Börsenverein: Mitgliedsbeiträge

Ein Flextarif für stabile Verbandsfinanzen

19. September 2024
von Börsenblatt

Die Mitgliedsbeiträge des Börsenvereins sollen ab 2026 an den Verbraucherpreisindex gekoppelt werden. Das schlägt der Vorstand vor. Schatzmeister Klaus Gravemann und Michael Justus vom Haushaltsausschuss erläutern im Interview das Ausbalancieren des neuen Modells. Und liefern eine Beispielrechnung für drei Beitragsgruppen.

Die letzte Beitragserhöhung gab es 2021. Nun soll zum 1. Januar 2026 ein neues Beitragsmodell an den Start gehen. Der sogenannte Flextarif sieht eine ­jährliche Steigerung vor – gekoppelt an den ­Verbraucherpreisindex. Warum ist dieser Schritt notwendig?

Klaus Gravemann: Zunächst einmal ist es wichtig, sich noch einmal die Rolle von ­Mitgliedsbeiträgen vor Augen zu führen: Mitgliedsbeiträge stabilisieren nicht nur die Finanzen und damit die Arbeitsfähig­keit des Verbands, sondern sie sind auch gleichzeitig der Garant dafür, dass Vor­stand
und Hauptamt mit diesem Geld das ­machen, was den Interessen der Mitglieder am besten dient.

Ein Verband, der sich nur aus wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb oder Vermögensanlagen finanzieren würde, könnte losgelöst von Mitgliedsinteressen, theoretisch auch ohne Mitglieder, arbeiten. Das kennen wir aus dem Fußball mit RB Leipzig im ­Eigentum von Red Bull oder Manchester City im Eigentum der könig­lichen Familie von Abu Dhabi. Unser ­Börsenverein »gehört« den Mitgliedern, und das ist auch gut so und dazu gehören Mitgliedsbeiträge.

Klaus Gravemann leitet seit 2004 mit seiner Frau Dorothea das Bücherhaus am Münster in Neuss. 2019 wurde er zum Schatzmeister des Börsenvereins gewählt – und 2022 von den Mitgliedern für weitere drei Jahre im Amt bestätigt

Die Inflation hat sich wieder normalisiert, liegt aber über dem Niveau des vergangenen Jahrzehnts und belastet den Börsenverein entsprechend.

Klaus Gravemann, Schatzmeister des Börsenvereins

Wie viel tragen die Mitgliedsbeiträge denn aktuell zum Etat des Verbands bei?

Klaus Gravemann: Der Anteil der Mitgliedsbeiträge an den Einnahmen des Börsenvereins liegt, mit prozentual sinkender Tendenz, bei rund 55 Prozent. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, wenn dieser Wert dauerhaft über 50 Prozent bleibt. Wenn Kosten beständig steigen, geht das nicht, ohne dass auch die Erträge einigermaßen synchron steigen.

Schon bei meiner Vorstellung zur Schatzmeisterwahl auf der Hauptversammlung 2019 hatte ich die Notwendigkeit eines ­neuen, zukunftsorientierten Beitrags­systems angesprochen. Zu jener Zeit lief aber noch die 2018 beschlossene dreistufige Beitrags­erhöhung für 2019, 2020 und 2021.

Die Inflationsrate in Deutschland, die ­viele Jahre kein großes Problem für uns war, zog nach dem Frühjahr 2021 an. Das hatte mit den Lieferengpässen während der Pandemie zu tun, bewegte sich aber in einem ökonomisch noch normalen Rahmen.

Doch mit dem russischen Angriffskrieg ­gegen die Ukraine 2022 kletterte die ­Inflationsrate rasant nach oben. Wir haben seinerzeit entschieden, den Mitgliedern nach Corona und den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs erst einmal etwas Luft zu lassen. Hierbei haben uns unsere Einsparungen aus der Corona-Zeit geholfen. Die Inflation hat sich mittlerweile wieder normalisiert, liegt aber über dem Niveau des vergangenen Jahrzehnts und belastet den Verband ­entsprechend. Deshalb mussten wir jetzt aktiv werden.

Die Schere zwischen Beitragseinnahmen und Kostenentwicklung öffnet sich immer weiter.

Klaus Gravemann, Schatzmeister des Börsenvereins

Wie sieht das neue Beitragsmodell aus?

Klaus Gravemann: Die Entwicklung der Mitgliedsbeiträge soll an die Entwicklung der Inflation in Deutschland gekoppelt werden. Hierzu schlagen wir den Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts vor, der die offizielle Messgröße für die ­Inflation in Deutschland ist.

Die Anpassung an die ­Inflationsentwicklung soll jährlich stattfinden. Die jährliche Steigerung der Inflationsrate soll jeweils zum 30. Juni eines Jahres festgestellt werden. Um »Ausreißer«-­Jahre mit besonders hoher Inflation zu ­glätten, soll der Mittelwert aus dem Fünfjahres­zeitraum, der dem zukünftigen Beitragsjahr vorausgeht, herangezogen werden.

