Sie arbeiten in Ihrem Debattenbuch mit dem Mittel der Zuspitzung. Wie kommt das bei den Lesern im Westen an?
Die Mehrheit reagiert betroffen oder sogar verstört. In meinem Buch geht es um Benachteiligungen und mangelnde Repräsentation im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich. Es geht darum, dass Menschen, die im Osten aufgewachsen sind, geringere Lebenschancen haben als Deutsche in anderen Regionen. Je weiter der Westen geografisch vom Osten entfernt ist, etwa im Westen und Südwesten, wo man sich eher in Richtung Benelux, Frankreich und Schweiz orientiert, ist auch der Osten innerlich weit weg. Ich habe aber auch mit Leuten gesprochen, die zu Lesungen kamen und die Wucht des Problems sehen.
Ist es in Ihren Augen sinnvoll, von einer originär "ostdeutschen", keineswegs westlichen Deutungsmustern entsprungenen Identität zu sprechen?
Von "ostdeutscher Identität" zu sprechen, ist insofern schwierig, als man es mit einer großen Heterogenität biografischer und historisch-politischer Erfahrungen zu tun hat. Es gibt Menschen, die das Ende der DDR erlebt haben, und solche, die weggegangen sind. Es gibt Menschen, die Dissidenten waren, für ihre Überzeugung ins Gefängnis gingen und freigekauft wurden. Wieder andere waren völlig unpolitisch. Den "Osten" als Einheit gab und gibt es nicht. Es gibt die kollektiven Erfahrungen eines historisch-geografisch-politischen Raums. Ob daraus eine spezifische "Identität" erwachsen ist, wäre genauer zu klären. Auch der Westen erwartet im Übrigen, divers und heterogen wahrgenommen und dargestellt zu werden.