Porträt der Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga

Eine der radikalsten weiblichen Stimmen Afrikas

25. Juni 2021
Redaktion Börsenblatt

Das künstlerische Werk der diesjährigen Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe ist ein Projekt der Befreiung. Ihre Romantrilogie und ihre Filme beenden das Schweigen über Tabuthemen und artikulieren die Wahrheit in einer Zeit der Umbrüche. 

Tsitsi Dangarembgas Romane zu lesen ist beklemmend und befreiend zugleich. Die koloniale Neurose, die Frantz Fanon nur an Männern analysiert hat, ergründet Dangarembga an Körper und Psyche der Frauen. Sie schreibt Fanon fort. In »Nervous Conditions« (1988), so der auf Fanon verweisende Titel ihres ersten Romans, gibt sie der Psychosomatik einer afrikanischen Großfamilie im Rhodesien der 1970er Jahre literarische Gestalt. Alle, auch die Männer, leiden an »bad nerves«; doch es sind die Frauen, die an den Rand des Wahnsinns getrieben werden, deren Körper unter der Gewalt von Kolonialismus und Patriarchat zu zerbrechen drohen. Doch die Körper verweigern sich auch, leisten Widerstand – »Aufbrechen« heißt der Titel der deutschen Übersetzung.

Im Mittelpunkt der Erzählung stehen zwei heranwachsende Mädchen, die Ich-Erzählerin Tambudzai und ihre Cousine Nyasha. Tambudzai kommt vom Lande, ist an Armut und Schmutz gewöhnt. Als sie an die Missionsschule ihres Onkels kommt, wo sie höhere Bildung erlangen kann, ist sie überwältigt. »Das Fehlen jeglichen Schmutzes bewies, dass mein neues Heim überirdisch war.« Nyasha, die mit ihren Eltern einige Jahre in England verbracht hat, ist unangepasst und aufmüpfig. Sie trägt Miniröcke, benutzt Tampons, beides »unafrikanisch«. Sie revoltiert gegen ihren Vater, den »good African«, der das kolonial-patriarchale System aufrechterhält. Als er sie schlägt, flüchtet sie sich in körperliche Verweigerung und Selbstaggression, wird magersüchtig. In ihrem körperlich-nervlichen Zusammenbruch zerreißt sie ihre Geschichtsbücher mit den Zähnen: »Verdammte Lügner. Ihre verdammten Lügen.«

Dangarembga beendet das Schweigen über Tabuthemen. Sie führt Anorexia Nervosa in die afrikanische Literatur ein. Als Nyasha zu einem (weißen) Psychiater gebracht wird, sagt dieser, »Nyasha könne nicht krank sein, denn Afrikaner litten nicht an den Symptomen, die wir beschrieben hatten. Sie mache sich nur wichtig.«

Dangarembga verteilt Elemente ihrer eigenen Biografie auf die Figuren ihres ersten Romans. 1959 in Mutoko, einem kleinen Ort im östlichen Simbabwe, geboren, gehören ihre Eltern zur frühen afrikanischen Bildungselite. Ihre Mutter ist die erste simbabwische Frau mit einem Hochschulabschluss. Dangarembga verbringt ihre frühe Kindheit in England, später studiert sie drei Jahre Medizin in Cambridge. 1980, in dem Jahr, als Simbabwe unabhängig wird, kehrt sie dorthin zurück. Sie studiert Psychologie, macht Theaterarbeit und schreibt. 1988 erscheint »Nervous Conditions« bei Women’s Press in London, nachdem sich in Simbabwe kein Verlag dafür interessiert hat. 1989 erhält Dangarembga den Commonwealth-Literatur-Preis für die Region Afrika – und gilt forthin als eine der radikalsten weiblichen Stimmen des Kontinents.