Hierbei soll das geometrische Mittel genommen werden, weil es zusätzlich dazu beiträgt, solche »Ausreißer« zu mildern. Der sich hieraus ergebende Wert wird mit einem ­Abschlag von zehn Prozent belegt, sodass sich die Werte nur zu 90 Prozent auswirken. Das soll Haupt- und Ehrenamt einen engen Rahmen für die Arbeit geben.

Das Flextarif-Modell im Detail

  • Stimmt die 200. Hauptversammlung am 18. November dem Vorschlag des Vorstands zu, sollen die Mitgliedsbeiträge des Börsenvereins mit dem neuen Flextarif ab 1. Januar 2026 automatisch an die Inflation angepasst werden.
  • Grundlage der Berechnung ist der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Verbraucherpreisindex insgesamt (kalender- und saisonbereinigt nach dem Berliner Verfahren)
  • Referenzzeitraum ist der 30. Juni eines jeden Jahres - im Vergleich zum 30. Juni des Vorjahres.
  • Die Beitragsstaffel wird jährlich angepasst. Bei einer Deflation pausiert die Anwendung des Flextarifs.
  • Um »Ausreißer«-Jahre mit besonders hohen Teuerungsraten abzumildern, wird das geometrische Mittel der vergangenen fünf Jahre errechnet – und zudem ein zehnprozentiger Abschlag vorgenommen.
  • Der Index für das Folgejahr (mit einer Nachkommastelle) wird jeweils im vierten Quartal des laufenden Jahres auf der Website des Börsenvereins bekannt gegeben (Rubrik Mitgliedsbeiträge).
  • Weitere Informationen (etwa zur Frage, was das Modell auf Bundesebene für die Beiträge in den Landesverbänden bedeuten würde) gibt es hier auf der Website des Börsenvereins

Wann erfahren die Mitglieder, auf welche Erhöhung sie sich im darauffolgenden Jahr einstellen müssen?

Klaus Gravemann: Die Beiträge, die sich für das Folgejahr ergeben, werden jeweils im vierten Quartal auf der Website des Börsenvereins veröffentlicht. Den Referenztermin 30. Juni haben wir gewählt, damit die Daten des ­Statistischen Bundesamtes vor dem neuen Beitragsjahr vorliegen. Durch die recht­zeitige Veröffentlichung der neuen Beiträge sollen Mitglieder die Chance haben, darauf zu reagieren, wenn sie mit dem Weg nicht einverstanden sind. Auch haben die Mitglieder so vor dem neuen Beitragsjahr die Möglichkeit, die, wie ich meine, moderaten Steigerungen einzuplanen.

Michael Justus ist Verlagsleiter Fachbuch beim Carl Hanser Verlag in München - und beim Börsenverein Vorsitzender des Haushaltsausschusses

Mit Sparmaßnahmen allein können die Leistungen des Verbands jetzt nicht mehr aufrechterhalten werden.

Michael Justus, Vorsitzender des Haushaltsausschusses

Wer war an der Entwicklung des geplanten Stufenmodells beteiligt?

Klaus Gravemann: Es gab zwei Arbeitsgruppen, eine Alpha- und eine Betagruppe, beide natürlich unterstützt vom Hauptamt. Die Alphagruppe hat systematisch die Praxis in anderen Verbänden und Ländern, die Datenlage und mögliche Modelle bearbeitet. In der Betagruppe wurden die Ergebnisse dann einer kritischen Untersuchung unterzogen und durchaus noch modifiziert.

Michael Justus: Die Betagruppe bestand aus je einer Vertreterin oder einem Vertreter der Sparten im Verband. An den voran­gegangenen Beratungen war diese Gruppe bewusst nicht beteiligt, um einen unvoreingenommenen Blick aus Mitgliederperspektive auf das neue Beitragsmodell zu haben.
Und, ja: Das Modell wurde noch einmal kritisch unter die Lupe genommen, es wurden Alternativen geprüft und Anpassungen vorgenommen.

Beispielrechnung für drei Beitragsgruppen

Warum haben Sie sich am Ende für dieses Beitragsmodell entschieden?

Klaus Gravemann: Die Alternative wäre, jeweils nach einigen Jahren über eine Beitragserhöhung zu beraten – was dann sicherlich eine erkennbar höhere Steigerung zur Folge hätte. Mit dem dynamischen Modell bleiben die Erhöhungen vergleichsweise moderat und sie sind für die Mitglieder planbar. Eine jährliche Beschlussfassung mit der Budget­entscheidung würde den Fokus auch so manches Mal von anderen Themen ablenken.

Der letzte Beitragsbeschluss im Jahr 2018 mit den drei Steigerungsstufen ging schon in die richtige Richtung: für eine Verstetigung zu sorgen und gleichzeitig den Verband nicht jährlich in Beitragsdiskussionen zu schicken.

