Tsitsi Dangarembgas Romane zu lesen ist beklemmend und befreiend zugleich. Die koloniale Neurose, die Frantz Fanon nur an Männern analysiert hat, ergründet Dangarembga an Körper und Psyche der Frauen. Sie schreibt Fanon fort. In »Nervous Conditions« (1988), so der auf Fanon verweisende Titel ihres ersten Romans, gibt sie der Psychosomatik einer afrikanischen Großfamilie im Rhodesien der 1970er Jahre literarische Gestalt. Alle, auch die Männer, leiden an »bad nerves«; doch es sind die Frauen, die an den Rand des Wahnsinns getrieben werden, deren Körper unter der Gewalt von Kolonialismus und Patriarchat zu zerbrechen drohen. Doch die Körper verweigern sich auch, leisten Widerstand – »Aufbrechen« heißt der Titel der deutschen Übersetzung.
Im Mittelpunkt der Erzählung stehen zwei heranwachsende Mädchen, die Ich-Erzählerin Tambudzai und ihre Cousine Nyasha. Tambudzai kommt vom Lande, ist an Armut und Schmutz gewöhnt. Als sie an die Missionsschule ihres Onkels kommt, wo sie höhere Bildung erlangen kann, ist sie überwältigt. »Das Fehlen jeglichen Schmutzes bewies, dass mein neues Heim überirdisch war.« Nyasha, die mit ihren Eltern einige Jahre in England verbracht hat, ist unangepasst und aufmüpfig. Sie trägt Miniröcke, benutzt Tampons, beides »unafrikanisch«. Sie revoltiert gegen ihren Vater, den »good African«, der das kolonial-patriarchale System aufrechterhält. Als er sie schlägt, flüchtet sie sich in körperliche Verweigerung und Selbstaggression, wird magersüchtig. In ihrem körperlich-nervlichen Zusammenbruch zerreißt sie ihre Geschichtsbücher mit den Zähnen: »Verdammte Lügner. Ihre verdammten Lügen.«
Dangarembga beendet das Schweigen über Tabuthemen. Sie führt Anorexia Nervosa in die afrikanische Literatur ein. Als Nyasha zu einem (weißen) Psychiater gebracht wird, sagt dieser, »Nyasha könne nicht krank sein, denn Afrikaner litten nicht an den Symptomen, die wir beschrieben hatten. Sie mache sich nur wichtig.«
Dangarembga verteilt Elemente ihrer eigenen Biografie auf die Figuren ihres ersten Romans. 1959 in Mutoko, einem kleinen Ort im östlichen Simbabwe, geboren, gehören ihre Eltern zur frühen afrikanischen Bildungselite. Ihre Mutter ist die erste simbabwische Frau mit einem Hochschulabschluss. Dangarembga verbringt ihre frühe Kindheit in England, später studiert sie drei Jahre Medizin in Cambridge. 1980, in dem Jahr, als Simbabwe unabhängig wird, kehrt sie dorthin zurück. Sie studiert Psychologie, macht Theaterarbeit und schreibt. 1988 erscheint »Nervous Conditions« bei Women’s Press in London, nachdem sich in Simbabwe kein Verlag dafür interessiert hat. 1989 erhält Dangarembga den Commonwealth-Literatur-Preis für die Region Afrika – und gilt forthin als eine der radikalsten weiblichen Stimmen des Kontinents.