Die unzerstörbare Stimme

Im gleichen Jahr geht sie nach Berlin und absolviert ein Studium an der Film- und Fernsehakademie. 1992 gründet sie ihre eigene Produk­tionsfirma Nyerai Films. Der Spielfilm »Everyone’s Child« (»Unser aller Kind«, 1996), in dem es um Aids-Waisen geht, und eine ­Vielzahl von Kurz- und Dokumentarfilmen gehören zu ihrem ­Œuvre. In »Kare Kare Zvako« (»Es war einmal«, 2004) ­schockiert sie das Publikum durch ein makaber-fantasievolles Umschreiben eines Shona-Märchens. Der weibliche Körper wird hier zum Schlachtfeld im wörtlichen Sinn: Ein Mann zerhackt seine Frau, kocht die einzelnen Teile über dem Feuer und verzehrt sie. Die wunderschöne Singstimme der Frau jedoch widersetzt sich der Einverleibung durch den Mann und triumphiert am Ende: »Wie könnte ich denn nicht wiederkehren? … niemand kann mich aufhalten.«

Zurück aus Deutschland setzt sich Dangarembga seit 2000 intensiv für die Förderung filmschaffender Frauen in Simbabwe und anderen afrikanischen Ländern ein. Sie gründet die Organisation der Women Filmmakers of Zimbabwe; 2002 das International Images Film Festival for Women, das jährlich in Harare stattfindet. Seit 2009 steht sie dem Creative Arts of Progress in Africa Trust vor.

2006, in großem zeitlichen Abstand zu »Nervous Conditions«, setzt sie ihre Trilogie mit dem zweiten Roman »The Book of Not« (»Das Buch der Verneinungen«) fort. Er spielt Ende der 1970er Jahre während der heißen Phase des simbabwischen Befreiungskampfs. Tambudzai ist Schülerin in einem katholischen Internat. Sie hat als eine der wenigen schwarzen Schülerinnen glänzende Bildungschancen, fühlt sich aber isoliert und rassistischen Erniedrigungen ausgesetzt.

Weitere zwölf Jahre später, 2018, erweckt Dangarembga mit dem dritten Band ihrer Trilogie wieder breite internationale Aufmerksamkeit. »This Mournable Body« (»Dieser beklagenswerte Körper«) erreicht die Shortlist des Booker Preises von 2020 (im September auf Deutsch: »Überleben«, Orlanda ­Verlag). Der ungewöhnliche Originaltitel ruft Assoziationen mit dem mittlerweile desolaten »Körper« Simbabwes hervor. Dazu sagt Dangarembga: »Es war nicht wirklich meine Absicht, die Nation widerzuspiegeln. Ich denke, bei einer solchen ­Geschichte war dies unvermeidlich.«

Tambudzai, nun in mittlerem Alter, befindet sich in einem Zustand extremen Verfalls, innerlich und äußerlich. Obwohl hochgebildet, hat sie alle Chancen eines beruflichen Fortkommens verpasst und lebt heruntergekommen im Harare des neuen Millenniums. Ungewöhnlich ist auch die Erzählweise dieses dritten Romans – er ist durchweg in der zweiten Person geschrieben. Diese macht »This Mournable Body« zu einem unaufhörlichen, qualvollen Dialog der Protagonistin mit sich selbst, mit der eigenen Scham.

Nach einem jähen Ausbruch von Gewalt findet sich Tambudzai in der Psychiatrie wieder. In ihren Wahnvorstellungen erscheint eine Hyäne, die auf ihren Kadaver wartet. »Du bist falsch gebaut. Du wirst zerlegt. Die Hyäne lacht-heult über diese Zerstörung. Sie kreischt wie ein wahnsinniger Geist, der ­Boden unter dir löst sich auf.« Sie fühlt sich ausgeliefert, ­verhöhnt.

Das aktuelle Jahr wird für Dangarembga ein Jahr der Ehrungen. Im Januar erhält sie den Pen International Award for Freedom of Expression, im Juni den Pen Pinter Prize für ihr Gesamtwerk, »ihr Vermögen, selbst in Zeiten von Umbruch und Verwerfungen die Wahrheit zu erkennen und zu artikulieren«. Diese Ehrung entspricht Dangarembgas Selbstverständnis. Sie versteht ihre Rolle nicht als politische Aktivistin, für sie steht ihr künstlerisches Werk im Vordergrund, durch das sie der Welt einen Spiegel vorhält. Dafür erhält sie nun zu Recht auch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 

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