Digitale Transformation | BOOKBYTES

"Die Buchbranche sollte ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen"

8. März 2022
Okke Schlüter

Okke Schlüter fordert eine dezidierte Willkommenskultur, mit der Wechselwillige aus anderen Branchen, neue Partner und Dienstleister gewonnen werden können – weil sie für die Transformation dringend gebraucht werden.

Über die digitale Transformation diskutieren wir in der Buchbranche bereits seit einiger Zeit, dieser Diskurs soll hier nicht wiederholt, sondern akzentuiert werden. Unstrittig sind die grundsätzliche Notwendigkeit, die fachliche Ebene benötigter Skills wie auch die »Change Dimension« der digitalen Trans­formation. Seitdem über all dies im Wesentlichen Einigkeit herrscht, geht es nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Neben den eigenen Verlagserfahrungen sind Kooperationen mit Verlagen und der Austausch wie zum Beispiel in der IG ­Digital des Börsenvereins sehr aufschlussreich.

Der Begriff »digitale Transformation« ist ein Schlagwort und als solches legitimerweise eine prägnante Verkürzung. Er sollte aber nicht wörtlich genommen werden, denn auf der Angebots-ebene brächte eine unreflektierte digitale Transformation die Branche um wertvolle Chancen. Wer sich auch nur einiger­maßen der nutzerzentrierten Innovation verpflichtet fühlt, wird zustimmen, dass zukunftsfähiges Publishing darin besteht, die von der Zielgruppe gewünschten Inhalte in den von ihr bevorzugten ­Formaten anzubieten. Wer Print möchte, sollte auch weiterhin Print bekommen können, die Deckungsbeiträge dürfte diese ­Entscheidung in aller Regel erleichtern.

Diese Facette zeigt zugleich, dass die notwendige Transformation nur gemeinsam gelingen kann. Im Innovationsmanagement ist es ein offenes Geheimnis, dass interdisziplinäre (»cross-­functional«) Teams kreativer und vielseitiger sind. Gemischte Teams entwickeln oft die besseren Lösungen. Diversität ist ­deshalb nicht nur ein gesellschaftspolitisches Ziel, sondern eine unternehmerische Erfordernis. Damit sie produktiv werden kann, müssen allerdings wertende Gegensatzpaare überwunden werden (wie etwa weiblich / jung versus männlich / alt), denn ­Diversität funktioniert nur als wertfreie Pluralität. 

Dem Grundkonsens einer Skill- gegenüber einer Change-­Ebene entsprechend braucht es fachliche Weiterbildung ebenso wie Transformation als Mindset: Hier geht es weniger um die oben genannten Kundenbedürfnisse, sondern um die Bereitschaft, ­Bestehendes zu hinterfragen. Prozesse, Software-Tools, Systemlandschaften, Datenhaltung und -auswertung gehören auf den Prüfstand. Einige Verlage haben hier in den vergangenen Jahren mutige und entschlossene Veränderungen in die Wege geleitet. Im Gegensatz zum Business Reengineering, das in prekären ­Situationen nur die Veränderungsbereiten einbezieht, gehört zu einer nachhaltigen Transformation auch die Auseinandersetzung mit Bedenken – selbst wenn die Veränderung unausweichlich ist. Unternehmen laufen sonst Gefahr, viel Kompetenz und Erfahrung zu verlieren. Yasmin Mei-Yee Weiß betont im Interview zu Recht die »komplementäre Intelligenz« aus künstlicher und ­natürlicher Intelligenz. Oft sind es langjährige Kolleg:innen, die über eine starke Intuition verfügen, die auf Erfahrung basiert.

Wer auch in anderen Branchen unterwegs war oder ist, weiß, worum sie die Buchbranche beneiden: um den Spirit, die empathische Kommunikation, um die Inhalte, um die Kreativität. Wechselwillige wie auch neue Dienstleister und Partner kann die Buchbranche zur Bewältigung der erforderlichen Transformation gut gebrauchen. Sie bringen neue Sichtweisen, zusätzliches Know-how, unbequeme Fragen und dadurch auch mehr Diversität. Auch hier sollte neben der Gesellschaft insgesamt auch die Buchbranche eine dezidierte Willkommenskultur an den Tag ­legen. Start-ups, die am Accelerator CONTENTshift der Börsenvereinsgruppe teilgenommen haben, zählen zu diesen Neuankömmlingen und berichten oft von mühsamen und langwierigen Projekten mit Unternehmen der Buchbranche.


Bei allen diesen Herausforderungen sollte die Buchbranche ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen und sich weder selbst schlechtreden, noch sich schlechtreden lassen. Es ist weniger wahrscheinlich, sich in jemanden zu verlieben, der sich selbst nicht mag. Und: Es spricht auf Dauer viel mehr für Printprodukte als für Verbrennungsmotoren oder Kernenergie. Aber wir müssen diversifizieren(sic!).

ZUR PERSON:

Okke Schlüter ist seit 2008 Professor für Medienkonvergenz im Studiengang Mediapublishing an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Schwerpunkte in der Lehre sind neben der Medienkonvergenz auch Crossmediales Produktmanagement, Innovationsmanagement / Design Thinking und digitale Geschäftsmodelle.

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