Bei unserem Modell, das es in den Auswirkungen ähnlich etwa auch bei unserem österreichischen Schwesterverband gibt, haben wir verschiedene Referenzindikatoren diskutiert und und uns dann für den Verbraucherpreisindex entschieden.

Unser Kriterium war letztlich, dass es ein Indikator sein soll, der die Kosten des Verbands bestimmt, ohne durch eigenes Zutun beeinflussbar zu sein. Er soll aber auch nicht durch politische Entscheidungen direkt zu steuern sein und er soll nachvollziehbar und für alle Mitglieder öffentlich einsehbar sein.

Damit scheiden andere Indikatoren aus, etwa die Entwicklung bei den Rentenzahlungen, beim Bürgergeld oder nicht ohne Aufwand zugängliche Erhebungen von Branchenteilnehmern etc.

Stimmt die Hauptversammlung dem Flextarif im November zu, dann hätten die Mitglieder genug Zeit, um sich auf das neue Beitragsmodell einzustellen.

Michael Justus, Vorsitzender des Haushaltsausschusses

Gab es keine anderen Möglichkeiten, um die Mitgliedsbeiträge konstant zu lassen – etwa Sparmaßnahmen?

Klaus Gravemann: Nein, die gibt es nicht dauerhaft. Wir haben ja zwei Entwicklungen, die zu einer sich weiter öffnenden ­Schere zwischen Beitragseinnahmen und Kosten­entwicklung führen: einerseits der sich fortsetzende Mitgliederrückgang, im Wesentlichen aus demografischen Gründen und durch Filialisierung, andererseits die inflationäre Beeinflussung der Kostenseite.

Den tendenziellen Mitgliederrückgang können wir zumindest in beachtlichem Umfang noch durch unsere ständige Aufgabenkritik, durch Prozessverbesserungen, Prioritätensetzung und daraus folgende Einsparungen auffangen. Aber zusätzlich die Preissteigerungen bei gleichem beziehungsweise weiter anwachsendem Leistungsniveau wegzustecken – das geht jetzt nicht mehr.

Michael Justus: Die Frage »Geht’s nicht auch mit Einsparungen?« wurde natürlich auch von der Betagruppe gestellt. Und sie wird, stellvertretend für die Mitglieder, ziemlich penetrant vom Haushaltsausschuss vorgetragen – nicht nur im Vorfeld der Entwicklung des neuen Beitragsmodells, sondern permanent. Ich bin ja schon seit einigen Jahren im Haushaltsausschuss dabei und darf sagen: Es gab sehr wohl schon Beitragserhöhungsvorschläge, zu denen der Ausschuss »Nein!« gesagt und stattdessen Einsparungen eingefordert hat. Und er hat ja auch nicht aufgehört, Hauptamt und Ehrenamt mit Einsparforderungen zu traktieren. Hier ist sehr viel geschehen!

Der Verband wird wirtschaftlich verantwortungsbewusst und professionell geführt. Aber spätestens mit den inflationsbedingten Kostensteigerungen der vergangenen ­Jahre ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Der Spardruck bleibt, kann den Rückgang der Mitgliedsbeiträge und die Inflation aber nicht mehr ausgleichen.

Nur ein Beispiel: Seit der letzten Beitragserhöhung 2021 sind die Tarifgehälter im hessischen Tarifverbund, zu dem der Börsenverein in Frankfurt gehört, um fast 18 Prozent gestiegen. Das wurde seitdem mit Sparmaßnahmen aufgefangen. Damit allein können die Leistungen des Verbands jetzt nicht mehr aufrecht­erhalten werden. Sie erfordern ja hoch qualifiziertes Personal – man denke zum Beispiel nur an die juristische Beratung.

Flextarif ist Thema der nächsten Hauptversammlung

Die Mitglieder entscheiden

Über den Vorschlag, die Mitgliedsbeiträge des Börsenvereins an den Verbraucherpreisindex zu koppeln, wird im November auf der 200. Hauptversammlung des Verbands diskutiert und abgestimmt.

  • Termin: Montag, 18. November
  • ab 15.30 Uhr (etwa vier Stunden)
  • Format: Laut Vorstandsbeschluss vom 6. Februar wird die Hauptversammlung digital stattfinden.
  • Details unter boersenverein.de/hauptversammlung.

Wie geht es jetzt weiter?

Klaus Gravemann: In dieser Woche stand der Vorschlag im Länderrat auf der Tagesordnung, Anfang Oktober geht er in den Haushaltsausschuss, am 18. November soll er dann der Hauptversammlung zur Beratung und Entscheidung vorgelegt werden.

Michael Justus: Wirksam würde der Beschluss erst im übernächsten Jahr, also zum 1. Januar 2026. Bis dahin bliebe für die Mitglieder Zeit, sich auf das neue Beitragsmodell einzustellen.