Deutscher Buchpreis: Gespräch mit Kim de l'Horizon

Ein Buch wie ein Hexenkessel

21. Oktober 2022
Michael Roesler-Graichen

Viel wurde über Kim de l'Horizons Auftritt im Kaisersaal des Frankfurter Römers gesagt und geschrieben, doch was macht sein Buch so besonders? Darüber sprach Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck mit der Autor*in und DuMont-Verlegerin Sabine Cramer.

Radikale Ehrlichkeit, das zeichne das erzählende Ich in Kim de l'Horizons Roman "Blutbuch" (DuMont) aus, meinte Moderator Stefan Hauck, Redakteur des Börsenblatts, zu Beginn des Gesprächs mit der Buchpreisträger*in und DuMont-Verlegerin Sabine Cramer am Messefreitag auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage.

Bis es zu dieser Offenheit kam, musste Kim de l'Horizon einen weiten Weg zurücklegen. "Vor elf Jahren habe ich damit angefangen. Es war für mich befreiend, dieses Buch zu schreiben. Wir können uns unsere Gefühle oft nicht eingestehen, weil wir es nicht gelernt haben."

Das Buch habe eine experimentelle Anlage, einen ungewöhnlichen Bauplan, und sei zudem komplex. "War das schon vorher klar, oder hat sich das ergeben?", wollte Hauck wissen. "Ich habe einen Hexenkessel gebaut und viele Zutaten hineingegeben, die zu einer Art Heilsuppe werden sollten", sagte Kim de l'Horizon.

Die besondere Bedeutung der Wortschöpfungen in "Blutbuch" fällt auf. Ob das durch das Theater geschult sei? "Die Sprache trägt uns", meinte Kim de l'Horizon, "und das Schreiben ist intelligenter als wir selbst." Die Sprachlichkeit des Textes habe etwas Magisches.

Mit seinen Gedichten und mehreren Sprachebenen sei das Buch sicher eine Herausforderung für das Lektorat gewesen, fragte Stefan Hauck Verlegerin Sabine Cramer. Ja, aber man habe es als schönen, originellen Text kennengelernt, in dem auf besondere Weise Textsorten und Sprachebenen gemischt werden. "Ein genuiner Text, der viel erfindet, in dem man sich aber dennoch nicht verliert", so Cramer.

Aufmerksam auf de l'Horizon wurde DuMont durch eine Literaturagentur. "Es gab andere Interessenten, aber nach einem Gespräch mit unserem Lektorat war klar, dass wir den Zuschlag bekommen." Die Zusammenarbeit mit dem Verlag lief dann sehr zügig. "Ich habe erst vor elf Monaten den Vertrag unterschrieben", sagte die Buchpreisträger*in. "Ich wollte mit dem Buch rausgehen, damit noch Anderes kommen kann." Die Eingriffe durch Lektorin Angela Tsakiris seien "nicht so krass" gewesen, aber es sei "viel Feinarbeit" nötig gewesen, so die Autor*in. Ein außergewöhnliches Element seien auch die Stammbäume der weiblichen Vorfahren des Erzähl-Ichs. Viel biographisches Material, dessen Lücken "ausfabuliert" werden mussten, so Kim de l'Horizon.

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Die lineare Struktur der Sprache wollte die Preisträger*in aufbrechen, mit einer Mischung von Hochsprache und Dialekt, die nah an den Figuren ist und zugleich die Klassenunterschiede beschreibt – von den bäuerlichen Bilderwelten bis zum elaborierten Sprachcode, der zum Distinktionsmerkmal wird.

Ob die im Buch behandelte "Blutbuche" ein reales Vorbild habe, fragte Stefan Hauck zum Schluss. Die lakonische Antwort von Kim de l'Horizon: "Fragen dazu, was real ist oder nicht, beantworte ich nicht."