Debatte um die Buchpreisbindung

Vorstand des Börsenvereins fordert Gesetzesnovelle

26. November 2020
Torsten Casimir

Klartext vom höchsten Gremium des Börsenvereins: Der Sinn des Gesetzes über die Preisbindung für Bücher werde von der Branche "nicht mehr gelebt", beklagt das Vorstandsmitglied Annerose Beurich (Buchhandlung stories!, Hamburg) im Interview. Sie und der ganze Vorstand fordern die Branche zur Rettung der Preisbindung auf. Das Hauptamt des Börsenvereins wird aufgerufen "den eingeschlagenen Kurs zur Sicherung der Buchpreisbindung weiter zu verfolgen".

Die Sorge in der Branche um den Erhalt der Buchpreisbindung wächst. Offen diskutiert wird aber kaum. Haben Sie in den Sitzungen der Fachausschüsse des Börsenvereins die Debatte vermisst?
Ja, das habe ich. Nur der Zwischenbuchhandel hat seine Position deutlich gemacht. Von den Sortimentern kam so gut wie nichts, was ich sehr bedaure. Auch die Vertreter*innen des kleineren, unabhängigen Buchhandels haben sich nicht zu Wort gemeldet. Und von den Verlagen gab es bloß Abwehr gegen eine aus meiner Sicht dringend nötige Diskussion.

Warum schweigen die Buchhändler*innen?
Vielleicht haben insbesondere die kleineren, unabhängigen Buchhändler*innen das Gefühl, die Debatte um § 6.3 im Gesetz über die Preisbindung für Bücher ginge sie nichts an. Ganz offensichtlich ist vielen Kolleg*innen nicht klar, dass es beim § 6.3. nicht um die Barsortimente geht, sondern um uns Sortimenter*innen, um den Sinn der Preisbindung und das Ziel, ein breites und vielfältiges Netz von Buchhandlungen zu garantieren. Anders ausgedrückt: Wenn Barsortimente schlechtere Konditionen erhalten als große Filialisten, ist doch völlig klar, dass unabhängige Buchhandlungen, für die der Bezug vom Barsortiment wichtig ist, keine fairen Chancen mehr im Wettbewerb haben. 

Der Filialbuchhandel will erst recht keine Debatte.
Die Filialisten finanzieren ihre Expansion und ihre Innovation unter dem Geleitschutz der Preisbindung. Sie haben nach außen keinen Preiswettbewerb zu fürchten, der auf ihre höheren Margen drückt.

Als das Bundeskartellamt über die gemeinsame Vertriebsgesellschaft von Thalia Mayersche und Osiander entschied, sah es allerdings hier kein Problem.
Mich hat es schon geärgert, in der Begründung des Kartellamtes zur Bewilligung des Joint Ventures lesen zu müssen, die Konditionenverhandlungen auf der Beschaffungsseite unterlägen ja rechtlichen Einschränkungen durch das Buchpreisbindungsgesetz, und für Verlage gebe es nach wie vor genügend Absatzalternativen. Die vom Kartellamt mit Blick auf den Wettbewerb vertretene Position, dass kleinere Händler durch die Konzentration keinen Nachteil hätten, empfinde ich als unabhängige Sortimenterin als blanken Hohn. 

Warum?
Ich kann nicht nachvollziehen, dass Einkaufsvorteile keinen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Angebotsqualität im stationären Handel haben sollen. Nicht auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens? Auf Mieten, Ladenbau oder Personal, das man sich leisten kann? Warum verkaufen denn so viele Kollegen? Weil sie keine Chancen mehr haben und Selbstausbeutung irgendwann keinen Spaß mehr macht!

Das Kartellamt verweist beim Thema Einkaufsvorteile auf die Schutzwirkung der Buchpreisbindung – ein Argument, das man dem Kartellamt nicht übelnehmen kann, oder?
Nein, es ist zu 100 Prozent unser Problem. Wir sind diejenigen, die begonnen haben, an dem Ast zu sägen, auf dem wir alle sitzen.

