchhändler haben die Fahne hochgehalten, als es um die Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes (BuchPrG) ging.

In intensiven Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsminis­terium und der Staatsministerin für Kultur und Medien ist die Taskforce Preisbindung an dem Punkt angekommen, wo die Mitglieder des Börsenvereins und der Vorstand entscheiden müssen: Wollen wir, dass die Regeln der »inneren Preisbindung« des § 6 BuchPrG nur auf dem Papier stehen (bleiben), oder sollen sie auch angewendet werden, damit die Preisbindung nicht von innen her ausgehöhlt wird? Die Preisbindung muss nicht nur im Außenverhältnis praktiziert, sondern auch im Innenverhältnis zwischen den Sparten geschützt werden, damit die Vielfalt des Buchmarkts und die Überall-Erhältlichkeit der Bücher heute und in Zukunft erhalten bleiben und der »Common Sense« der Sparten (wieder) gestärkt wird.

§ 6 Abs. 1 gebietet, dass Verlage ihre Konditionen nicht allein am Umsatz, sondern auch an den Leistungen der Buchhandlungen orientieren. § 6 Abs. 2 soll verhindern, dass »Nebenmärkte« bessere Konditionen erhalten als der Buchhandel (Fachhandel!). § 6 Abs. 3 legt die Höchstgrenze für die Summe der Konditionen fest. In der Spruchpraxis des Bundeskartellamts waren das 50 Prozent Rabatt. Diese (absolute) Grenze wollte und will der Bundestag nicht ins Gesetz über die Preisbindung für Bücher übernehmen, deshalb hat der Börsenverein sich im Gesetzgebungsverfahren 2002 auf das Sparten­papier (Verhaltensgrundsätze des Buchhandels) bezogen, das festlegt, dass Barsortimente nicht zu schlechteren Kondi­tionen beliefert werden dürfen als andere Abnehmer. Diese relative Obergrenze trat damit an die Stelle der absoluten Grenze von 50 Prozent. Sie ist nicht gedacht als »Meistbegünstigungsklausel« für die Barsortimente, die in ihrer Funktion viel zum Erhalt der Preisbindung beitragen, indem sie Bücher über Nacht überallhin liefern, sondern diese Grenze soll verhindern, dass der Verteilungskonflikt im Buchhandel aus dem Ruder läuft. Wie viele Verlage sind bereits »jenseits von Eden« und wie viele Buchhandlungen finden keine Nachfolger?

Wenn die Regeln des § 6 BuchPrG missachtet werden, wird die Preisbindung der Bücher enden wie einst die Preisbindung für Markenartikel, die der Gesetzgeber 1973 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gestrichen hat. Wollen wir zusehen, dass der Buchhandel genauso dezimiert wird wie der Fachhandel in anderen Branchen? Vielfalt und Überall-­Erhältlichkeit existieren dort oft nur noch im Internet. Dagegen fließt uns der Mainstream auf jeder Einkaufsmeile ent­gegen und lässt die Innenstädte verarmen.

Kultur bedeutet Vielfalt. Sie lässt sich nicht allein mit ­betriebswirtschaftlichen Maßstäben messen und schon gar nicht rationalisieren. Die Preisbindung für Bücher wurde 2002 zum Gesetz, um Buch und Handel miteinander und die ­Sparten ­untereinander zu verbinden! 

Lebt die Branche das Gesetz zur Buchpreisbindung noch? Droht sie nach innen ausgehöhlt zu werden? Oder wird die ganze Debatte viel zu aufgeregt geführt? Diskutieren Sie mit auf Börsenblatt Online. Dazu einfach anmelden und einen Kommentar schreiben (gerne auch mit einem Nickname, wenn Sie nicht erkannt werden wollen). 

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