Sehen Sie die Vielfalt der Buchproduktion und des Buchhandels bereits gefährdet?
Ich glaube, dass wir in Deutschland immer noch über ein weit gespanntes Netz von verlegerischen und buchhändlerischen Einzelkämpfer*innen verfügen. Aber wir sehen auch bereits Verflachungstendenzen, es gibt zunehmend Mainstream in den Programmen und in den Sortimenten. Im Kiez-Buchhandel kommen Trouvaillen noch vor. Aber in den Innenstädten finden Sie mittlerweile ein weitgehend identisches Angebot. Die kleinen, unabhängigen Buchhandlungen sind ja aus den City-Lagen sukzessive verschwunden.

Ein großer Buchhändler wie Heinrich Riethmüller reklamiert für sich und seine Mitarbeiter*innen, auch ein Filialist schaue auf kleine Programme, auf Qualität, auf Überraschendes. Würden Sie ihm das absprechen?
Nein, dort überall – bei Thalia Mayersche, bei Hugendubel, bei Osiander – arbeiten in den Filialen engagierte Menschen auch für kleinere Programme und einzelne Titel. Aber das ist nicht systemimmanent. Das ist die Passion Einzelner. Sie ändert nichts daran, dass das Angebot von Einkaufskonditionen bestimmt wird.

Auch der Börsenvereinsvorstand hat sich bisher nicht mit Klartext zum Schutz der Buchpreisbindung hervorgetan. Haben Sie und Ihre Vorstandskolleg*innen überhaupt eine eindeutige Haltung dazu?
Ja. An diesem Mittwoch haben wir uns auf einen Antrag an das Hauptamt des Börsenvereins verständigt, in dem wir das Hauptamt beauftragen, weiter nach einem gangbaren Weg zur Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes zu suchen. Alle Vorstandsmitglieder tragen den Antrag mit. Wir haben das Hauptamt gebeten, neben dem bisher verfolgten Weg zur Stärkung der Preisbindung auch Alternativen zu prüfen und zu bewerten. Fest steht: Wir müssen alles tun, um die Preisbindung zu retten. So, wie sie gedacht war, lebt die Branche sie derzeit nicht mehr.

Wie viel Zeit kann sich die Branche damit lassen?
Ich habe verstanden, dass wir beim Bundeswirtschaftsministerium eine Novellierung noch in der laufenden Legislaturperiode erreichen können.

Kann es zielführend sein, den Adressatenkreis der Norm – bisher richtet sich das Gesetz nur an die Verlage, die die Konditionen gewähren – auf den Handel, der ja die Konditionen verlangt, zu erweitern?
Alles, was dazu beiträgt, die innere Preisbindung zu schützen, ist eine gute Idee.

Die Barsortimente fürchten, mit einem Zentrallager wie dem Thaliaschen in Hörselgau, wo die lukrativen Toptitel umgeschlagen werden, rutschen sie weiter in die Unwirtschaftlichkeit. Verstehen Sie deren Sorge?
Absolut. Die Branche geht nicht fair mit ihren Barsortimenten um. Einerseits leisten sie heute mehr denn je – die Corona-Zeit hat das deutlich gezeigt – und werden trotzdem noch gegeißelt, wenn sie versuchen, Logistikkosten einzusparen und zum Beispiel kleinpreisige Titel minderrabattieren. Dass die Branche vor einem Jahr um KNV gezittert hat, hat offensichtlich jeder schon wieder vergessen. Sollten die Verlage zulassen, dass die OVG zukünftig 100.000 Titel zu besseren Konditionen von den Verlagen beziehen und als "Barsortiment light" dann Dritte beliefern kann, wäre das das Ende der Barsortimente, wie wir sie kennen. Ich kann einfach nicht glauben, dass das im Interesse der Verlage ist. 

Braucht man die Barsortimente künftig nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit? Innovationen gehen heute oft vom Buchhandel aus.
Das sehe ich ganz anders. Alle wesentlichen Innovationen der vergangenen Jahrzehnte kamen von den Barsortimenten – Warenwirtschaftssysteme, White Label Shops, sogar die Tolino-Allianz wäre ohne die Barsortimente eine halbe Sache geblieben. Wir können uns auch heute einen Verzicht auf sie nicht leisten. Barsortimente sind die eigentlichen Garanten der Vielfalt, denn sie fahren immer noch im ganzen Land für fast jedes Buch fast jede Milchkanne an.

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